Neue Bohnen Zeitung


KRITISCH BETRACHTET
von Vivienne  –  Oktober 2001



Das Geschäft mit der Katastrophe
Ein paar kritische Gedanken

Die Ereignisse vom 11. September in New York haben auch bei uns niemanden – mich nicht ausgenommen – kalt gelassen. Meine eigene Bestürzung und Hilflosigkeit habe ich schon in einem sehr persönlichen Beitrag in meiner Kolumne zu verarbeiten versucht. Schwierig, nach diesen „unvorstellbaren“ Anschlägen wieder zur Tagesordnung überzugehen, schwierig die nötige Distanz zu bewahren und nicht in Hysterie und Panik zu verfallen. Gerade in diesem Zusammenhang sind mir in den letzten Wochen aber einige Aktionen ins Auge gestochen, bei denen anscheinend mit den Folgen und Auswirkungen der Katastrophe auch noch Geld gemacht wird. Mehr oder weniger offen. Ich möchte deshalb an dieser Stelle ein paar Überlegungen und Beobachtungen von mir diesbezüglich zur Diskussion stellen und bitte Euch, Eure eigenen Eindrücke dazu zu äußern.

Einer dieser Auswüchse von „Geschäftemacherei“ betrifft den sogenannten Handel mit Schutt, Geröllteilen etc. , die von den Zwillingstürmen des World Trade Centers übrig geblieben sind. In New York hat sich rasch ein boomendes Geschäft damit entwickelt. Ebenso sind T-Shirts und Ähnliches mit Amerikas „Staatsfeind Nr. 1“, Osama bin Laden, zum Verkaufsschlager geworden. Und wer besonders cool sein will, holt sich bin Ladens Konterfei als Logo aufs Handy. Makaber, geschmacklos oder bin ich einfach nur von gestern? Ich kann jedenfalls nicht nachvollziehen, was so besonders originell oder gar trendig(?) daran ist, etwa mit einem „bin Laden-Leiberl“ durch die Gegend zu laufen. Aber noch weniger kann ich nachvollziehen, was in den Köpfen derer vorgeht, die mit solchen Ideen das große Geld machen wollen. Und so all den tausenden Opfern des Anschlags meiner Meinung nach noch posthum ins „Grab spucken“. Denen die Verzweiflung und Trauer von deren Angehörigen und Freunden jedenfalls ziemlich egal sein muss. Hauptsache, der Rubel, pardon, der Dollar rollt…

Krisenzeiten bedeuten auch immer Hochkonjunktur für Geschäfte mit der Angst der Menschen. Nostradamus und seine Prophezeiungen sind der Renner in vielen Büchergeschäften. Hand auf’s Herz – wer hat nicht schon ein Exemplar daheim stehen? Obwohl sich seine Aussagen zum Jahr 1999 und zur vieldiskutierten Sonnenfinsternis in keinster Weise bewahrheitet haben (soweit man die unklaren Äußerungen überhaupt eindeutig zu interpretieren vermag). Woran sich aber momentan nur wenig Leute erinnern…

Aber auch Astrologen, Kartenleger und Hellseher, leider auch von eigenen Gnaden, schlagen aus der Zukunftsangst und der Sorge der Menschen Kapital. Wie immer man die Vertreter dieser flourierenden Branche sieht, wie man zu Gerda Rogers und Co auch immer steht: gerade in der Esoterik sind Betrügern Tür und Tor geöffnet. Dieser Bereich ist hochsensibel, weil er wie kein anderer die Urängste der Menschen widerspiegelt. Es sind keine Einzelfälle, in denen Rat suchende Menschen von „schwarzen Schafen“ mental abhängig gemacht werden, Furcht und Ungewissheit bewusst geschürt und in klingende Münze umgesetzt werden. Ich denke, es ist zuwenig, wenn man sagt: Selber schuld, mir passiert das eh nicht. Denn das sind zwei verschiedene paar Schuhe. Zum Betrug gehören zwei, nicht nur der Betrogene, auch der Betrüger…

Keine Katastrophe ohne ihre Benefiz-Veranstaltungen. Samstag ging im New Yorker Madison Square Garden eine Konzertveranstaltung zugunsten der Opfer der Katastrophe über die Bühne. Rund um die Welt übertragen, vielbeachtet, unter enormer Medienpräsenz. Ex-Beatle Paul McCartney hat schon Backstage-Fotos des von ihm initiierten Events auf seiner Homepage veröffentlicht. Ganz so „heilig und selbstlos“ kommt er mir aber trotzdem nicht vor. Wer sich noch an Life Aid 1985 erinnern kann und die zahllosen Benefiz-Singles von „Do they know..“ bis „We are the world..“ kennt, mit denen damals für die Hungernden von Afrika Geld eingespielt wurde, weiß auch, dass die Pop- und Rockstars, die diese Projekte unterstützten, selber auch in weiterer Folge davon profitiert haben, und das nicht zu knapp. Musterbeispiel Phil Collins, dessen Erfolg nach Life Aid den Höhepunkt erreichte und der in dieser Zeit so viele Schallplatten wie kein anderer britischer Pop Star in Amerika absetzte. Das nur zur Erinnerung. – Irgendwie werde ich das Gefühl nicht los, dass der gute, alte Paul damit nicht ganz unbeabsichtigt auch den Verkauf seiner in ein paar Wochen erscheindenden CD ankurbeln will. Dem ganz großen Erfolg läuft er ja auch schon länger hinterher. Ohne irgendeinem sentimentalen Beatles-Fan auf den Schlips steigen zu wollen (ich gehör‘ ja selber auch irgendwie dazu!): ein wenig wirkt das Ganze halt schon à la „Das Angenehme mit dem Nützlichen verbinden…“ auf mich. Mit einem Event dieser Art verschafft man sich halt sehr viel mehr Publizität und Interesse als mit einer noch so teuren, ausgeklügelten PR-Masche. Michael Jackson, ehemals „King of Pop“, scheint mit seiner Benefiz-Single, die er bei einem ähnlichen Spektakel einen Tag später in Washington vorgestellt hat, im selben Fahrwasser zu schwimmen. Seit Mitte der 90er Jahre hat er ja nicht mehr unbedingt Verkaufsrekorde gebrochen. Und sein neuer Song blieb chartmäßig bis dato auch unter den Erwartungen…

Außerdem sollte man den Verwaltungsaufwand derartiger Projekte nicht unbedingt unterschätzen – finanziell und organisatorisch – und dabei stellt sich für mich auch die Frage (speziell im Hinblick auf Life Aid, wo auch nicht alles so lief, wie es sollte!): Wieviel von den Einnahmen wird jetzt wirklich der Zielgruppe zukommen…? Wer kann denn schon garantieren, dass nichts in dunkle Kanäle fließt?

Vivienne

 

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