„Nichts: Was im Leben wichtig ist“ – Buchkritik

Buchbeschreibung
NICHTS was im Leben wichtig ist – Janne Teller

Das Taschenbuch von der dänischen Autorin, 2010 in Deutschland erschienen, kam mir jetzt zufällig in die Finger, weil meine 14 ½ -jährige Tochter es als Schulaufgabe lesen musste.

Meine Tochter war jedenfalls zutiefst schockiert und bestimmt nicht reif für derartige Grausamkeiten. Vorab muss ich jedenfalls sagen, dass dieses Buch meines Erachtens keineswegs den Titel ‚Jugendbuch‘ verdient, nur weil Jugendliche darin die Hauptrolle spielen. Ob Jugendliche den Inhalt nämlich wegstecken und wirklich verstehen können, ist eine andere Geschichte…

Es geht um einen Teenager in einem kleinen Dorf, der plötzlich beschließt, nicht mehr zur Schule zu gehen, nichts mehr zu tun, weil ohnehin nichts im Leben Sinn und Bedeutung, nichts Bestand hat. Nicht genug damit, ist seine einzige Beschäftigung, auf einem Baum hockend seine Mitschüler auf dem Schulweg mit Pflaumen zu bewerfen und mit Sprüchen, die seine Einstellung untermauern, zu bombardieren (warum das, wenn nichts Sinn hat?…). Diese täglichen negativen Reden deprimieren die Klassenkameraden derart, dass Sie beschließen, etwas zu unternehmen.

An dieser Stelle möchte ich anmerken, dass es schon etwas unrealistisch scheint, dass hier weder Eltern noch Lehrer noch Jugendamt einschreiten, und zweitens dass sich eine ganze Klasse von einem einzigen Mitschüler gleichermaßen zermürben und mitreißen lässt.

Ob man diesen Jungen als depressiv, zu nachdenklich, geisteskrank oder überschlau bezeichnet, was bleibt, ist, dass der Sinn des Lebens in der individuellen Betrachtung liegt und speziell für Erwachsene nicht immer zu erkennen ist. Er ist außerdem selbst beeinflussbar und offensichtlich von der Gemütsverfassung abhängig. Eine allgemein gültige Definition scheint mir nicht möglich und eine Diskussion darüber führt zu NICHTS…

Nachdem es nichts half, den ‚Störenfried‘ mit Pflaumen und Steinen zu bewerfen, beschloss die gesamte Klasse – nur der Sohn eines Lehrers wurde ausgeschlossen, um den Plan nicht zu gefährden – ihm das Gegenteil zu beweisen: Ein ‚Berg aus Bedeutung‘ sollte in einem abgelegenen leer stehenden Sägewerk errichtet werden. Während anfangs von Fremden bedeutungsvolle Dinge gesammelt und eigene beigesteuert wurden, bemerkten die Schüler selbst schnell, dass dies nur halbe Sachen waren, denn die Dinge fremder Menschen hätten für sie ja keine Bedeutung, und Gegenstände, von denen man sich relativ leicht trennen kann, auch wenn sie zu schade zum Wegwerfen erscheinen, hätten ohnehin keine richtige Bedeutung.

Und was vielleicht eine Beweiskette FÜR den Sinn des Lebens hatte werden sollen, begann sich unmerklich zu wandeln, den Weg zu ebnen für Boshaftigkeit, Schadenfreude und Rache. Denn einer nach dem anderen begann, sich für einen anderen etwas Bedeutendes auszusuchen, dass dieser opfern musste, um WIRKLICH bedeutend zu sein, und zwar mit allen Tricks. Die Eskalation war vorbestimmt.

Während anfangs noch eher banale Dinge wie Lieblingssandalen daran glauben mussten, auch wenn die Menschen unterschiedlich stark an Materiellem hängen und unterschiedliche finanzielle Möglichkeiten haben, so kam eine Wende in die Sache, da man keine andere Möglichkeit mehr sah, den eigenen Schmerz über das Geopferte passend zu rächen, sodass schließlich das erste Haustier geopfert werden musste. Obwohl hier ‚müssen‘ als relativ zu betrachten ist, war doch der Gruppenzwang in der gemeinsam beschlossenen Sache, die ja unterm Strich allen helfen würde, so stark, dass es niemandem möglich schien, die Sache zu beenden, auszusteigen, Erwachsene zu involvieren.

