(…sehr breitbeinig in Aristoteles riesigen Fußspuren wandelnd)
Der abgeschlossene Kurzroman
Irgendwer oder irgendwas trampelte nun schon seit Stunden geräuschvoll durch das dichte Buschwerk.
Bislang waren Tage und stockdunkle Nächte eher durch Gleichförmigkeit greif- und Veränderung scheinbar überhaupt nicht erwartbar. Doch nun auf einmal ließ dieses tiefe Grummeln und Beben auf kommende, sehr große Abenteuer schließen.
Pilatäus Frogg, in den Äußerlichkeiten einer Quappe nicht ganz unähnlich, vom Stamme der Arachis, einer Untergruppe des Clans der Schmetterlingsblütler im Westen der Region eher ein Leichtgewicht, stieß aufgeregt seine links und rechts vor sich hin schlummernden Brüder und Schwestern an und wunderte sich, dass sie alle noch in ihren Kinderträumen zu verharren schienen.
„He, Leute, aufgewacht! Da kommt was verdammt Großes auf uns zu und ihr schnarcht hier miteinander um die Wette!“
Hatte er nun mit einer aufgeregten Schar gerechnet, die sich verwundert die Augen rieb oder zumindest geräuschvoll die Glieder reckte um so die Geister der Nacht abzuschütteln, war die Reaktion auf seinen Appell hin, wohl als eher dürftig einzuschätzen.
Seltsam, diese ansonsten so aufgeregte Hammelherde war wohl über Nacht stocktaub geworden. Aber dieses erdige Grummeln im Magen, musste doch seine Wirkung auch in einem Heim für lauter Schwerhörige Wirkung entfalten.
Verwirrt schaute Pilatäus Frogg um sich, erstaunt, welches Bild sich ihm bot.
Überall nur entspannte Gesichter, von den Musen der Nacht noch scheinbar wohlbehütet.
Schließlich war es dann seine Lieblingsschwester Denikotea Lumpus, die, etwas weiter links von ihm ruhend, verschlafen nach der genauen Uhrzeit fragte.
„Denny…“ Pilatäus Frogg nannte Denikotea schon seit den Tagen ihrer Geburt, immer nur mit dieser verkürzenden Anrede,
„Denny, du hast Nerven. Da tut sich endlich hier im Busch mal was und du denkst natürlich nur ans Fernsehen.“
„Quatsch, Pille, fernsehen. Ich wundere mich nur, dass gerade du es bist, der uns des nächtens aus den Träumen reißt. Denn immer sind wir es doch, die dich an deine Pflichten zu erinnern haben. Du Träumer du! Wir müssen dich stetig daran erinnern, dass du zu wachsen hast, anstatt den ganzen Tag nur in der Hängematte zu verbummeln.“
Denikotea, schon immer sehr erbost, nicht von allen hier mit ihrem vollen Namen gerufen zu werden, spielte nun frech den Ball zu ihrem scheinbar immer so saumseligen Bruder zurück, indem sie ihrerseits seinen Namen aufs gemeinste verstümmelte.
„Pass auf, Denny, unser bisher so langweiliges Leben könnte sich nun völlig ändern. Deine telegene Liebesnovelle ist ein Scheißdreck gegen das Abenteuer, das ich nun schon so lange erwarte. Und außerdem ist es überall schon taghell!“
„Mensch Pilatäus Froschgesicht, zieh mich nicht immer mit der Soap -Butterblümchen- auf. Ich habe vermutlich nur eine ganz andere Einstellung zu Liebe, Harmonie und Romantik, als du. So lass mich doch mal endlich in Frieden. Du träumst von großen Abenteuern und einer Berufung als weltbekannter Philosoph und ich nur von einem kleinen, zierlichen Blümchen in einer Hecke und einem in dessen Nektar vernarrten Bienchen.“
Schon die Tatsache, dass ihn seine Schwester nun wieder mit seinem verunglimpften Namen ansprach, ließ Pilatäus Frogg etwas vorsichtiger werden. Er wusste aus Erfahrung, dass mit dieser früher so zarten Person, nun nicht nur immer gut Käse zu essen war.
Doch, noch bevor er auf Dennys schwerwiegende Anklage reagieren konnte, denn genau so war sie wohl gemeint, diese barsche Ansprache, tat sich vor ihnen der Busch auf.
Nicht nur er war es, der sich verwundert die Augen rieb.
Ein langer, vorsichtig tastender Arm mit nur einem einzigen, überaus gewandten Finger, glitt die lange Reihe ihrer Liegestätten entlang.
Während es nun an den Anderen war, endgültig aus ihren Träumen zu erwachen, machte sich Pilatäus Frogg nichts mehr vor.
Genauso hatte er es einst kommen sehen. Das was er sich schon immer so gewünscht hatte, im tieferen Sinne sogar herbeigesehnt, war nun auf einmal Wirklichkeit. Diese scheinbar zeitlose Langeweile hatte nun ein Ende! Und er würde endlich zu der gleichnishaften Erkenntnis der Wahrheiten Gottes kommen.
Sein ganzer Clan hatte sich damals aufgeregt. Dabei hatte er doch nur laut vor sich hingedacht.
„Ich möchte nur mal wissen, was der Schöpfer sich dabei gedacht hat, als er die Erdnuss erschuf.“
„Pilatäus Frogg, der große Denker? Lass man gut sein, irgendeinen Sinn haben Erdnüsse schon. Und sich darüber den ganzen Tag den Kopf zu zerbrechen, kann nur einem solchen Träumer wie dir Spaß machen.“
Fermento Capilaris, einer der Erstgeborenen und daher meist ziemlich großkotzig daherkommend, sich wohl nur in seiner Konzentration beim Kartenspiel gestört fühlend, hatte damals frech das Wort für alle ergriffen.
