Ich beendete das Gespräch am Handy per Knopfdruck. Kopfschüttelnd griff ich dann nach meinen Zigaretten und zündete mir eine davon an. Mein Bruder Claudio hatte sich eben, wenige Tage nach seinem Urlaub in der Türkei, bei mir zurückgemeldet und sein Bericht über den Aufenthalt hatte mir fast die Sprache verschlagen. „Meine Frau hat jedenfalls gesagt, Last Minut buchen wir sicher nicht mehr! Und ich gebe ihr völlig Recht!“ schloss er seine Ausführungen. „Angela ist fast noch mehr sauer als ich, aber das verstehst du sicher… Grüß Ali von uns, bis bald!“
Ich inhalierte den Rauch genüsslich und dämpfte den Glimmstängel dann aus. Während ich in die Küche zurückging und den Gemüseauflauf für Ali und mich in den Herd schob, ließ ich mir die Erzählung meines kleinen Bruders Claudio noch einmal durch den Kopf gehen. Kann man so viel Pech haben? fragte ich mich immer wieder. Ich selber war ja in den letzten Jahren nicht unbedingt arm an unerwarteten Urlaubsabenteuern geblieben aber Claudio schloss heuer fürwahr den Vogel ab. „…das Verhängnis begann schon am Flughafen, das musst du dir vorstellen! Wir hoben erst mit einem halben Tag Verspätung ab. Ich glaube nicht, dass du da ruhig geblieben wärst…!“
Da hatte Claudio sicher Recht, ich hätte wohl am Flughafen schon zu rotieren begonnen. Aber der sonst eher stoische Claudio und seine Frau hatten sich da in ein Abenteuer eingelassen, das erst sieben Tage und Nächte später nach der Rückkehr von der Türkei ausgestanden war. „Im Hotel bot sich uns das nackte Grauen!“ Claudio keuchte auch in Erinnerung noch hörbar. „Ungeziefer im Bett, unter dem Bett und im Bad! Die Haare haben sich bei uns aufgestellt, als wir mitten in der Nacht endlich eingecheckt hatten und wir unser Zimmer beziehen wollten. Wir waren so müde, Angela und ich, aber an Schlaf war trotzdem nicht zu denken. Uns hat ja so gegraust, das kannst du dir nicht vorstellen, Vivi…“
Der Gemüseauflauf würde noch eine Weile brauchen, stellte ich fest, also genehmigte ich mir einen Capuccino aus löslichem Pulver. Den brauchte ich jetzt einfach… Claudios Stimme begann schon wieder in meinem Ohr zu tönen. „…am Morgen frühstückten wir, dann machte ich in der Rezeption einen ordentlichen Wirbel. Man entschuldigte sich vielmals und schließlich wurden wir gegen Mittag in ein anderes, weiter entfernt gelegenes Hotel transferiert. Dort war das Zimmer wenigstens mustergültig, aber nachdem wir uns ein paar Stunden niedergelegt hatten um endlich ein wenig zu schlafen, mussten wir beim Erkunden der Gegend feststellen, dass hier tote Hose war. Kein Lokal, kein Restaurant in der Nähe. Der Strand war zwar recht schön, aber eine Viertelstunde Fußmarsch entfernt. Und keine Möglichkeit uns irgendwie zu amüsieren in der Gegend, nicht einmal ein Museum oder sonst was zum Anschauen.“
Ich versuchte mir das Geschilderte vorzustellen, aber ich konnte nicht wirklich. Immer wieder musste ich an das Ungeziefer im Bett denken, und dann drehte sich automatisch der innere Film bei mir ab, weil mir übel wurde… Claudios Stimme umfing mich wieder. „… ein Bus fuhr alle zwei Stunden in die nächste größere Stadt, der letzte fuhr um etwa 20:00 Uhr wieder zurück zum Hotel. Wir konnten gerade ein paar Andenken besorgen und verschickten Ansichtskarten. Kommt nie hierher! schrieb ich auf jede! Wir meldeten uns schließlich im Hotel für einen Ausflug ins Landesinnere an, um nicht völlig zu versauern, aber man hat einfach auf uns vergessen. Wir warteten über eine halbe Stunde, bis wir das endlich realisierten. Es war gar nicht daran zu denken, dass wir unser Geld retour bekamen, also verbrachten wir die meisten Zeit am Strand… das heißt, bis Angela und ich die Darmgrippe bekamen…“
Beinahe hätte ich in Gedanken auf den Gemüseauflauf vergessen. Er machte sich nun durch intensiven Geruch bemerkbar, aber es war noch nichts passiert. Ich kippte das Fenster in der Küche und nahm den Auflauf zum Abkühlen heraus. Claudio allerdings fuhr in meinem Kopf unerbittlich mit seiner Geschichte fort. „…keine Ahnung, wie wir uns infiziert haben. Angela und ich haben sicher kein Leitungswasser getrunken. Aber wir sind dann die zwei Tage bis zum Heimflug nur mehr gelegen… Mir ging es schneller besser als Angela, ich habe den Nachmittag vor dem Rückflug damit verbracht, mehrfach herumzutelefonieren, ob man uns nur ja nicht hier im Hotel vergessen würde. Ich hätte durchgedreht, wenn wir den Urlaub noch zwangsweise verlängern hätte müssen…“
Ich verstand meinen Bruder gut. Wer hätte angesichts dieser Erlebnisse nicht die Nerven weggeworfen? Selber hatte ich ja auch schon manches im Urlaub erlebt, aber das schien mir fast der Inhalt einer schlechten Slapstickkomödie zu sein. Der Ausklang dieses Urlaubs gestaltete sich wenig versöhnlicher. „…na ja, eine Stunde wieder fast Verspätung beim Rückflug, und die Stewardess hat mir den heißen Kaffee noch auf das frische Hemd geschüttet. Als wir in Hörsching endlich gelandeten sind, haben meine Frau und ich förmlich die Flucht aus dem Flieger ergriffen. Das Gepäck hatten wir Gott sei Dank schnell beisammen, dann nahmen wir das nächste Taxi und daheim gleich ab unter die Dusche. Du kannst dir nicht vorstellen, wie erholsam es für uns war, heimzukommen…“ Doch das konnte ich nach dieser beredten Schilderung durchaus. Irgendwie war mir momentan die Lust auf Urlaub völlig abhanden gekommen…
© Vivienne