Neue Bohnen Zeitung


von Vivienne  –  Oktober 2004



Die Ballade von der Unaufrichtigkeit

Eine Frau stand am Fenster ihres Wohnzimmers.
Sie blickte in die Nacht hinaus.
In den dunklen Himmel, auf dem matt einige Sterne leuchteten.
Und in die nahe Stadt, in der die Lichter nach und nach wie auf einem zweiten Firmament aufgingen.
Die nicht mehr ganz junge Frau war nachdenklich.
Nicht dass sie sich nicht öfter Gedanken machte.
Als tiefgründiger Mensch nahm sie die Dinge selten wie sie waren.
Sondern hinterfragte sie.
Versuchte die Dinge hinter der Fassade zu erkennen.
An diesem Abend musste sie an eine junge Frau denken.
Wunderschön und bezaubernd.
Sie waren einmal Freunde gewesen.
Keine große, unbeschwerte Freundschaft.
Dennoch war eine Bindung entstanden, die einen gewissen Bestand hatte.
Bestand, denn die Frau am Fenster immer wieder suchte.
War sie doch selber öfter vom Leben gebeutelt worden.

Unaufrichtigkeit.
Berechnung.
Oberflächlichkeit.
Diese drei Größen hatten immer wieder ihr Leben bestimmt.
Die Frau war oft nahe daran gewesen zu verzweifeln.
Und hatte dennoch immer wieder ins Leben zurückgefunden.
Mit dem nötigen Mut.
Und einer hilfreichen Hand bisweilen von einer unerwarteten Seite.
War sie auch bereit gewesen sich trotz aller Erfahrungen auch wieder den Menschen zu öffnen.
Neue Menschen waren ihr begegnet.
Die schöne, junge Frau war eine von denen gewesen, die ihren Weg gekreuzt hatte.
Sie ging auf in der Clique ihrer reifen Freundin.
Und einige Zeit schien nichts diese Gruppe zu trüben.
Doch eines Tages brach die junge Frau aus.
Es hatte sich wohl schon länger angekündigt, aber die ältere Frau hatte die Spannungen zwischen ihr und zwei Freunden zwar gespürt, aber nicht einordnen können.
Die junge Frau verließ die Clique wieder, in die sie viel Schwung und Neues gebracht hatte.
Und nicht völlig im Frieden.
Wohl auch sehr verletzt.

Woran das lag, erfuhr die reifere Frau erst, als die Junge sie anrief.
Und ihr eine Szene machte.
Die beinahe selber zu einem gröberen Streit geriet.
Die Frau fühlte sich zunächst brüskiert.
Nach und nach wurde ihr aber klar, dass dies ein Verzweiflungsschrei gewesen war.
Das schöne Mädchen hatte sich immer wieder übergangen gefühlt.
Ob der Eindruck nun richtig oder falsch war, spielte dabei keine Rolle.
Die junge Frau war getroffen.
Und suchte ein Ventil.
Warum sie die beiden früheren Freude nicht zu einer Aussprache gebeten hatte, verstand die Ältere nicht.
Aber sie begriff, wie verletzbar die Seele der jungen Freundin war.
Und welche Abgründe sich hinter dem bildschönen Gesicht und den leuchtenden Augen auftaten.
Sie fragte aber auch nicht nach.
Versuchte nur, weiter Freundin zu sein, auch wenn die junge Frau neue Freunde um sich scharte.
Und diese auch die Gräben zwischen den den Cliquen nicht gerade zuschüttete.
Als brauche sie ein Feindbild, durch das sie ihren wahren Problemen aus dem Weg gehen konnte.
Und damit auch deren Lösung.

Immerhin hatte man sich irgendwann auf einen Nichtangriffspakt geeinigt.
Man versicherte sich, sich aus dem Weg zu gehen.
Um so den lieben Frieden zu erhalten.
Im Sommer trafen sich die Freunde der jungen Frau gerne im schönsten Bad der Stadt.
Natürlich wäre die andere Clique auch gerne öfter in dieses Bad gefahren.
Nicht umsonst war es groß und gut ausgestattet.
Platz für alle.
Und irgendwann fand es ein Freund der reiferen Frau lächerlich, dauernd diesen Kompromiss einzuhalten.
Verständlich auch, denn in dem Bad befanden sich hunderte Menschen.
Mit demselben Recht hätten wohl andere Leute auch anordnen können, dass unliebsame Leute dem Bad fernzubleiben hatten.
Die nicht mehr ganz junge Frau sah den Verdruss kommen.
Doch der Freund winkte ab.
Gib zu, dass es lächerlich ist.
Und als die schöne, junge Frau schließlich die ungewollte Gruppe im Bad erkannte, geriet sie in Rage.
Ein furchtbarer Streit brach aus, den vor allem der junge Mann, der den Vorstoß gewagt hatte, ausbaden musste.
Als hätte er ein übles Verbrechen begangen.
Die reifere Frau war erschüttert von der Heftigkeit der Worte.
Und versuchte trotzdem zu vermitteln.
Obwohl sich tief in ihr mehr und mehr der Widerspruch regte.
War es nicht lächerlich?
Ein großes Bad sollte doch für alle da sein.
Aber sie sprach nicht darüber.
Aus Rücksicht.
Denn die junge Frau hatte gerade ihre Liebe verloren.

