Neue Bohnen Zeitung


von Vivienne  –  Februar 2005



Liebe macht blind…

Kopfschüttelnd blickte ich mein Gegenüber an. Gerhard war nie einer gewesen, der sich in Narreteien verrannt hatte, ganz im Gegenteil, er schien immer sehr pragmatisch zu denken und zu handeln, und wenn ich das nicht gewusst hätte, seit ich ihn kenne (und das tue ich bald zwanzig Jahre) hätte ich seinen Bericht wohl ins Land der Übertreibungen verwiesen. So aber stieg ein ungutes Gefühl in mir auf, ich musterte ihn, Gerhard, der meine erste Liebe gewesen war, und den ich in all den Jahren nie ganz aus den Augen verloren hatte und ich fühlte mich ob seiner traurigen Augen mehr als nur unwohl. Ausgerechnet ihm, dem harmlosen wie fast langweiligen, nicht mehr ganz jungen Mann, musste eine derart haarsträubende Geschichte passieren…

Wie immer wieder seit vielen Jahren traf ich Gerhard bisweilen nach der Arbeit in einem Kaffeehaus. Unser letztes Treffen lag nun doch fast zwei Jahre zurück und ich war gespannt, wie es ihm wohl gegangen war. Ich hatte schon länger das Gefühl gehabt, dass er sich, seit ich mit Ali beisammen war, etwas von mir zurückgezogen hatte, obwohl er es immer bestritt. Auch heute schüttelte er nur den Kopf, als ich ihn, halb im Spaß, halb im Ernst darauf anredete. „Nein, nein!“ Gerhard hob seine Hände. „Mit dir hat das nichts zu tun, sondern mit etwas ganz Anderem…“ Ich sah Gerdschi fragend wie neugierig an, worauf er sich etwas unter meinem Blick zu winden schien, dann aber ergriff er das Wort. „Okay, du hast gewonnen. Sag aber dann nicht, dass ich Unsinn rede. Mir ist eine selten unglückliche Geschichte passiert…“ 

Gerhard verschränkte die Hände. „Ich war lange allein, genau wie du, und das auch noch fast zur selben Zeit. In diesen Jahren war mein Leben sehr abwechslungsreich und ich bin nicht immer auf die Butterseite gefallen. Wenn du dich erinnerst: ich hab auch den Job gewechselt, weil in meiner damaligen Firma so viel falsch gelaufen ist. Eine Kollegin, Sandra, die rechte Hand des Chefs, hat während dessen häufigen Abwesenheiten das Ruder nach und nach an sich gerissen und mit Zuckerbrot und Peitsche im Unternehmen regiert. Ich habe da irgendwann nicht mehr mitgespielt und dem Chef in einem Vieraugengespräch erzählt, was da alles hinter seinem Rücken läuft und nicht nach seinem Sinn sein kann. Sandra bekam daraufhin eine Menge Schwierigkeiten, wäre beinahe gekündigt worden und plötzlich sah ich mich den Vorwürfen der anderen Kollegen konfrontiert, wie ich das nur tun konnte.“

Gerdschi versuchte mühsam zu lächeln. „Da hat es mir gereicht. Ich ging, und mir war nicht leid drum. Ich fand in Marchtrenk bald einen neuen Job, und in einem Lokal dort lernte ich eine junge Frau kennen, Petra. Es hat gefunkt, zumindest bei mir, und ich hatte das Gefühl, dass sich mein Leben wieder in den richtigen Bahnen zu bewegen begann. Ich war sehr glücklich, glaub mir und sehr verliebt…“ Gerhards Stimme erstarb in einem Flüstern und die plötzliche Traurigkeit in seinen Augen tat mir unvermittelt weh. Aber noch viel mehr fragte ich mich, in wie weit diese zarte Liebesgeschichte in Zusammenhang mit seinem alten Arbeitsverhältnis stand – denn das musste sie, sonst hätte Gerhard nicht so ausführlich darüber erzählt. Inzwischen nahm Gerhard wieder den Faden auf. „..die ersten Wochen waren wundervoll, glaub mir, ich war glücklich wie lange nicht, aber gerade zu dem Zeitpunkt, als ich glaubte, wir würden richtig zusammengehen, eine Beziehung anfangen, zog sie sich wieder von mir zurück.“

