Sprung ins Ungewisse – Teil 32

Mittagspause.
Geli saß in der Küche der Firma.
Löffelte eine Lassagne.
Eigentlich stocherte sie nur darin herum.
Gedanken wirbelten durch ihren Kopf.
Dr. Schießer hatte sie heute Vormittag ins Büro geholt.
Und ihr ein Angebot gemacht.
Eines von der Sorte, die man nicht ablehnen kann.
Obwohl er gesagt hatte.
Lassen Sie sich Zeit, Frau Steyrer.
So viel Sie möchten.
Andererseits hatte er keinen Zweifel daran gelassen:
Aber ich würde Sie gerne weiter hier bei uns sehen.
Und das in dieser Position.
Sie haben ein tolles Potential.
Und Sie werden mich im Nu perfekt unterstützen.
Ich habe gesehen, was Sie können.
Sie werden schnell in den neuen Arbeitsbereich hinein wachsen.
Davon bin ich überzeugt.
Geli seufzte.
Führte die Gabel mechanisch zum Mund.

Vor einer Woche erst hatte sie noch kündigen wollen.
Fast sofort.
Nach dem Auftritt von Hannes.
Als ihn Meier gekündigt hatte.
Sie war nicht in Urlaub gegangen.
Obwohl ihr Meier das geraten hatte.
Sie war die halbe Nacht wach gelegen.
In dieser Nacht.
Hatte gegrübelt.
Der Wunsch wegzulaufen war übermächtig.
Wo anders neu anfangen…!
Meine Ruhe haben!
Aber war sie nicht eben erst weggelaufen?
Wurde es bei ihr nicht langsam zur Gewohnheit?
Davonzulaufen?
Die Probleme hinter sich zu lassen?
Die woanders wieder auftauchten?
Mal so und mal so?
Hatte sie überhaupt Grund sich zu beklagen?
Neben ihr lag Manfred.
Ein echter Glücksfall.
Anders als alle Männer.
Die sie bisher geliebt hatte.
Oder zu lieben geglaubt hatte.
Machte sie sich nicht oft selber das Leben schwer?
Suchte sie nicht immer die Schuld bei sich?
Fast als wäre sie heiß auf Prügel…

Am nächsten Morgen war sie in die Arbeit gefahren.
Kein Kollege verlor ein Wort über Hannes.
Oder Alexa.
Natürlich wurde über sie geredet.
Oder besser gesagt:
Einfach getuschelt.
Sie merkte es immer wieder.
Wenn eine Unterhaltung erstarb.
Wenn sie ein eintrat.
Aber wurde nicht überall über jeden geredet?
Warum aufregen?
Warum ärgern?
Warum partout das Negative darin sehen?
So was war normal!
In ein paar Wochen würde das Gerede aufhören.
Normalität würde einkehren.
Und jemand anderer könnte im Mittelpunkt des Tratsches stehen.
Jemand anderer…
Denn irgendwann war alles gesagt…

Hannes stand am Bahnhof.
Der Wind pfiff ihm um die Ohren.
Es würde sicher gleich zu regnen anfangen.
Ein Freund hatte ihm ein Vorstellungsgespräch verschafft.
Bei einer Wiener Firma.
Interessanter Job.
Nach den Erzählungen seines Freundes.
Aber er würde kleinere Brötchen backen müssen.
Finanziell.
Das würde er sicher spüren…
Aber er konnte nicht wählerisch sein.
Nicht in seiner Situation.
Er musste froh sein über alles…
Hannes nieste.
Dann zog er an der Zigarette.
Als wollte er sich daran festhalten.
Vielleicht sollte er überhaupt nach Wien ziehen.
Wenn es mit diesem Job klappen sollte.
Er hatte die Nase voll.
Von diesem Provinznest.
Von seinen Freunden.
Die über ihn den Kopf schüttelten.
Was hast du dir nur dabei gedacht?
Einer hatte es auf den Punkt gebracht?

Warum?
Das hatte sich Hannes selber schon gefragt.
Er war wie berauscht gewesen.
Die ganze Zeit, die er diesen Plan verfolgt hatte.
Und wenn er ehrlich wahr:
Besonders klug war die Idee wirklich nicht gewesen.
Im Grunde hatte er durchgedreht.
Weil Geli einen Freund hatte.
Obwohl ihn das gar nichts anging.
Hatte sie ihm nicht immer wieder zu verstehen gegeben?
Du interessierst mich nicht!
Der Zug fuhr in den Bahnsteig ein.
Hannes warf die halb gerauchte Zigarette auf den Boden.
Trat sie aus.
Und stieg ein.
Der Zug war voller Leute.
Mühsam zwängte sich Hannes in ein Abteil.
Zwischen lauter Ungarn nahm er Platz.
Auch noch ein Nichtraucher!
Gut, das würde er sicher überleben.
Hannes lehnte sich zurück.
Der Zug bewegte sich aus dem Bahnhof.
Er schloss die Augen.
Lange war er nicht mit dem Zug gefahren.
Und heute beschlich ihn so einmerkwürdiges Gefühl dabei.
Ein Gefühl von Abschied.
Und irgendwie endgültig…

© Vivienne

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