Neue Bohnen Zeitung


PHILOSOPHISCHES
von Vivienne  –  Oktober 2003



Hilflosigkeit

Ich sitz einfach da, nach vorn gebeugt.
Die Unterarme auf den Oberschenkeln, die Hände verkrampft, bohren sich meine Nägel tief ins Fleisch.
Es tut weh, sehr weh.
Ich möchte schreien, ganz laut.
Was kann ich tun?
Ich will etwas tun!
Ich muss etwas tun!
Aber ich kann nichts tun.
Wie sagt man? Die Hände sind mir gebunden…
Nur reagieren statt agieren.
Ich kann nur abwarten.
Dass die Dinge besser werden…
Dass wenigstens irgendetwas geschieht, damit dieses bange Warten ein Ende hat.
Dieses Warten, das mich innerlich aushöhlt und eine tiefe Leere in mir entsteht.
Diese Leere, die mich innerlich mehr und mehr zerfrisst.
Warum??????

Ich möchte aufspringen, ich möchte die Fäden an mich reißen.
Aber ich spür nur die Fingernägel im weichen Fleisch.
Damit ich nicht schreie, damit der körperliche Schmerz den Seelenschmerz überdeckt.
Zumindest für ein paar Momente.
Mich nicht auseinandersetzen müssen mit dem Schlimmsten…
Gibt es Schlimmeres als an das Denken zu müssen, was das Schlimmste sein könnte?
Bevor ich es überhaupt sicher weiß?
Jede einzelne schreckliche Möglichkeit ganz genau vorstellen und abwägen, welche die Wahrscheinlichste sein könnte….
Ich vergrabe mein Gesicht in meinen Händen.
Wieder möchte ich schreien, aber ich kann nicht.
Ich möchte weinen, aber meine Augen sind gerötet doch tränenleer.
Resignation?
Hat alles keinen Sinn?

Ich springe auf.
Alles in mir möchte sich aufbäumen.
Niemals!
Nein, ich kann es nicht hinnehmen, ich kann, darf, will nicht….
Die Kraft reicht nicht.
Mechanisch balle ich wieder meine Fäuste.
Um die Nägel zu spüren.
Um nicht denken zu müssen.
Um meine Ohnmacht nicht so zu spüren.
Langsam setzte ich mich wieder.
Meine Hände öffnen sich.
Ich kann wieder denken.
Oft ist es besser nur zu warten.
Wer weiß wie die Dinge wirklich sind.
Was weiß ich schon wirklich…!
Es ist nicht leicht zu warten, aber warten tut weniger weh als bereuen.
Bereuen, vorschnell gehandelt zu haben.
Weil manches anders war als es schien, im ersten Moment.
Was ich vorschnell getan habe, kann ich nicht mehr rückgängig machen.
Was ich gewartet habe, lässt mir mehr Raum und Möglichkeiten.

Sei froh, wenn du nicht immer handeln musst…

Die Hilflosigkeit weicht.

Vivienne

 

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