Der Winter hatte dieses Jahr sehr lange gedauert. Susi war zu einer wunderschönen Katze herangewachsen mit dichtem Fell (ein Viertel Angora) und einem ungewöhnlich langen, buschigen Schweif. Sie war aber trotzdem anschmiegsam und zärtlich geblieben, schlief manche Nacht mit mir in meinem Bett und verabsäumte auch weiter keine Gelegenheit, den Kater zu überfallen. Stocki reagierte wie gewohnt sehr sauer auf diese spielerischen Attacken und ab und zu ertappte ich ihn schon dabei, wie er seinerseits Susi ohne Grund einen Hieb verpasste. Körperlich war ihm unser Katzerl ohne jeden Zweifel unterlegen, aber ihr Spieltrieb beherrschte sie so sehr, dass sie nicht daran dachte, ihre Überfälle zu unterlassen. Sie fühlte wohl auch instinktiv, dass ihr der Kater nichts tun durfte – von uns aus, und nutzte diese Situation weidlich aus.
Mit dem Ende des Winters war Susi ausgewachsen. Das merkten mein Freund und ich spätestens an dem Abend, als wir von einem Kinobesuch heimkamen. Susi wartete vor der Haustür, sie miaute und zitterte am ganzen Körper. Dazu vibrierte ihr Schwanz fast wie ein Milchshaker und in Katzenmanier reckte sie das Hinterteil in die Höhe. Der Schwanz war steil aufgerichtet. Susi war rollig geworden, von den Trieben übermannt und, man kann es ruhig so nennen, „mannstoll“ geworden. Ich schnappte mir die Kleine, fütterte sie und verpasste ihr im Anschluss daran die Pille. Zugegeben, wir hatten durch den langen Winter übersehen, dass die Katze geschlechtsreif geworden war und der erste Föhn hatte die Hormone von Susi völlig in Aufruhr gebracht.
Aber mit der Pille hatte ich die ersten Gefahren einmal abgewendet. Susis akute Rolligkeit besserte sich zusehends – sofern man in dem Zusammenhang wie von einer Krankheit sprechen konnte. Trotzdem verbrachte sie nun Nacht um Nacht außerhalb des Hauses, meist im Garten oder in der Nachbarschaft. Und abends oder am Morgen konnte ich immer wieder beobachten, wie die Katze mit den Katern der Umgebung herumzog. Vor allem die jüngeren Semester hatten es ihr dabei angetan – unsere Susi war wählerisch und gewährte nicht jedem Kater ihre Gunst. Dabei war ihr Herz durchaus groß, meist sah ich sie jedes Mal mit einem anderen Tiger der Umgebung spazieren. Unsere Susi war also mehr als nur begehrt…
Stocki war durch diese Situation nicht unbedingt glücklich, ganz im Gegenteil. Susis Verehrer brachten ihn auf die Palme, weil er sein Revier – und er sah das Haus und den Garten durchaus als solches an – plötzlich gegen unerwartet viele Eindringliche zu verteidigen hatte. Er kam schön langsam in die Jahre und in der letzten Zeit hatte er Einiges einstecken müssen. So manche vernarbte Wunde zeugte noch von Kämpfen, die keinen sehr glücklichen Verlauf für ihn genommen hatten. Da passte es ihm noch weniger in den Kram, dass Susi mit ihrer Rolligkeit so viele Kater anlockte. Ich konnte mir gut vorstellen, dass er die Existenz der kleinen Susi im Grunde mit vielen Problemen für ihn in Zusammenhang brachte. Armer Kater! Susi erlebte ihren ersten Frühling, und er, Stocki, war deswegen in noch mehr Revierkämpfe als sonst verwickelt.
Eines Nachts wurde ich von einem Geräusch wach. Mein Freund neben mir schlief, er hatte anscheinend nichts gehört. Ich machte die Lampe am Nachttisch an und horchte noch einmal genauer hin. Es klang, als würde sich jemand am linken Fenster zu schaffen machen. Ich stand auf und ging hinüber. Rasch zog ich den Vorhang zur Seite und erschrak kurz. Susis grüne Augen glänzten wie Leuchtsteine in der Dunkelheit. Sie miaute kaum hörbar und tapste immer wieder mit ihren Pfoten an die Scheibe. Von dem Geräusch war ich dann auch wach geworden. Auf den zweiten Blick bemerkte ich dann auch, dass es zu regnen begonnen hatte. Darum hatte Susi genug von den nächtlichen Rendezvous!
Ich holte die Katze in den nächsten Minuten herein. Sie schnurrte zärtlich und rieb ihren nassen Körper immer wieder an meinen nackten Beinen. Schließlich schnupperte sie im Futternapf, fraß ein paar Brocken Whiskas und machte es sich in einer alten Schuhschachtel bequem. Ich sah kopfschüttelnd zu. Diese Schachtel war zuletzt Stockis Lieblingsplatz gewesen, der würde sicher nicht erfreut sein darüber, dass sich die ungeliebte Katze jetzt dort breit gemacht hatte. Aber das war jetzt nicht mein Problem. Ich drehte das Licht ab und ging wieder zu Bett.
(C) Vivienne