Warum Mary? – 899 Zeichen Prosa

Geläute!
Oh Geliebte, warum du und nicht etwa ich?
Ein Windhauch streifte mein Gesicht. Eine leichte Brise nur. Und doch reichte es, um mir Angst einzujagen.
Dieses rotznäsige Kind!
Wir hatten alle Zwölf gehofft und gebangt, doch, dass es Mary als erste erwischen würde?

Als der Große Tag anbrach und wir, einer nach dem anderen ganz vorsichtig, wie es da noch schien, aus unseren Bettchen gehoben wurden, hätten wir vor innerem Triumph beinahe unseren Schwur gebrochen.
Dieser Schwur aber war es, der einer Gemeinschaft gleich die letzten Wochen uns beinahe fest zusammen schweißte. Schnauze halten und abwarten!
Dieses rotznäsige, pickelige Kind!
Irgendwann hatte ich es geahnt.

Ich musste es mir einfach eingestehen. Ich würde so nicht immer bestehen können. Nicht etwa geopfert auf dem Altar innerster Eitelkeiten, nein auch wenn es zunächst noch so schien. Nein, dem höchsten Ziel galt meine ganze Existenz. Ich würde den Weg allen irdischen Erlebens gehen müssen.
Aber warum gerade Mary?
Warum dieses liebend Kind in der Verpackung eines Bärtigen Glücksbringers?
Dieses rotznäsige, pickelige, über und über mit Sommersprossen übersäte Kind?
Nun aber wusste ich es.

>>Geh bitte nicht und wenn doch, möchte ich dich begleiten<< hatte Mary mich noch angefleht! Vermessenheit hatte mich aber da wohl doch noch zu sehr gepackt. Ich hatte sie nur angeblickt und wissend genickt. Dabei hatte ich da von ihren Plänen überhaupt noch nichts geahnt. Nun aber wusste ich sogar! Alle Zwölfe wurden wir auf Eignung hin betrachtet. Große, runde Augen, weniger verschlagen blickend als dies, rückblicken betrachtet, bösartige Kind es je vermocht haben wird, prüften uns alle sehr genau. Möglicherweise könnte dieser Augenblick der wohl entscheidendste meines irdischen hier seins bedeutet haben. Doch zuvor entbehrte ich noch jeder Überzeugung. Meine ganze Aufmerksamkeit galt Mary. Warum nur dieses rotznäsige, pickelige, über und über mit Sommersprossen übersäte Kind? Nun aber wuchs mit meinem Wissen auch meine reine Verzweiflung. Sie hatte sich unbemerkt eingeschlichen. Als ich dann den Betrug bemerkte, war es längst zu spät. Mary, in ihrem rotweißen Habitat, war von den Gefährten kaum noch zu unterscheiden. Nur an ihren überaus scheu wirkenden Rehaugen war sie mir überhaupt erst aufgefallen. Rückblickend betrachtet, war`s aber möglicherweise auch nur ihre gespielte Gleichgültigkeit, die meine ganze Aufmerksamkeit erregte. Sie hatte es sehr gut verstanden, ihre überaus reizvollen äußeren Merkmale üppiger Weiblichkeit unter beruflich verordneter Dienstkleidung zu verbergen. Warum nur dieses vorwitzige, rotznäsige, pickelige, über und über mit Sommersprossen übersäte Kind? Verzweiflung machte da schon äußerster Aufgeregtheit Platz! Wäre da doch noch etwas zu retten? Die Hasen, sagte man, hätten mehrheitlich diese Zeiten tagelangen Völlens, manchmal sogar völlig unbeschädigt überstanden. Wenn sie dann und wann auch noch mal dem Schaffensgang von Entstehen und Verderben wiederholt zugeführt wurden, konnten sie auch noch damit in illustren Runden, als glänzende Unterhalter sich im Mittelpunkt allgemeinen Interesses sonnen. Aber was sind schon Hasen neben uns? Mary, warum nur du und nicht etwa ich? Gab es da etwas, was zu wissen sich lohnte? Warum nur dieses vorwitzige, rotznäsige, pickelige, über und über mit Sommersprossen übersäte Kind? Und wozu dieses Geläute? Und überhaupt, wozu das alles? Kinder sollen liebevoll Verpacktes möglicherweise mit groben Händen auseinander reißen! Warum aber da ein liebend Paar? Ich hatte auf schnelle Beförderung gehofft, als ich dem Ruf folgte. Mary war da eher abgeneigt. Noch kurz bevor ich die Reise antrat, hing sie weinend in meinen Armen. >>Geh bitte nicht und wenn doch, möchte ich dich begleiten<< Geläute und Kinder! Was verband, was trennte sie? War es dieses Unbedingte, neben Gleichmut im Tagesrhythmus der Gestirne im Unendlichen? Wäre es mir möglich, das Große Ganze zu durchschauen? Mary? >>Tilli, kommst du nun, oder nicht?<< Das hässliche Kind schaut zunächst begierig, wie ich hier hoch droben dem Ende entgegen fiebre, während von irgendwo her diese fragende Stimme erklingt. >>Tilli, nun komm schon. Habe ich dir nicht verboten, vor dem Essen von den Weihnachstmännern am Christkindelbaum zu naschen? Komm schon, wasch dir die Finger. Das Essen wartet nicht auf Schlafmützen wie dich! Und außerdem verdirbst du dir nur unnötig den Magen! Und wenn du weiterhin so viel Schokolade isst, bekommst du noch mehr Pickel!<< Mary! Wo bist du nur? Dieses, wie ich nun wusste, ungewaschene Kind hatte Mary einfach den Kopf abgebissen, bevor es Marys Körper im Ganzen einfach verschlang. Mary, du fehlst mir! >>Gleich Mutti!<< >>Pass auf, Alter Mann, freu dich nicht zu früh! Deine Stunden sind gezählt! Du kommst auch noch dran. O.K. Mutti, ich komm schon!<< Lachen, nachdem mich grobe Pranken zurück an mein zierliches Tannenästchen hängten. Mit den anderen Weihnachtmännern im Baum verband mich nun die Gewissheit, nicht ganz unnötig diese Welt erleben zu dürfen. Und war nicht, im Licht unzähliger Kerzen betrachtet, das Leben schön? Bloß, warum musste es Mary sein, die, in silbrig schimmernde Aluminium-Folie gehüllt, diesem hässlichen Mädchen in der kommenden Nacht so etwas wie körperlichen Schmerz im Verdauungstrakt bereitete? Na gut, komm nur her, ich werde dich Mores lehren! Dein geblähter Bauch gehört mir! Rache ist süß, so süß wie Schokolade! Mary, wart` ich komm` ganz bestimmt! Bald sind wir wieder vereint! Geläute! Der befürchte, neuerliche Windhauch dagegen, blieb diesmal aus. Pickel, wer hatte da etwas über Pickel gesagt? Sollte es sie doch geben, diese letztendliche Gerechtigkeit? Friede Euch Allen auf Erden!

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