Neue Bohnen Zeitung


KRITISCH BETRACHTET
von Vivienne  –  April 2002



Alkoholismus oder was manche dafür halten …

Alkoholismus ist in Österreich eine Volkskrankheit. Akzeptiert wie kaum eine Sucht (außer Rauchen vielleicht), verharmlost, beschönigt – Alkoholiker dürfen immer mit viel Sympathie und „Hilfe“ der Mitmenschen rechnen und suhlen ausgiebig in Selbstmitleid, warum sie dem Laster verfallen sind: die Frau, die fremdgeht, der Druck in der Arbeit, die finanziellen Sorgen, das schwere Leben, … Daneben gibt es aber auch jene Trinker, die unter völliger Fehleinschätzung der eigenen Situation die Abhängigkeit bestreiten obwohl die „Spuren“ dieser Krankheit – den nichts anderes ist Alkoholismus – offensichtlich sind. Erst neulich konnte man in der Zeitung ausführlich von einem Fleischer lesen, der unter starkem Alkoholeinfluss eine Frau aus dem Zug stieß, weil er sich von ihr sekkiert fühlte. Mit der Diagnose seiner schweren Sucht konfrontiert bezeichnete er Ärzte wie Polizisten trotz eindeutiger Blutwerte als Lügner.

Aber von Leuten wie diesem Mann möchte ich heute nicht sprechen. Es geht mir vielmehr um jene Leute, die das Schild „Alkoholiker“ verpasst bekommen, obwohl sie mit exzessivem Saufen wenig oder gar nichts am Hut haben und darum, wie schnell man in der Meinung der anderen zum Säufer avancieren kann – ohne jede Schuld. Auch „auf einer Insel der Seligen“ wie Österreich und obwohl man ein ganz normales Leben führt. Ich habe auch wieder ein paar Beispiele für Sie vorbereitet, aus dem Leben gegriffen, die Sie zum Nachdenken anregen sollen, die Sie vielleicht auch betroffen machen werden. Denn solche „Fehleinschätzungen“ können uns allen widerfahren, wenn ein paar Umstände zusammenspielen.

Ein ältere Frau, schon seit längerem herzkrank, wird mit Atemnot und schlechtem Allgemeinzustand in ein Krankenhaus eingeliefert. Die Pensionistin muss sich in den folgenden Tagen einem gesundheitlichen Rundumcheck unterziehen: Röntgen, EKG, Blutbilder, etc.. Als Ergebnis der Untersuchungen werden bei der Frau nach ein paar Tagen unter anderem schlechte Leberwerte festgestellt. Ein Internist spricht die Frau direkt darauf an: „Haben Sie schon länger ein Alkoholproblem?“ Die Frau protestiert, weist auf die Medikamente hin, die sie seit Jahren wegen des kranken Herzens nehmen muss: sie kann es sich gar nicht leisten, Alkohol zu trinken. Der junge Arzt sieht die Frau skeptisch an und hält sie offensichtlich für eine Lügnerin. Die Angehörigen der Frau lassen das nicht auf sich beruhen und nach einer Reihe weiterer Tests räumt man im Spital ein, dass die Werte „wohl eher“ von einer leichten Leberentzündung kommen dürften, die die Frau einmal durchgemacht hat. Irrtum der „Götter in Weiߓ, leicht beschönigt…

So schnell kann es gehen… Ein Arbeitskollege von mir, Ende Dreißig, gut verheiratet, zwei Kinder im Volksschulalter erzählte mir, was ihm vor einiger Zeit nach einer Vorsorgeuntersuchung passiert ist. Auch bei ihm wurden hohe Leberwerte festgestellt. „Du musst verstehen, ich kenn‘ den Arzt auch privat sehr gut“, führte er aus. „Wir gehen öfter miteinander Tennis spielen und wir sind mit unseren Familien schon einmal miteinander in Urlaub gefahren. Und trotzdem sieht er mich auf einmal mit diesem merkwürdigen Blick an und fragt mich, ob ich ein Alkoholproblem habe. Ich dachte, ich höre nicht richtig. Eigentlich müsste er mich besser kennen.“ Weit gefehlt. Auch mein Kollege musste noch ein paar Tests machen, ehe sein Hausarzt zugab, dass nur eine schlechte Verdauung zu diesen Werten geführt haben dürfte. Naja, Freundschaft leicht angekratzt, aber der Ruf ist wieder hergestellt, also was soll’s…

Fälle, wie diese beiden, die ich Ihnen geschildert habe, passieren immer wieder in Arztpraxen. Nichts gegen die Ärzteschaft an sich, aber Fehldiagnosen lassen sich nie ausschließen, weil jeder Arzt auch nur ein Mensch ist. Was mich halt dabei stört ist, dass so mancher Arzt bei anomalen Leberwerten gleich an ein Alkoholproblem denkt als wäre dieses die einzige mögliche Ursache dafür. Manchmal macht „arzt“ es sich zu leicht bei der Diagnose, finde ich. In jedem Fall wird aber ein Patient zumindest immer mit dem „Verdacht“ konfrontiert und hat die Möglichkeit durch weitere Untersuchungen der wahren Ursache auf den Grund zu gehen. Anders sieht es aus, wenn jemand in seiner Firma z. Bsp. Opfer einer gefinkelten „Mobbing-Kampagne“ wird, mit der man ihm schaden oder ihn loswerden möchte – kleines Beispiel gefällig?

