Neue Bohnen Zeitung


von Vivienne  –  Juli 2004



Die Ballade von der Kraft der Liebe

Ein paar Freunde saßen in einer fröhlichen Runde beisammen.
Der Abend war schon fortgeschritten.
Aber die jungen Leute wurden nicht müde.
Sie erzählten sich Geschichten.
Dinge, die wirklich passiert waren.
Eigene Erlebnisse.
Oder aus Erzählungen von anderen.
Einer der Burschen saß ein wenig abseits.
Er grübelte und beteiligte sich nicht wirklich an der Unterhaltung.
Gerade, dass er antwortete, wenn man ihn etwas fragte.
Schließlich sprach ihn einer seiner Freunde direkt an.
Ist dir eine Laus über die Leber gelaufen?
Der junge Mann blickte auf.
Er fühlte, dass aller Augen auf ihn gerichtet waren.
Seufzend blickte er in die fragenden Gesichter.
Dann senkte er den Kopf.
Ich will nicht darüber reden.
Die Freunde sahen sich ratlos an.
Einer von ihnen ließ aber nicht locker.
Komm.
Öffne dich.
Worum geht es?

Der Angesprochene blickte unwillig in die Runde.
Schließlich meinte er.
Es versteht mich ja doch keiner.
Mein Mädchen ist der Grund für meinen Kummer.
Sie scheint mich nicht ernst zu nehmen.
Ich liebe sie so.
Aber ihr genügen meine Worte nicht.
Sagt sie mir immer wieder.
Obwohl ich ihr meine Gefühle ständig beteuere.
Nicht viele Menschen bringen „Ich liebe dich“ über die Lippen.
Aber sie verlangt andere Beweise.
Es ist so sinnlos.
Wieder senkte er den Kopf.
Einer der Burschen wollte ihn mit einem Wort aufzumuntern.
Aber ein anderer winkte ab.
Er ergriff selber das Wort.
Es muss doch einen Grund für die Zweifel deiner Freundin zu geben.
Hast du sie betrogen?
Heftig wehrte dieser ab.
Nie.
Nie im Leben.
Der andere zog die Stirne in Falten.
Kann es vielleicht sein, das sie selber sich ihrer Gefühle nicht sicher ist?
Frag sie das einmal.
Du leidest.
Und du brauchst Klarheit.
Sonst verzagst du noch völlig.
Unsicher blickte ihn der junge Mann an.
Der andere hatte sicher Recht.
Er hatte selber schon ähnlich gedacht.
Aber er fühlte Angst vor dieser Frage…

Wenig später traf er sich mit seinem Mädchen.
Belanglos plauderten sie dahin.
Und wieder und wieder verschob er den Moment, an dem er sich Gewissheit verschaffen wollte.
Es war schon dunkel.
Der junge Mann und sein Mädel spazierten auf einem Kiesweg.
Ihre Schritte knirschten und waren weit vernehmlich.
Das junge Mädchen lachte viel.
Es hatte etwas getrunken und war sehr ausgelassen.
Schließlich lief es ihm in der Dunkelheit davon.
Der junge Mann ärgerte sich.
Jetzt eben hatte er mit ihr reden wollen.
Da hörte er es plötzlich schreien.
Um Gottes Willen?
Was war da passiert?
Das Schlimmste war, dass er fast nichts sehen konnte.
Erst nach und nach erkannte er, dass die junge Frau gestürzt sein musste.
Er fand sie eine steile Böschung hinuntergerutscht.
Ihre Stirn blutete.
Ihr rechter Arm war verdreht.
Ein Bein konnte sie nicht bewegen.
Sein Mädel hatte große Schmerzen.
Der Bursch wusste, dass er Hilfe holen musste.
Aber ihm war auch klar, wie schwierig sich das gestalteten würde.
Außerdem hatte Angst, sie allein zu lassen.
Hilflos hielt er sie im Arm.
Sie, die mittlerweile ohnmächtig geworden war.
Nur wenn er intensiv lauschte, hörte er ihren Atem.
In den sich bisweilen ein leises Stöhnen mischte.

Der junge Mann hatte unglaubliche Angst um sein Mädchen.
Aus seiner Verzweiflung heraus gebar er einen irrwitzigen Gedanken.
Er hob sie hoch und wagte den Aufstieg.
In der Dunkelheit, in der er fast nichts erkennen konnte.
Manchmal wäre er beinahe gestrauchelt.
Nur viel Glück bewahrte ihn vor einem schweren Sturz.
Trotzdem schaffte er es nach oben.
Nach einer halben Ewigkeit wie ihm schien.
Als er so in dem Kiesweg kauerte, seine Freundin im Arm, wurde ihm erst bewusst, was er geleistet hatte.
Seine Arme, sein ganzer Körper zitterten vor Anstrengung.
Dennoch gönnte er sich nur eine kurze Pause.
Mit seinem Mädchen im Arm lief er den Weg weiter.
In der Zwischenzeit erwachte es aus seiner Ohnmacht.
Langsam realisierte sie, dass sie und ihr Freund auf dem Weg zu den Leuten waren, bei denen sie den Abend verbracht hatten.
Sie lag nicht mehr ganz unten an der Böschung.
Sein keuchender Atem ließ sie rasch begreifen, dass der Bursch für sie über sich hinaus gewachsen war.
Obwohl sie nicht sprechen konnte, war ihr Verstand merkwürdig klar.
Und wie Schuppen fiel ihr von den Augen, was er für sie tat.
Weil er sie liebte…
Wie hatte sie je zweifeln können!
Einen Moment auch nur!
Das Mädchen wurde von einem seltsamen Glücksgefühl erfasst.
Es fühlte sich sicher und geborgen.
Und als ihr Bursch sie ins erste Haus am Weg trug, fielen ihr wieder die Augen zu.

War es nicht wunderbar, so geliebt zu werden?

Vivienne

Link: Alle Beiträge von Vivienne

 

Schreibe einen Kommentar