von Vivienne – Juni 2004
Opfer der Angst
Yvonne lag zusammengekauert im Bett.
Sie zitterte wie Espenlaub.
Schweißperlen liefen ihr von der Stirn.
Über das Gesicht.
Der Mund zusammengekniffen.
Die Augen halb geschlossen.
Der Mond schien durch das Fenster.
Groß und rund füllte er das dunkle Schlafzimmer.
Mit fast gruseligem Licht.
Yvonne zitterte.
Sie hatte ihn wieder gesehen.
Heute.
In der Buchhandlung.
Er war hinter ihr gestanden.
Einmal hatte er sie leicht berührt.
Als er an ihr vorbeiging.
Zu einem anderen Regal.
Natürlich zufällig.
Aber sie hatte sofort gewusst.
Dass er es war.
Dass er es gewesen sein musste.
Wer sonst?
Beinahe hätte sie zu schreien begonnen.
Aber als er sich umdrehte.
Hatte sie die Bücher im Arm fallen lassen.
Und war hinausgelaufen.
Mit schreckgeweiteten Augen.
Nicht noch einmal
Georg beugte sich beim Frühstück über seine Frau.
Küsste sie sanft auf die Wange.
Guten Morgen, Liebes.
Hast du gut geschlafen?
Er setzte sich Yvonne gegenüber.
Möchtest du Kaffee?
Yvonne rührte sich nicht.
Versteckt hinter ihrer Zeitung.
Würgte sie an einem Stück Brot.
Mit Marmelade.
Eigentlich hatte sie keinen Hunger.
Eigentlich nicht einmal Appetit.
Schon sehr lange Zeit nicht.
Aber der Arzt
Frau Bogner.
Ihre Blutwerte sind nicht besonders.
Sie sind blutarm.
Sie müssen schon was essen.
Und Ihr Blutdruck.
Obst, Gemüse, Fisch,
Machen Sie sich doch nicht so schwer
Sie hörte wieder seine freundliche, warme Stimme.
Aber was wusste er schon
?
Gar nichts wusste er.
Genau wie die anderen.
Bitte schenk mir doch eine Tasse ein.
Ihre Stimme klang leise.
Fast fremd.
Yvonne kam aus dem Geschäft.
Ein paar Sackerl mit Einkäufen im Arm.
Es hatte leicht zuregnen begonnen.
Dunkel wurde es auch schon.
Kein Wunder.
Ende November.
Sie stieg in den Bus.
Setzte sich nieder.
Begann in ihren Sackerln zu kramen.
Suchte etwas Bestimmtes.
Da!
Erleichterung floss durch ihren Körper.
Da war es ja!
Georg durfte es nicht sehen.
Aber sie war jetzt sicher.
Ganz sicher.
Sie lächelte.
Das Lächeln in ihrem blassen Gesicht.
Wirkte fast wie eine blutende Wunde.
Sie steckte es in die Manteltasche.
Hielt es in der Hand.
Fühlte es warm werden.
Solche Angst hatte sie gehabt.
Die Verkäuferin würde eine Bemerkung machen.
Aber die blickte nicht einmal auf.
Sondern kassierte nur.
Georg sah auf die Uhr.
Wo blieb Yvonne?
Sie wollte sich doch nur mit einer Freundin treffen.
Und jetzt war sie schon fast fünf Stunden weg.
Georgs Finger trommelten nervös auf dem Glastisch.
Konnte sich etwas wiederholen?
So ein Albtraum wiederholen?
Oder hatte sie einfach die Zeit übersehen
Saß noch im Lokal und amüsierte sich
Georg wusste, dass er sich belog.
Yvonne hatte sich schon lange nicht amüsiert.
Schon lange nicht mehr.
Manchmal glaubte er.
Sie würde es nie wieder tun.
Fröhlich sein.
Lachen.
Glück empfinden
Sein Mund zog sich zusammen.
Ganz schmal.
Und er sah wieder auf die Uhr.
Yvonne blickte keuchend hinter sich.
Da war er schon wieder.
Immer wusste er.
Wo sie gerade zu finden war.
Dieser Teufel!
Ihre Hand tastet in die Manteltasche.
Gott sei Dank.
Da war es.
Jetzt konnte ihr nichts mehr passieren.
Aber er kam immer näher.
Sie glaubte seinen Atem schon im Nacken zu spüren.
Nein!
Er würde ihr nicht mehr wehtun.
Nie mehr.
Sie schloss die Augen.
Drehte sich um.
Begann zu schreien.
Stach auf den Mann hinter ihr ein.
Immer und immer wieder.
Das Messer färbte sich rot.
Ihre Hand färbte sich rot.
Es tropfte zu Boden.
Der Mann brach nach einem kurzen Schrei zusammen.
Stöhnte.
Seine Augen waren geschlossen.
Die Hände auf den Bauch gepresst.
Yvonne hielt inne.
Starrte auf ihre Hand.
Und ließ das Messer fallen
Ihr war plötzlich schwindlig.
Herr Bogner.
Der Mann liegt im Krankenhaus.
Schwer verletzt.
In den nächsten Stunden entscheidet sich.
Ob er überlebt.
Herr Bogner.
Was ist passiert
mit Ihrer Frau?
Georg zündete sich eine Zigarette an.
Mit zitternden Händen.
Meine Frau wurde vergewaltigt.
Vor zweieinhalb Jahren.
In einer Vollmondnacht.
Ein Serientäter.
Das hat sie gebrochen.
Sie brach ihr Studium ab.
Gab den Job auf.
Verlor den Halt im Leben.
Und ich den Zugang zu ihr
Sie war in ärztlicher Behandlung.
Ihre Ängste kamen immer wieder.
Die Medikamente halfen nicht sehr.
Ich glaube gar nichts.
Sie hat es mir nicht gesagt.
Sie hat mir nichts mehr gesagt.
Sie war nur mehr Angst.
Der Täter wurde damals gefasst.
Und verurteilt.
Zu einer längeren Haftstrafe.
Er sitzt noch immer im Gefängnis
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