Bohneleser wissen es längst: © Vivienne ist ein langjähriger Song Contest Fan und berichtet in alter Tradition schon jedes Jahr von und zu dem Ereignis und halte mit meinen Eindrücken und meiner Meinung nicht hinterm Berg. Aber was sich mir heuer bei diesem Schauspiel bot (und beim logischen Durchzippen zwischen den einzelnen Kanälen, weil ich immer wieder flüchtete), hinterließ ein merkwürdiges Gefühl der Ratlosigkeit in mir. Was ist nur aus dem Song Contest geworden? Irgendwie einfach nur mehr ein Festival der schrillen und überzogenen Outfits, in dem sich für mich zumindest nicht mehr viel von der Begeisterung und der Freude findet, die ich früher bei diesem Spektakel entdecken konnte – auch in mir selbst!
Das mag teilweise auch an der Unübersichtlichkeit des Wettbewerbes liegen. Über vierzig Nationen kann man nicht in einer einzigen Show präsentieren und die Vorausscheidung ist einfach ein notwendiges Übel, keine Frage. Man mag mir verzeihen, aber ich habe das Gefühl, dass mit der Öffnung der Grenzen auch für den Song Contest zu viel Flitter, Talmi und Schein das Geschehen beherrschen. Kaum ein Act schreibt oder komponiert noch seine Songs selber, die Gruppen sind oft bunt und fast willkürlich zusammengewürfelt und die Lieder selber lassen für mich oft Seele vermissen und berühren mich nicht wirklich. Anders, ganz anders, sehe ich das allerdings bei meinem persönlichen Favoriten aus deutschen Landen, Roger Cicero! Ich bin in diesem Fall sicher nicht objektiv, das gebe ich zu: aber ich verneige mich vor diesem Künstler und ich liebe seine Musik, die er mit so viel Herz interpretiert, schon länger und pflege auch allgemein nicht die Reminiszenzen zu den deutschen Song Contest Beiträgen, die gestern auch wieder von Andy Knoll in der ORF-Übertragung hochgehalten wurden.
Cicero bot für mich gestern (12.05.) die mit Abstand beste Performance des Abends, sehr stilvoll und mitreißend, und ich bedaure es aufrichtig, dass er nur 19. wurde – er hätte eine bei weitem bessere Platzierung verdient. Nicht nur, weil ich einfach auf seine Swing Musik stehe, die er wirklich grandios und lebendig rüberbringt. Andererseits bin ich aber auch davon überzeugt, dass es Ciceros Konkurrenten aus der internen deutschen Ausscheidung, etwa Monrose, bei dieser Veranstaltung nicht besser gegangen wäre. Deutsch ist beim Song Contest zur Zeit nicht angesagt, aber auch frühere große Siegernationen wie Großbritannien, Irland oder Frankreich, von Luxemburg gar nicht erst zu reden, haben seit ein paar Jahren beim Ausgang des Song Contests nichts mehr mitzureden. Man darf ruhig darüber diskutieren, ob dort laut, schrill und unecht schon seit einiger Zeit einfach ein „Must“ ist und ob die von mir angeführten Nationen einfach einen Trend übersehen haben…
Dem muss man aber entgegen halten, dass Eric Papilaya, mein „Liebling“ von Starmania und sicher ein versierter Performer mit großartiger Stimme, schon in der Vorausscheidung scheiterte – mit einem rockigen Song zum Life Ball, einem überaus bunten Ereignis. Und das mit einer durchaus ansprechenden Leistung, meiner Meinung nach. Auch DJ Bobo, europaweit bekannter Hitparadenstürmer aus der Schweiz, verfehlte mit seinem Vampir-Song den Hauptbewerb sang- und klanglos… Der Song Contest bietet sich mir zur Zeit als Mysterium und während ich sonst die vergangenen Jahre immer mitfieberte und das sich über Stunden ziehende Spektakel sehr aufmerksam verfolgte, ist mir heuer das erste mal spürbar der Spaß an der Sache vergangen. Selbst die Punktevergabe wird nur mehr ruck zuck durchgezogen, es fehlt die Möglichkeit, die Wertung wirklich genau im Auge zu behalten, weil man kaum registrieren kann, welche Nationen die niedrigeren Punkte erhalten haben – so schnell wird die Tafel ein- und wieder ausgeblendet.
Schade. Das war für mich auf keinen Fall Werbung für den Song Contest, das war auch nicht mehr der Bewerb, für den ich mir früher gerne Zeit genommen habe und für den ich hartnäckig mit Kaffee in hohen Dosen gegen die Müdigkeit angekämpft habe. Und sicher, da sei noch einmal betont, nicht nur deshalb, weil mein persönlicher Favorit Roger Cicero gescheitert ist: es lag nicht an ihm, seine Musik liegt durch Stars wie Robbie Williams oder Michael Bublé ohnedies voll im Trend, auch wenn mancher Unkenrufer das jetzt anders sieht. Wie auch immer, am Song Contest krankt etwas und es ist nicht eine einzige Krankheit, es sind derer sicher einige. Wenn der Trend so weiter geht, wird sich der Song Contest schneller als man glaubt selbst überholen. Dann nämlich, wenn nach und nach einige der Länder aussteigen, die bisher einfach noch immer glaubten, sie könnten auf eine Teilnahme nicht verzichten, wird der Bewerb sehr schnell in der Bedeutungslosigkeit versinken…
Stefan Raab, der den Song Contest von deutscher Seite aus einige Jahre entscheidend mitgeprägt hat, sind diese Vorzeichen nicht verborgen geblieben. Mit seiner eigenen, sehr erfolgreichen, bundsdeutschen Variante für den Nachwuchs hat er sich vom Song Contest schon wegemanzipiert und entschlossen eigene Pfade beschritten – weg von jenem Wettbewerb, der für mich jenes Flair des Besonderen verloren hat, das ihn für mich so lange interessiert gemacht hat… Wer weiß, ob ich nächstes Jahr noch dabei bin beim Festival der tiefen Ausschnitte und knappen Outfits, der schrägen, lauten Songs und der grellen, schmerzenden Farben…
© Vivienne