Gerhard seufzte, und ich war gespannt, was wirklich passiert war. „Plötzlich kam sie unregelmäßig zu unseren Treffen, lieh sich immer wieder Geld von mir ohne es zurückzugeben, und irgendwie hatte ich auch den Eindruck, dass ich mich in ihrer Gegenwart nicht mehr so wohl fühlte. Da war etwas, aber ich wäre nie auf den Gedanken gekommen, was es war, wenn ich Petra nicht an einem Nachmittag zufällig in Marchtrenk gesehen hätte, und sie befand sich in der Begleitung einer mir nicht unbekannten Person.“ Gerhard sah mich mit bitterem Lächeln an. „Na, was glaubst du, wer es war?“ Ohne meine Antwort abzuwarten fuhr er fort: „Es war Sandra. Und in dem Moment begriff ich auch, dass Petras mittlerweile so abweisendes und schwer durchschaubares Verhalten damit in Zusammenhang stehen musste. Sandra war schon in der alten Firma eine Mobberin großes Stils gewesen und Lügen oder Halbwahrheiten überzeugend vorzubringen war ihr nie schwer gefallen…“

Gerhard ballte seine rechte Hand zur Faust. „Ich habe Petra bei nächster Gelegenheit angesprochen und war schließlich erschüttert, mit welcher Strategie Sandra vorgegangen war. Sie hatte Petra gegenüber, die sie leider flüchtig kannte, behauptet, ich hätte ihr, Sandra, das Herz gebrochen und sie um viel Geld erleichtert. Ich würde das in großem Stil bei allen Frauen machen und das war auch der Grund, warum sich Petra immer Geld bei mir geholt hatte – sie hatte es Sandra „zurückgegeben wollen“ – stell dir das vor…“ Gerhard schüttelt in komischer Verzweiflung den Kopf. „…meine Bemühungen, Petra zu überzeugen, dass ich mir nie was zuschulden kommen hatte lassen, fielen auf nicht sehr fruchtbaren Boden. Sandra hatte alle Arbeit geleistet, aus reinem Hass. Aus einer kranken Begierde heraus, mich für etwas zu bestrafen, was sie sich im Grunde selber eingebrockt hatte…“

Eine verstohlene Träne tauchte in Gerhards Gesicht auf, und er wischte sie nicht weg. „Ich hab noch das eine oder andere Mal versucht, Petra anzurufen, vergeblich, sie hat nie abgehoben. Also ließ ich es bleiben, immerhin war ich das Opfer einer böswilligen Verleumdung geworden und hatte mir nichts vorzuwerfen. Eine Verkettung unglückseliger Umstände, wodurch die Sache aber nicht einfacher wurde. Aber Petra hätte mir eine Chance geben müssen, ihr die Sache richtig zu erklären. Aber letztlich war sie zu voreingenommen und zu selbstgerecht. Ein gutes halbes Jahr später hatte ich einen Anruf mit unterdrückter Rufnummer auf meinem Handy und eine kurze Nachricht auf der Mailbox. Petra. Sie bat mich um einen Rückruf. Ich hab mich nie mehr bei ihr gemeldet.“ Gerhard zuckte die Achseln. „… was immer sie wollte – ich wollte nicht mehr. Meine Traumfrau war sie ja doch nicht wirklich gewesen, denn sonst wäre es nie so weit gekommen.“ 

Gerhard presste die Lippen aufeinander. „..ein Mensch, der aufrichtig liebt, spricht auch. Über alles und offen. Also kann sie mich nicht wirklich geliebt haben. Ich habe mich geirrt…“ Gerhard sah auf die Uhr. Ich hatte das deutliche Gefühl, dass das eine Alibiaktion war, um seine Hilflosigkeit, um seine Tränen zu verbergen. Ich legte meine Hand sanft auf seine und sagte kein Wort. Ein paar Minuten schwiegen wir, dann wischte sich Gerdschi mit der anderen Hand über die Augen. Als er mich schließlich ansah, fühlte ich mich einen Moment sehr nah mit ihm verbunden. Lüge ist ein infames Instrument um eine Liebe zu zerstören, auch wenn sie nicht so fest und innig ist, wie man vielleicht hofft. Ich dachte an Hermann und meinen  Kummer seinetwegen, Hermann, der mir mittlerweile gestohlen bleiben konnte. Wie hoffte ich für Gerhard, dass er auch einmal über diese Sache hinweg kam! 

Für jemanden, den ich einmal sehr geliebt habe…

Vivienne

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