Stellen Sie sich ein größeres Unternehmen in Linz mit ca. 150 Mitarbeitern vor. Betriebsratswahl steht in den nächsten Monaten an und die ersten Listen formieren sich. Herr Schmid, ein umsichtiger Abteilungsleiter, führt schon zum zweiten Mal so eine Liste an. Er ist schon etliche Jahre in der Firma und führt ein unauffälliges Leben. In seiner Abteilung ist er in der Früh immer der erste, stets ordentlich gekleidet, gut rasiert, manchmal etwas polternd zu den Mitarbeitern aber eine Autorität, die was von ihrer Arbeit versteht und hoch geachtet ist. Die Firmenleitung stösst sich am Engagement des Mannes, Betriebsrat zu werden. Viel lieber würde man jemand anderen dort sehen, jemanden, der in ihrem Sinn arbeitet und nicht den Herrn Schmid, der sagt, was er denkt und sich als Betriebsrat den Mitarbeitern verpflichtet fühlt. Also lässt man sich was einfallen…

Ein Gerücht macht die Runde: „Habt ihr schon gehört? Der Herr Schmid ist nämlich in Wirklichkeit ein Säufer!!“ Ein paar Kollegen wollen ihn privat trinken gesehen haben bis er umfiel. Ein Mitarbeiter aus seiner Abteilung schwört, dass er ihn in seinem Büro erwischt hat, wie er aus einer Flasche Wodka trank – und die Flasche war schon fast leer! Die Kollegen staunen: das sieht man dem Herrn Schmid gar nicht an! Immer ist er so arbeitsam und voller Elan. Der kann sich aber gut verstellen, denken sich die meisten. Alle schlucken die Behauptungen, obwohl ihn keiner jemals trinken gesehen hat oder gar betrunken und schon gar nicht in der Firma. Wenn ein Fehler passiert in Herrn Schmids Abteilung, sehen sich die Leute an und nicken wissend: kein Wunder, der säuft ja wie ein Loch! Ein ganz neugieriger Kollege schleicht sich sogar einmal in Herrn Schmids Büro während dieser einen Termin bei einem Kunden hat und durchsucht den Schreibtisch nach „verräterischen Spuren“: aber er findet nichts außer zwei Sackerl Dragee-Keksi – nach denen ist der Herr Schmid anscheinend auch süchtig.

Stille Wasser sind tief. Und der Herr Abteilungsleiter ist einfach zu schlau, um sich erwischen zu lassen, sind die Kollegen überzeugt. Wenn man es nicht sicher wüsste, wäre es fast unmöglich auf den Gedanken zu kommen, dass mit ihm etwas nicht stimmt. Dass es merkwürdig ist, dass Herrn Schmids Alkoholismus gerade jetzt vor der Betriebsratswahl bekannt wurde, fällt auch niemanden auf. Und vor allem denkt keiner daran, dass man niemanden „erwischen“ kann, wenn es nichts zu „erwischen“ gibt… Und deshalb entscheiden sie sich bei der Betriebsratswahl gegen die Liste des Herrn Schmid und für den „Mann“ der Firmenleitung. Dort reibt man sich die Hände über die gelungene „Kampagne“ durch die die Pläne des Herrn Schmid, Betriebsrat zu werden, vereitelt wurden. Es war fast noch einfacher als man erwartet hatte. Jetzt kann man ihn auch in der Abteilung bald „liefern“…

Der Mensch sieht das, was er sehen möchte. Jemand sagt: Der säuft!“ und alle kriegen große Augen, aber keiner zieht so eine Behauptung in Frage, zumindest fast nie. So eine Gruppe Leute an der Nase herumzuführen ist oft ganz einfach: man braucht nur einen „Strohmann“, der überzeugend und mit beredten Worten lügt und der Rest läuft von ganz allein. Keine Statistik belegt, wieviel Leute schon auf diese Weise hereingelegt wurden: sie standen jemandem im Weg, waren lästig, aufmüpfig oder einfach unbequem. Und statt eines ehrlichen Konflikts schlägt halt der eine oder andere lieber unter der Gürtellinie zu – jeder wie er kann! So mancher „Alkoholiker“ geht völlig gesund und harmlos durchs Leben und weiß es bis heute nicht, wie er in den Augen von Freunden oder Kollegen dasteht. Und solange so viele Leute im Kollektiv wie Schafe denken und agieren, wird Mobbing dieser Art weiter ein Kinderspiel sein… bedauerlicherweise.

Vivienne

 

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