Nein, Pilatäus Frogg fühlte sich hierdurch nicht etwa angegriffen oder auch nur missverstanden. Ganz im Gegenteil, er fühlte sich damit in seiner innersten Überzeugung sogar bestätigt.
Es war dann aber seine kleine Schwester, die in den letzten Tagen ganz ordentlich an Gewicht zugelegt hatte, die ihn wieder auf das Grundproblem seiner eigenen Existenz zurück zu bringen gedachte.
„Du musst zulegen, Brüderchen, ordentlich wachsen. Sonst wirst du durch alle Raster fallen. Unser Schöpfer will uns groß und kernig sehen.“
Ach ja, der Schöpfer!
Dieses mild verschmitzte Lächeln auf dem Gesicht. Und immer, sich zu ihnen herab beugend, dabei ihre Köpfe sehr sanft und beruhigend streichelnd.
Der daraufhin stets erfolgende erfrischende Wasser-Guss ließ in so manchem hier ein Gefühl des Geborgensein aufkeimen.
Aber dieses gewaltige Gestampfe jetzt und dieser sehr seltsame Arm mit dem vereinsamten Finger war ganz bestimmt nicht etwa schon wieder der Schöpfer. Hier war nun ein ganz anderes, wohl noch mächtigeres Wesen im Spiel. Oder deren mehrere?
„Ob Ihr es mir nun glaubt oder nicht, Brüder und Schwestern, wir dienen wohl doch alle einem höheren und erhabeneren Zweck!“
Beinahe hatte er es damals hinausgeschrien. Doch zu dieser Zeit war sein Stimmchen noch zu schwach entwickelt und so reichte es auch nur zu einem leisen Flüstern.
Solche Gedanken ließen ihn aber auch schon damals nicht mehr los.
„Na klar, du Träumer. Demnächst laberst du noch davon, dass uns entweder die Elefanten fressen, oder die Bleichgesichter im Norden, geröstet, gesalzen und aus bunt bedruckten Aludosen. Was für ein Dummkopf du doch bist!“
Allgemeines Gelächter folgte auf Fermento Capilaris Anschiss. Diese verfluchten Ignoranten! So jedenfalls dachte Pilatäus Frogg da noch.
Nach Tagen erregten Nachsinnens konnte er dieses Gedankenbild beinahe sogar nachvollziehen. Wozu ruhen und wachsen, wenn das dann alles gewesen sein soll?
Dienen nicht alle Wesen auf Erden irgendeinem Zweck?
Und worin soll wohl der Unterschied liegen, von einem Tier oder einem Menschen gefressen zu werden? Und, vor allem, worin unterscheiden sich diese beiden Spezies von einander? Und warum dann auch nicht sogar noch geröstet und sanft gesalzen? Doch was, zum Teufel, war eine bunt bedruckte Aludose? Er hatte halt doch noch so ungeheuer viel zu lernen.
Von ihm beinahe unbemerkt, hatte sich auf einmal dieser ungeheuer lange Arm mit dem nur einen, scheinbar ziemlich verkümmerten Fingerchen direkt über ihn gebeugt, als ganz plötzlich ein ungeheures Feuerwerk begann. Peitschende Schüsse von fast überall her.
Der Arm, noch bevor er nun zugreifen konnte, war auf einmal verschwunden.
Dem Geknatter folgte ein ungeheures Beben. Ungestümes trampelte da wohl völlig ungebremst durch die Botanik.
Es war schließlich das Gesicht des Schöpfers, das sich über Pilatäus Frogg und die Seinen beugte.
Milde lächelnd sagte der Schöpfer und seine Ebenholzhaut glänzte dabei schweißnass:
„Da haben wir ja noch einmal Glück gehabt, meine Lieben. Man sieht es ja wieder mal. Da kann man elektrische Zäune aufstellen, die größer als diese Brut sind und diese rauen Gesellen walzen trotzdem alles nieder. Wird Zeit, dass die Regierung wieder mal Abschussquoten für diese Kerle einführt, sonst sehe ich ziemlich schwarz. Denn immer wird es mir nicht gelingen, diese Diebesbande nur mit Schreckschussmunition in Schach zu halten. Diese frechen Urviecher sind dafür verdammt viel zu clever.“
Pilatäus Frogg dachte noch lange nach, an diesem Tag.
Das Leben konnte bei aller Langeweile doch richtig interessant sein.
Er würde wohl niemals mehr das erschreckte Gesicht seiner Schwester vergessen. Die war es ja, die als Erste vom langen Arm ganz vorsichtig in die Höhe gehoben, einem durch die Binsen lugenden, tiefbraunen Auge scheinbar zur Begutachtung entgegen gestreckt worden war.
Wo mochte seine geliebte, kleine Schwester Denny nun wohl abgeblieben sein?
Er würde es wohl nie mehr erfahren. Tatsache war aber, dass sie der letztendlichen Wahrheit nun schon ein gehöriges Stück näher war, als alle ihre Schwestern und Brüder hier um ihn herum.
Und Tatsache war auch, dass er, Pilatäus Frogg, sie darum ungeheuer beneiden musste
„Denny mach dir keine Sorgen. Der Schöpfer liebt uns alle und wird schon dafür sorgen, dass dir kein böses Leid geschieht. Ganz bestimmt sogar!“
Nun auf einmal leichter Wind, im sich wiegenden, grünen Geblatte der Anpflanzung eine Melodie flötend, ihm scheinbar dabei Recht gebend.
© chefschlumpf im November 2019