Später Frieden mit sich…

Ich hatte Albert zuerst zugehört ohne ihn zu unterbrechen. „Er ist wieder auf freiem Fuß, dieser Schulkollege von dir?“ Mein Mann nickte. „Seit ein paar Wochen schon und er sucht eine neue Arbeit, verständlich… Nur als Buchhalter wird er klarerweise nirgends mehr unterkommen. Armer Teufel, wir waren nie besonders gut, aber…“ Alberts Stimme war überraschend laut geworden und ich blickte ihn etwas verwirrt an. Mein Mann schüttelte den Kopf und nahm sich wieder zurück. „… das hat er nicht verdient. Das verdient keiner. Er ist auf dieses Luder hereingefallen und die hat sich ihre Schuhe abgeputzt an ihm. Was auch sonst? Dumm war er nicht, der Stefan, aber halt etwas naiv was Frauen betrifft…“ Ich ließ meinen Mann mit seinen Gedanken allein und zog mich ins Schlafzimmer zurück, wo ich die Betten neu bezog. Natürlich kannte ich die Geschichte von Stefan Hopfner gut, als vor bald drei Jahren die Sache publik geworden war und die Zeitungen darüber schrieben, hatte mir Ali, als sein Schulkollege, so manche Hintergrundinformation liefern können, die in den Printmedien nicht zur Sprache gekommen waren…

Stefan Hopfner war der einzige Sohn einer sehr ehrbaren Familie gewesen. Sein Vater hatte die kleine Familie so gut wie möglich über die Runden zu bringen versucht. Er war oft monatelang auf Montage gewesen und als Stefan gerade erst die Handelsakademie mit ausgezeichnetem Erfolg bei der Matura abgeschlossen hatte, war dieser an einem Herzinfarkt verstorben. Völlig unerwartet – niemand hatte etwas von Hopfner Seniors Herzproblemen geahnt. Dem Vernehmen nach nicht einmal er selber, bis er umgefallen war und alle ärztliche Kunst ihn nicht mehr retten hatte können. Aber Stefan, der sich laut Ali schon während der gemeinsamen Schulzeit immer sehr arrogant und überheblich gegeben hatte, kam ein echter Glücksfall zu Hilfe: ein Firmenchef, der von der Tragödie gehört hatte, nahm den Maturanten bei sich auf und Stefan erwies sich dieser Vorschusslorbeeren durchaus als würdig. Schulungen speziell im Bereich Buchhaltung ließen den jungen Mann im Lauf der Jahre unentbehrlich im Unternehmen werden…

Ich verstaute die Bettwäsche in der Waschmaschine und schaltete den Waschgang ein… Wie hatte Albert erzählt? Stefan, so genial er sich auch im Umgang mit Zahlen erwies, war dennoch ein echtes Mamasöhnchen geblieben. Frauen machten ihn verlegen und er zeigte immer wieder Hemmungen im Umgang mit dem anderen Geschlecht. Bis er vor ein paar Jahren einer reifen Schönheit in die Arme gelaufen war. Wie hieß diese Frau noch? Gerda Dürrschmied, richtig, etwas billig und kein Kind von Traurigkeit und der naive Bursche war ihr hilflos ausgeliefert. Sie dürfte Stefan nicht nur zum Mann gemacht haben sondern auch völlig abhängig von sich. Und sie begann sukzessive, ihren unerfahrenen Geliebten auszunehmen. Zuerst, so hatte mir Ali zu berichten gewusst, hatte sie ihm nur kleinere Beträge abgenommen – wohl um zu testen, wie der sonst so solide Angestellte auf derartige Forderungen reagieren würde. Und Stefan ließ sich nicht lumpen: er steckte Gerda Dürrschmied nach und nach nicht nur alle seine Ersparnisse in den Rachen – das Luder ließ nicht locker und brachte Stefan schließlich dazu, dass er Geld aus der ihm anvertrauten Kasse holte. Schließlich hatte ihm Gerda gedroht, sie würde ihn verlassen, wenn er sie so vernachlässigen würde – und in seiner Verzweiflung, seine Ersparnisse waren aufgebraucht und Kredite hatte er bereits laufen, war Stefan zum Dieb geworden…