Die Freundschaft der beiden unterschiedlichen Frauen blieb aufrecht.
Trotz alledem.
Doch scheinbar zufällig verlor man dann den Kontakt etwas zueinander.
Von andern Freunden erfuhr die Frau, dass es der jungen Freundin bisweilen sehr schlecht gegangen war.
Einmal erkannte sie diese in der Stadt in einer Menschenmenge.
Sie sah schlecht aus.
Blass und leidend.
Die reifere Frau war erschrocken.
Aber es hätte keinen Sinn gemacht, ihr in dem Gewühl auf der Straße nachzulaufen.
Wie schnell hätte sie sie aus den Augen verloren.
Später im Jahr erst meldete sich die junge Frau wieder.
Scheinbar zufällig.
Die reifere Frau setzte ein zynisches Lächeln auf.
Offenbar war es der schönen Freundin nicht verborgen belieben, dass sie, die ältere, neulich Differenzen mit jenem Freund gehabt hatte, durch der Streit der beiden Gruppen eskaliert war.
Nichts was die Welt bedeutete.
Aber es hatte wohl die Runde gemacht.
Und die Frau hatte sofort erkannt, dass die junge Frau gern Schmutzwäsche mit ihr gewaschen hätte.
Aus Abneigung auf den jungen Mann, den sie sich zu einem ihrer Feindbilder hochstilisiert hatte.
Darüber war die Ältere aber längst hinaus.
Im Gespräch verlor sie kein Wort darüber.
Und es wurde wieder ein paar Tage ruhiger.

Bis ein böses Gerücht die Runde machte, das die ganze Runde der reiferen Frau betraf.
Irgendjemand aus der anderen Truppe hatte es verbreitet.
Das ging zu weit.
Die Frau trat energisch vor und forderte von ihrer Freundin einen Widerruf.
Höchst erstaunt musste sie zur Kenntnis nehmen, dass ihre vermeintliche Freundin den Vorfall bagatellisierte.
Obwohl er rechtlich einen groben Verstoß darstellte.
Ja, sie versuchte die Geschichte lächerlich zu machen.
Obwohl ihrer älteren Freundin bewusst war, dass diese explodiert wäre im umgekehrten Fall.
Der dritte Weltkrieg wäre wohl ausgebrochen.
Im Verlauf eines heftigen Streites verdreht die junge Frau ständig die Fakten und die Tatsachen.
Als wolle sie den Streit vom eigentlichen Kern ablenken.
Als wolle sie bewusst provozieren.
Als das nichts fruchtete, kam sie wieder auf den Fall im Bad vor einigen Monaten zu sprechen.
Die ältere Frau schüttelte den Kopf.
Wie unglaublich unreif!
Auf so einer lächerlichen Sache fixiert!
Sie wandte sich ab.

Die reifere Frau stand noch immer am Fenster.
Eben hatte sie durch Freunde erfahren, dass ihre vermeintliche Freundin überall herumzählte, sie, die ältere, wäre keine richtige Freundin mehr.
Nicht Zynismus prägte das Gesicht der Frau am Fenster.
Vielmehr Mitleid.
Und eine gewisse Loslösung.
So schön die junge Frau auch war, in sich war sie verloren.
Ihr Verhalten war nicht mehr nachzuvollziehen.
Ein Hilfeschrei wohl.
Wieder.
Aber die nicht mehr ganz junge Frau konnte ihr nicht mehr helfen.
Es ging um sie selbst.
Wenn ihre einstige Freundin sich einmal ihren Problemen stellen würde, wäre es einfacher.
Aber mit solchen Methoden würden sich die Abgründe in ihrer Seele vertiefen.
Unaufrichtigkeit ist ein großes Manko in einer Freundschaft.
Unaufrichtigkeit zu sich selbst führt aber zu jenen Lebenslügen, die das Schicksal immer wieder in Form von Steinen in den Weg legt…
Bevor das schöne Mädchen das nicht begriff, würde sie an den Steinen nicht vorbei kommen…
Die Frau am Fenster löste den Blick aus der Ferne.
Und zog den Vorhang zu.

Für alle, die sich darin finden…

Vivienne

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