Durch das permanente Rufen des Aussteigers aufgestachelt, wurde eine Adoptionsurkunde geopfert, ein Tagebuch, eine dänische Flagge, eine konservierte Schlange aus Schuleigentum, und schließlich, als neuer Höhepunkt wurde ein Kleinkind im Sarg, der Bruder einer Mitschülerin, ausgegraben und Teil des ‚Berges‘.

Weiter ging es mit der Haarpracht eines Mädchens, was schließlich den Gebetsteppich eines Moslems unter ihnen kostete. Verweigerung brachte hier nicht nur von den Mitschülern Prügel ein, sondern der Junge wurde wegen des fehlenden Glaubenszeichens von seinem Vater krankenhausreif geschlagen.

Nichts gegen den nächsten Beitrag: ein Mädchen musste in Gegenwart von 4 weiteren Jungen, die notfalls helfen sollten, ihre Unschuld opfern! Als nächstes wurde ein Kreuz aus der Kirche gestohlen und geschändet, danach ein herrenloser Hund, der sich Ihnen angeschlossen hatte, getötet. Und das letzte Opfer wurde der rechte Zeigefinger ihres Anführers. Da er ins Krankenhaus musste, flog die Sache schließlich auf.

Obwohl nun jeder sein Opfer gebracht hatte, war der Plan fehlgeschlagen, da dieser gewesen wäre, dem Jungen am Baum den Berg zu zeigen, um ihn davon zu überzeugen, dass das Leben angesichts dieser bedeutenden Dinge doch Sinn hätte, damit dieser seine täglichen zermürbenden Sprüche endlich sein ließe. Das Sägewerk war jedoch polizeilich gesperrt, und den Jungen zur Betrachtung des Berges zu bewegen, war ohnehin eine eigene Sache, abgesehen davon, dass er damit noch nicht automatisch überzeugt sein musste.

Obwohl es großen Ärger mit der Polizei und damit mit den Eltern und der Schule gab, schwiegen alle eisern zu den Beweggründen und sie schafften es gemeinsam, die Presse zu informieren und dadurch sogar zu Ruhm und Bedeutung in der Weltöffentlichkeit zu gelangen, die sich gar in Gegner und Befürworter (zur Sammlung von Bedeutung zwecks Auseinandersetzung mit der Sinnfrage) gespalten hatte.

So wähnten sie sich noch mehr als Sieger gegenüber ihrem seelischen Peiniger und Sinnleugner, sahen aber ihre einzige Möglichkeit zum wirklichen Sieg in der Bestätigung von ihm. Es schien aber unmöglich, den Teenager vom Baum zu bekommen und zur Besichtigung des Berges zu bewegen.
Inzwischen wurde das ‚Kunstwerk‘ von einem Museum um mehrere Millionen gekauft, und die Frist war knapp, um den stinkenden Beweisberg noch zu präsentieren und damit Überzeugungsarbeit zu leisten.
Derweil ließ das öffentliche Interesse nach, was die Euphorie der meisten Mitschüler sinken ließ und sie erst recht wieder auf den Gedanken brachte, der Junge am Baum hätte eigentlich recht damit, dass nichts Sinn habe.

Am Tag vor der geplanten Abholung kam die Gruppe wieder im Sägewerk zusammen. Was mit dem Ausrasten des ‚vergewaltigten‘ Mädchens begann, endete in einer Massenschlägerei, bei der es, aufgrund des aufgestauten Hasses über die Demütigungen ‚vom Baum‘ und über die von den ‚Freunden‘ ausgesuchten verlorenen Sachen, den wegen alldem durchgemachten Ärger, alles andere als fein zuging.

