Vorfreude ist die schönste Freude

Gegensätze ziehen sich an! Auch wenn die Lehners, die weiter unten im Dorf daheim waren, ein älteres Paar wie jedes andere zu sein schienen, waren sich die beiden bei näherer Betrachtung relativ unähnlich. Herr Lehner, der in seiner Jugend viel in der Welt herumgekommen war, hatte akzeptieren lernen müssen, dass sich seine Frau am liebsten daheim aufhielt. Nein, fremde Länder reizten sie nicht im Mindesten, sie fühlte sich schon unwohl, wenn sie und ihr Mann die älteste Tochter, die im Salzkammergut verheiratet war, besuchten. Einer Fahrt auf dem Hallstättersee konnte sie, was man so hörte, wider Erwarten so gar nichts abgewinnen, was weder die Familie noch die anderen Leute an Bord des Schiffes verstanden…

Aber so war die Frau Lehner einfach. In ihren vier Wänden – ja da war sie daheim, alles andere war ihr suspekt. Ich habe mich oft gefragt, wie zwei so unterschiedliche Leute wie die beiden Lehners sich für’s Leben finden hatten können. Aber nicht nur dass diese Liebe nun schon fast vierzig Jahre hielt (mit ihren Höhen und Tiefen), waren immerhin auch vier Kinder geboren worden, die es in erwachsenen Jahren aber eher mit dem Vater hielten: Die große weite Welt lockte, was Frau Lehner oft Todesängste bescherte – in fremden Ländern konnte doch so viel passieren! Nichts desto Trotz kam der Nachwuchs jedes Mal wohlbehalten nach Hause…

Vor ein paar Jahren hatte aber Herr Lehner endgültig genug vom täglichen Einerlei daheim. Mit sanftem Druck überredete er seine Frau zu einem Urlaub in Italien, gar nicht so weit weg von der Grenze an der Adria und warum Frau Lehner schließlich doch nachgegeben hat, weiß nur Gott allein. Schon das Fliegen muss eine Tortur für Frau Lehner gewesen sein, schließlich hatte sie eine Neigung zur Hypochondrie und die Stewardessen waren im Dauereinsatz um die nervlich völlig aufgelöste Frau zu beruhigen. Was ich später so hörte war es Herrn Lehner unglaublich peinlich, dass sich seine Frau so gehen ließ, weil der Flug an sich ohne Turbulenzen von statten ging. Bei Frau Lehner hätte man meinen können, sie würde die letzte Ölung benötigen…

Wenn Sie mich fragen, liebe Leser, war diese Verhalten Frau Lehners stummer Protest gegen die Reise, der sie sich nicht mehr verweigern hatte können – mangels an passenden Argumenten und auch wegen der großen Freude, die ihr Mann deswegen an den Tag legte. Am Flughafen mit seinem speziellen Flair war er regelrecht aufgelebt, während Frau Lehner – man gestatte mir den etwas respektlosen Vergleich – ihre Flagge schon halbmast trug. Sie wollte nicht weg von daheim, davon bin ich überzeugt, deshalb flüchtete sie in die Rolle der Leidenden, um ihrem Mann ein schlechtes Gewissen zu suggerieren. Nicht besonders fair, da werden Sie mir sicher Recht geben, aber zum Teil durchaus auch unbewusst. Die Seele ist ein weites Land…

Die Vorfreude auf die Adria war alles, was Herrn Lehner letztlich blieb. Einigermaßen wohlbehalten im Hotel gelandet, beanstandete seine Frau in Folge alles, das vorort geboten wurde: das komfortable Zimmer, den Zimmerservice, die italienische Kost bis hin zu den Kellnern im Restaurant. Man konnte es ihr nicht Recht machen und als ihr am Strand dann auch noch die Geldbörse abhanden kam, war das nur Wasser auf ihren Mühlen! Sie hielt ihrem Mann anscheinend eine Predigt über die ach so touristenfeindlichen Italiener, die sie auch noch bestohlen hätten und machte aus einer Mücke einen Elefanten. Denn die Geldbörse wurde sogar im Hotel abgegeben, und wegen der fehlenden zwanzig Euro hätte man normalerweise nie so einen Aufwand machen dürfen…

Herr Lehner muss dem Vernehmen nach immer wieder versucht haben seine Frau zu beruhigen und zu beschwichtigen, aber irgendwann muss auch ihm klar geworden sein, dass es seiner Frau nur darum ging, den Urlaub so bald als möglich abzubrechen und wieder nach Hause zurückzukehren. Auch wenn sie es nie zugegeben hätte, ihr Unbewusstes ließ sie so handeln und im Grunde ist Frau Lehner eine völlig bedauernswerte Person, die abseits der Heimat verloren ist, weil sie nur daheim glücklich sein kann. Ein merkwürdiger Menschenschlag… Andererseits tat mir persönlich Herr Lehner noch mehr Leid, denn diesen einen Auslandsurlaub in so langen Jahren hätte er sich durchaus verdient gehabt…

Frau Lehner erreichte auf jeden Fall ihr Ziel und nach fünf Tagen buchte Herr Lehner entnervt den Heimflug um. Angeblich weil die Gesundheit seiner Frau angeschlagen war, aber auf dem Heimflug ging es Frau Lehner prächtig, sie lebte förmlich auf, weil sie sich wieder heimischen Gefilden näherte. Am Flughafen angekommen strahlte Frau Lehner und schien wieder völlig erstarkt. Herr Lehner hingegen machte einen müden Eindruck und schien ziemlich geknickt… Schließlich war er um seine große Urlaubsfreude gekommen und er unternahm danach auch keinen Vorstoß mehr, seine Frau zu einem Urlaub zu überreden… Es wäre mit Sicherheit einmal mehr nur bei der Vorfreude geblieben!

© Vivienne

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