Ich schreckte auf, als Albert seinen Kopf ins Bad hereinstecke wo ich die Waschmaschine die ganze Zeit beobachtet hatte. Minuten später saß ich neben Albert auf der Couch und er zündete mir eine Zigarette an… Dieser Diebstahl hatte irgendwann einmal auffliegen müssen, nur Stefan selbst dürfte weiter verzweifelt gehofft haben, das fehlende Geld irgendwann einmal ersetzen zu können. Er traute sich nicht mehr auf Urlaub gehen und kämpfte dabei um die Liebe dieser furchtbaren Frau. Der unausweichliche Schlag traf den einmal so mustergültigen Buchhalter schließlich gleich mehrfach. Ein paar Tage, nachdem ihn Gerda Dürrschmied endgültig verlassen hatte, brach er mit einer übergangenen Lungenentzündung in der Firma zusammen und am nächsten Tag fielen die jahrelangen Unregelmäßigkeiten endlich auf. Vom Krankenbett kam Stefan in Untersuchungshaft, und später wurde er in einem für ihn unglaublich demütigenden Prozess zu einer teilbedingten Strafe verurteilt. Gerda Dürrschmied zog sich dabei wie erwartet mit „völliger Ahnungslosigkeit“ aus der Affäre – das Gegenteil hatte ihr der Staatsanwalt nie eindeutig nachweisen können und Stefan musste im Bewusstsein dessen, dass er der Frau, für die er sich ruiniert hatte, auch nie etwas bedeutet hatte, seine Haftstrafe antreten…

„Die Situation ist sicher nicht leicht für ihn…“ brachte ich Ali gegenüber das Thema noch einmal zur Sprache. Mein Mann nickte. „Natürlich, aber er hat sich auch geändert. Glaub mir…“ fuhr er zu mir gewandt fort. „Stefan ist geläutert und von seiner früheren Arroganz ist nichts geblieben. Außerdem…“ Ali lächelte versonnen. „… er hat seinen Frieden gefunden. Er ist im Einklang mit sich selbst. Und das ist das Wichtigste!“ Ich hob die Augenbrauen. „Wie das?“ Ali legte den Arm um mich. „Nach der Haft hat er erfahren, dass auch Gerda Dürrschmied zu Fall gekommen ist. Durch ihren neuen Liebhaber, der sie nur ausgenutzt hat, der mit ihr das Spiel gespielt hat, das sie mit Hopfner geführt hatte. Zwar hat der ihr kein Geld abgenommen, aber mit Zuckerbrot und Peitsche hat er sie erniedrigt und klein gemacht, zu einem Nervenbündel halt, das nicht mehr von ihm losgekommen ist. Ein Heidenspaß für diesen Liebhaber: er hat sie nur gelegenheitshalber zum Vögeln zu sich bestellt und sie schließlich rausgeworfen… Er hatte sich eine neue Liebe gefunden!“

Mit großen Augen war ich Alis Erzählung gefolgt. „Ja, woher weiß man denn das? Hatte Stefan denn noch Kontakt zu dieser Schlampe?“ Ali schüttelte den Kopf. „Reiner Zufall, wie so oft. Der Bewährungshelfer, der Stefan betreut, hat das herausbekommen – der Mann, der Stefan Hopfner da indirekt gerächt hat, ist ein alter Bekannter von ihm. Wie auch immer. Die Tatsache, dass Gerda Dürrschmied jetzt auch zum Handkuss gekommen ist, hat Stefan mit dem Leben ausgesöhnt. Und vielleicht klappt es mit einem neuen Job auch bald wieder. Ich wünsche es ihm wirklich!“

Nach einer wahren Begebenheit

© Vivienne

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