Susi war zu einer recht ansehnlichen Katze herangewachsen, mit einem kuscheligen, dichten Fell und einem relativ dicken, buschigen Schweif. Sie erlebte ihre ersten Abenteuer im Schnee und wurde, als es kalt wurde, etwas ruhiger. Ja, sie begann es zu genießen, wie Kater Stocki vor dem Kaminofen zu liegen und die Wärme des knisternden Feuers auf ihrem Fell zu spüren. Ihre Streitereien mit Stocki stellte sie trotzdem nicht ein – bei jeder sich bietenden Gelegenheit fiel ihn die dunkel getigerte Katze mit den weißen Pfoten an um obligat ihre Tatzenschläge als Retourkutsche dafür zu kassieren. Wer nicht lernen will, muss fühlen…
Heiliger Abend! Der Schnee der Vortage fiel einem Temperaturanstieg zum Opfer. Nach einem etwa halbstündigen Kampf mit der Nordmanntanne – sie musste erheblich gekürzt werden, bis sie in den Ständer passte – konnte ich unseren Weihnachtsbaum endlich aufstellen und mit dem Schmücken beginnen. Glücklicherweise ließ sich das relativ schnell bewerkstelligen, ich war rascher fertig, als ich erwartet hatte und gerade, als ich die letzten Kerzen am Baum verteilt hatte, kratzte es an der Tür. Susi stand im Flur und begehrte Einlass. Als sie den Baum sah, hielt sie inne, vorsichtig näherte sie sich der Nordmanntanne von der Seite, die mit den Kugeln wunderschön aussah, und kletterte dann unter den Baum. Ich schluckte, kannte ich doch unsere junge Katze und wusste, dass man alles von ihr erwarten durfte – sprich: jede Katastrophe…
Aber Susi saß nur unter dem Weihnachtsbaum und schließlich schlug sie spielerisch auf eine goldene Weihnachtsglocke ein. Die begann hin und her zu pendeln, was Susi fasziniert beobachtete, dann gähnte sie aber unverhohlen und rollte sich auf der dicken Decke, auf der der Baum stand, ein um zu schlafen. Ich beobachtete sie mit Misstrauen, aber Susi machte keinerlei Anstalten, den Baum im Spiel zum Schwanken zu bringen oder gar umzuwerfen. Also ging ich nach oben und fing, nach dem ich mir einen Kaffee genehmigt hatte, mit dem Kochen an. Es sollte nach altem Brauch Bratwürste bei uns geben und als kurz vor zwölf mein Freund bei uns eintraf, ging ich gleich mit ihm nach unten um ihm stolz den Baum zu zeigen.
Georg nickte anerkennend, als er das Prachtexemplar musterte, aber wo war unsere Susi geblieben? Unter dem Baum lag sie nicht mehr, nein, denn sie hatte sich auf unser Bett gelegt, auf die feine Microfaserbettwäsche wie um ihre Rechte zu demonstrieren. Ich streichelte sie zärtlich, worauf sie sich streckte und laut zu schnurren begann. Ein Bild für Götter, aber auch meine Schwester und ihr Mann hatten eben an der Tür geläutet, also gingen wir zwei wieder nach oben um die Neuankömmlinge zu begrüßen. Wenig später aßen wir zu Mittag, dann setzen wir Kaffee auf und das Bischofsbrot, das die Schwiegermutter meiner Schwester für uns gebacken hatte, wurde angeschnitten. Stocki lag wie schon den ganzen Vormittag ungerührt vor dem Ofen und schlief. Nur einmal war er kurz aufgestanden um zu fressen. Was hätte er auch an so einem langweiligen Tag sonst tun sollen?
Die Familie saß plaudernd beisammen, wir erinnerten uns an dies und das, während das Fernsehgerät daneben lief, ohne dass es jemand beachtete. Am späten Nachmittag verstauten wir die restlichen Geschenke – so manches war ja der Einfachheit halber schon vor dem Fest verteilt worden – bei mir unter dem Weihnachtsbaum und ich legte eine uralte Weihnachts-CD in den CD-Player ein. Susi lag weiter ganz ruhig auf dem Bett, während die große Familie sich in meinen Räumlichkeiten verteilte. Mein Vater setzte sich auf das Doppelbett, dann stimmte er mit uns in „Stille Nacht, Heilige Nacht“ ein. Es hat bei uns Tradition, dass wir alle drei Strophen dieses Liedes durchsingen, bevor die Bescherung beginnt.
Diesmal hielten wir aber schon bei der ersten Strophe kurz inne. Susi war bei den ersten gesungenen Worten aufgesprungen, ihr Gesicht zeigte Überraschung und Angst, ihre Ohren waren zurückgelegt, als hätte sie etwas vernommen, das sie als zutiefst unangenehm empfunden hätte. Dann sprang sie vom Bett und ergriff durch die halb geöffnete Tür die Flucht. Wir lachten kurz, weil die Abwehrreaktion der Katze kein gutes Licht auf die Qualität unseres Gesanges warf. Wir setzten dann aber unverdrossen mit Strophe zwei fort um uns danach den Geschenken zu widmen. Was hatte diese Katze schon für eine Ahnung von guter Musik!
Vivienne