Von der Ruhe in der Stadt – Ansichtssache

Kürzlich las ich ein Interview mit Olympiagewinner Markus Rogan, in welchem diesem unter anderen die Frage gestellt wurde: „Wo möchten sie leben?“. Der in Wien lebende Schwimmstar gab darauf die Antwort: „Mitten in der Stadt, wo ich meine Ruhe hab“.

Eine für Rogan ziemlich typische Aussage. Denn die Pointiertheit in dem Satz ist gewiss kein Zufall und ihm ist wohl auch bewusst, dass die Aussage für manche Menschen eine gewisse Widersprüchlichkeit in sich birgt. Andererseits muss er diesen, seinen Standpunkt auch nur vor sich selbst vertreten. Ich verstehe hingegen voll und ganz, was er meint.

Das Leben in der Stadt, noch vielmehr das Leben „mitten in der Stadt“ wird oftmals mit Lärm, Hektik und schlechter Luftqualität assoziiert. Natürlich sind diese Vorurteile, die oft auch von Landbewohnern vorgebracht werden, nicht gänzlich von der Hand zu weisen. Dass eine Stadt ein anderes Verkehrsaufkommen als der ländliche Bereich aufweist ist klar, auch leben wesentlich mehr Menschen auf engeren Raum zusammen. Alles Sachen, die nicht die Ruhe unmittelbar fördern – alleine aus dieser Sicht betrachtet, würde Rogans Aussage wohl wenig Sinn ergeben.

Einige Beiträge in der Bohnenzeitung haben sich bereits mit den Erscheinungsbildern einer Großstadt beschäftigt. Oft wurde dabei die Anonymität der in einer Stadt lebenden Menschen angeprangert, welche auch zweifellos ein Problem sein kann, wenn man nicht mit dem Großstadtleben umgehen kann. Es erscheint mir aber schwer vorstellbar, dass das Landleben eine  größere Möglichkeit bieten könnte mit Menschen zusammenzutreffen. Für jedes beliebige Interesse die Möglichkeit zu haben sie auszuleben und auch auf Gleichgesinnte zu treffen.  Dieser Artikel soll aber zu keiner Abrechnung zwischen Stadt und Land werden, dazu ist diese Entscheidung einfach zu persönlich und individuell zu treffen.

Die viel zitierte Anonymität sehe ich – auch wenn das jetzt zynisch klingen mag – als ein zusätzliches Angebot der Großstadt, nicht aber als ihren Normalfall. Anonymität nehme ich zeitweise gerne in Anspruch, ich bin nämlich zwar nicht mit allen Nachbarn verbrüdert, sehe mein gesellschaftliches Leben aber dennoch als durchaus ausgefüllt. Die Erzählungen vom Landleben, wo schon fast sprichwörtlich „jeder jeden kennt“ empfinde ich manchmal wie eine gefährliche Drohung. Mag sein, dass auch dies ein Vorurteil eines geborenen Großstädters ist – aber die Vorstellung der großen Dorffamilie hat mich noch nie wirklich glücklich gemacht.

Manche können sich vielleicht noch an den Fall erinnern, als in Wien Pensionisten jahrelang tot in ihrer Wohnung lagen, ohne dass es jemand merkte. Das ist natürlich die böse Fratze der Medaille, fällt aber unter die Problematik Alterseinsamkeit, die in der Großstadt leider noch genährt wird.

Ich verstehe es zum Teil, wenn ein typischer Landbewohner die Großstädter als anonym und einsam sieht. Ihm irritiert natürlich, dass die Stadtmenschen zum Teil auch aneinander vorbei leben, da er dies aus seiner Umgebung nicht kennt. Andererseits ist dies bei dieser Anzahl von Menschen auch gar nicht anders möglich und dies bietet zugleich die Chance seine Anonymität genau zu definieren. Das denke ich, wird Markus Rogan wohl auch ähnlich gemeint haben. Ein 22jähriger, über den die Popularität über Nacht hereinbrach, kann möglicherweise tatsächlich in der Großstadt seine ihm zustehende Privatsphäre besser wahren. Mehr Ruhe haben …

Pedro

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