Neue Bohnen Zeitung


BEMERKENSWERTE FILME
von Vivienne  –  November 2003



„Ganz oder gar nicht“

Arbeitslosigkeit ist nicht nur ein finanzielles sondern auch ein großes soziales Problem. Wer – was in Zeiten wie diesen gerade in Großbritannien nicht erstaunlich ist – keine Arbeit mehr findet, verarmt nicht nur schnell sondern gerät auch ins soziale Abseits. Der Kontakt zu Freunden bröckelt ab, wegen der „Schande“ und weil man sich nicht mehr rechtfertigen kann und will, weil man überdies oft kein Geld mehr hat um sich überhaupt in Lokalen mit ihnen zu treffen,… Der unsäglich präpotente Spruch von „Ahnungslosen“: „Wer einen Job will, der findet auch einen...“ wirkt vor allem angesichts besonders krasser Einzelfälle unerhört menschenverachtend. „Was hat der Frosch im Brunnen schon für eine Ahnung vom großen weiten Meer...“ möchte man den Verfechtern dieser irrigen Theorie zurufen ohne sie bekehren zu können…

Und doch muss Arbeitslosigkeit kein Schicksal sein, vor allem das möchte der britische Film „Ganz oder gar nicht“ (Im Original: „The full monty“) von Regisseur Peter Cattaneo aufzeigen. Auf witzige und originelle Weise führt er uns in das Leben von Gaz ein, der seit geraumer Zeit keinen Job mehr findet und sich deswegen auch jede Menge Ärger mit seiner Ex-Frau eingehandelt hat, der er den Unterhalt für den gemeinsamen Sohn schuldig ist. Frustriert von den Jobangeboten und dem Alltag am Arbeitsamt bringt ihn ein Auftritt der bekannten Strippertruppe „Chippendales“ auf die Idee, eine eigene Strippergruppe auf die Beine zu stellen, mit der er das große Geld erhofft um seine Sorgen mit einem Schlag zu beenden.

Das Casting, das daraufhin arrangiert wird, ist zunächst etwas desillusionierend, doch schließlich steht ein Gruppe von sechs Mann, die auf äußerst unterhaltsame Weise lernt: zu tanzen, sich „wie eine Schwuchtel“ zu bewegen und sich nebenbei gekonnt auszuziehen. Scheinbar nebenbei gewährt uns Cattaneo auch einen Einblick in das Seelenkostüm der Männer, die alle so ihre Komplexe mit sich herumschleppen und ebenso offenlegen: der eine ist schwul, der andere fühlt sich wegen seines großen Bauchs minderwertig, der andere glaubt einen zu kleinen Penis zu haben, einer der Arbeitslosen hat seiner Frau noch immer nicht gebeichtet, dass er den Job verlor,.. – kurz: die Mär vom selbstbewussten, starken Mann, der immer und überall kann, jeder Situation gewachsen ist ( „Fett ist ein Problem von Frauen“ ) wird grundlegend als überholt wenn nicht sogar als völlig falsch aufgedeckt. Auch diese Männer haben ihre schwachen verletzlichen Seiten, die bildhaft mit der „Entblößung“ der Körper aufgedeckt werden.

Probleme und ungeahnte Bekanntheit erhalten die Sechs aber als sie bei ihren Tanzübungen in der aufgelassen Fabrik durch Zufall aufgedeckt werden. Gaz darf seinen Sohn nicht mehr sehen, und er denkt darüber nach, das Vorhaben sterben zu lassen, vor allem, weil auch sein Freund wegen seiner Minderwertigkeitsgefühle lieber als Wachmann im Supermarkt zu arbeiten beginnt. Dessen Frau glaubt sogar schon, er würde fremdgehen, weil die Stripperei die Einstellung zu seinem Körper verändert hat. Als aber überraschend über 200 Eintrittskarten für den Auftritt der Truppe abgesetzt werden, ändert Gaz seine Meinung wieder: für einen einzigen Auftritt werden sie alle Hüllen fallen lassen – „die ganze Montur“ (im Englischen: „the full monty“). Dafür holt er sogar auf sehr unorthodoxe Weise seinen Freund wieder aus dem Supermarkt. Und als die unterschiedlichen Männer, von denen keiner extrem hübsch oder wirklich umwerfend gebaut ist, schließlich sogar die roten Stringtangas ablegen, tobt das vorwiegend weibliche Publikum wie bei den Chippendales. Auch Gaz Ex ist unter ihnen…

Ein vergnüglicher Film, und, auch wenn man es vom Inhalt her nicht sofort glauben würde, ein absolut jugendfreier Film, witzig, amüsant, durchaus auch erotisch und zwischen den Zeilen lernt man über sich selber, seine Ängste, seine Nöte, seine Traumas, auch wenn man kein Mann ist. Noch nie wurde Arbeitslosigkeit für mich trotz deutlicher sozialkritischer Töne so liebenswert ironisch abgehandelt und der Meinung schlossen sich Filmkritiker in aller Welt an. Zur Belohnung durfte Regisseur Peter Cattaneo etliche Filmpreise für seine Komödie aus dem Jahre 1997 nach Hause nehmen, darunter auch vier Oscars.

Vivienne

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