Schließlich gelang es einem Mädchen zu flüchten, und sie sah die einzige Rettung darin, den Jungen vom Baum zu holen, was ihr schließlich gelang, da dieser doch neugierig geworden war. Doch damit war sein Schicksal besiegelt, denn obwohl die Rauferei abrupt endete, begann der Urheber allen Übels, sich über sie lustig zu machen. Er setzte sich noch ernsthaft mit dem Opferberg auseinander, doch bekräftigte seine ursprüngliche Aussage mit dem Argument, hätten diese Dinge wirklich Bedeutung, hätten sie die Jugendlichen nicht verkauft. Und nun verkauft, hätten sie ohnehin keine Bedeutung mehr.

Derart verbal niedergemacht stürzten sich schließlich alle auf ihn und ließen ihren Aggressionen freien Lauf. Ob sie ihn gemeinschaftlich schon tot geschlagen hatten oder erst der folgende Brand des Sägewerks sein Übriges tat, kam ebenso wenig auf, wie die Brandursache.

Die Jugendlichen blieben unbestraft und haben sich später in alle Richtungen zerstreut, werden aber lebenslänglich mit dem Sinn des Lebens und dem Geschehenen hadern, von einem Gefäß mit Asche vom Opferberg begleitet…

Ob diese Geschichte weit hergeholt ist oder nicht, für mich bleibt als Kernaussage die Gefahr, die von Gruppendynamik ausgehen kann, ebenso die Tatsache, dass Jugendliche noch stark auf Erzieher, Erwachsene, Vorbilder angewiesen wären, und wie sehr einen das immer wiederkehrende negative Gerede einer einzigen Person beeinflussen und zermürben kann.

Sarkastika

3 Gedanken zu „„Nichts: Was im Leben wichtig ist“ – Buchkritik“

  1. Natürlich -verstörend- und doch sehr erhellend um nicht zu sagen „unverzichtbar“! Wir gut Gekleideten, sehr gesellig mit unsereins Umgehenden, in unserer Selbsbesinnung und daraus resultierendem Selbstbewusstsein kaum erschütterbar, müssen einfach immer wieder zurecht gerückt werden. Und sei es nur dadurch, dass an den Pfeilern unserer Existenz gerüttelt wird. Jeder von uns kennt ihn, diesen einen Moment wo alles so ungeheuer wertlos wird, verzichtbar und damit überflüssig. Und auch den Rettungsanker kennen wir, die innere Überzeugung nicht unrecht gehandelt zu haben. Ergo ist es doch wohl nur logisch, dass darauf eine Geschichte fußt, die genau im Unerklärlichen ansetzt um uns einen Leitfaden (Ariadne lässt grüßen) in die Hand zu geben.

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  2. Leider hat sich die innere Größe Tellers Meisterwerk nicht jedem erschlossen! Janne Teller, Östereichisch-Dänische Lehrerin, wollte mit diesem, doch auch Jugendbuch, zweierlei beweisen. Zum einen, dass es im Leben immer eines Sinnes bedarf und zum weiteren, dass es möglich ist, sich zu Eigenem zu bekennen. Der Dannebrog, die Dänische Flagge, wird vom Nationalstolz getragen, ebenso ein Marrokanischer Gebetsteppich. Die Unschuld zu verlieren, bedeutet dagegen wohl weniger für ein Mädchen, als den kleinen Bruder aus seinem frischen Grab zu entführen. Jedoch hat es schon wieder eine ganz andere Qualität, wenn man Jemanden vom Wert des ganzen gespendeten Zeugs zu überzeugen vermag und sei es nur, ihn aus der selbstgewählten Isolation zu befeien. Für micht ist Tellers Geschichte eher ein Vortrag vor ihren Schulkindern, mit dem Hintersinn, doch einfach mal nach der Sinnhaftigkeit von z.B. Religionen, Dschungelcamps oder Luxuslimousinen zu fragen. Die Wertigkeit im Leben, stellt sich für jeden Menschen auf eine ganz eigene Art dar. Kinder-oder Jugendbuch? Ja, aber nur mit Begleitung eines Erwachsenen.

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    • Ich selbst muss dieses Buch lesen und als Opfer von sexuellem Missbrauch wurde ich an meine schlimmen Erlebnisse immer wieder vorgeführt. Ein solches Buch ist verstörend und gehört nicht als Zwang in der Unterricht!!!!! Einfach abstoßend. Dass das Leben eine Bedeutung hat kann man Schülern auch anders klarmachen

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