von Vivienne – Oktober 2004
Wenn du mich liebst, tust du es trotzdem…
Jeder von uns wünscht sich geliebt zu werden, und nichts ist schlimmer als der Zweifel, ob der oder die Ausersehene die Gefühle auch wirklich erwidert. Aber einen wirklich schlüssigen Liebesbeweis gibt es nicht, wer fordert, verliert meistens alles, oder zumindest ob kurz oder lang. Liebe das bedeutet auch Vertrauen, Liebe führt in eine Einbahnstraße, wenn einer nur fordert und selber nichts gibt. Und trotzdem sind es gerade wir Frauen, die für vermeintliche Liebe Kopf und Kragen riskieren und bereit sind, alles zu opfern, auch um den Preis der Würde und der Selbstachtung. Ein Weg, der in den Abgrund führt
Mit gemischten Gefühlen stand ich vor der Tür unserer Nachbarin. Neulich abends, ich war von einem längeren Spaziergang allein zurückgekommen, passte sie mich ab, gerade, bevor ich die Wohnungstür aufschließen hatte können. Entschuldigen Sie könnte ich einmal mit Ihnen reden? Ich hatte die hübsche, nicht mehr ganz junge Frau etwas überrascht angeblickt. Mit mir? Angelika Breitner hatte genickt. Ja, wie wäre es mit Donnerstagabend? Ginge das bei Ihnen? Ihre Lippen waren verkniffen und sie wirkte nervös auf mich. Mit mir? Mir ging ihre Bitte nicht aus dem Kopf, ja, ich begriff sie nicht ganz, aber ich willigte nach ein paar Augenblicken ein. Wenn Sie meinen, sicher. Ist Ihnen 20:00 Uhr Recht?
Frau Breitner wirkte nach meiner Antwort sehr erleichtert. aber sicher, ich freue mich schon! Und dann hatte sie es ziemlich eilig, in ihre benachbarte Wohnung zu kommen. Ich sperrte die Tür auf und als ich Albert später beim Abendessen davon erzählte, konnte er sich auch keinen Reim darauf machen. Ich hoffe, du weißt, was du tust. formulierte er leicht ironisch, während er sich die Spaghetti auf das Teller lud. Ich griff nach dem Parmesan und konnte ein Schmunzeln nicht unterdrücken. Was glaubst du denn, was sein wird? Gehst du davon aus, dass Sie mir ein unmoralisches Angebot unterbreiten wird? Albert legte die Gabel auf den Teller. Nein, natürlich nicht Er blickt versonnen auf die Spaghetti, dann sah er mich nachdenklich an, die Stirne in Falten gezogen. ..komisch ist es trotzdem.
Also stand ich vor der Tür von Angelika Breitner, wie abgemacht und läutete ein zweites Mal. Unserer Nachbarin öffnete, sie wirkte hektisch, nein, fahrig, und das dunkle Haar hing ihr links strähnig ins Gesicht. Kommen Sie doch herein. Ich hätte jetzt beinahe die Zeit übersehen Ich folgte ihr in die Wohnung, die geschmackvoll eingerichtet war, und auch teuer. Das konnte ich an verschiedenen kleinen und größeren Anschaffungen erkennen. Auf dem Couchtisch dampfte der Kaffee, und ein paar kleine Kuchenstücke waren sorgfältig auf einem Teller drapiert. Ich fühlte mich nicht wohl, ich merkte es bei jedem Schritt, in dieser wirklichen hübschen Wohnung spürte ich etwas Ungutes, das mein Wohlbefinden nicht unbedingt steigerte.
Trotzdem nahm ich auf der Couch Platz, trank eine Tasse Kaffee und verzehrte wohlerzogen einen Kuchen. Angelika Breitner begann über Belangloses zu plaudern, ihre Art wirkte aufgesetzt und unecht. Ich musterte sie. Ihre Kleidung war teuer, wenn sie auch auf dem ersten Blick etwas unscheinbar wirkte. Ich erinnerte mich, Angelika Breitner arbeitete in der Zentrale einer großen Bank, in der Buchhaltung. Eine sehr verantwortungsvolle Aufgabe, die natürlich auch dementsprechend entlohnt wurde. Unser Gespräch plätscherte dahin, und ich fragte mich, worauf diese etwas verkrampfte und unsicher wirkende Frau hinauswollte. Aber schließlich kam Frau Breitner von selber zum Punkt. Ich möchte Sie was fragen, ich darf Sie doch Vivienne nennen?
Ich war ganz Ohr. Bitte. Frau Breitner verschränkte die Hände krampfhaft untereinander. Mein Freund hatte viel Pech n seinem Leben. Er hat versucht, sich selbständig zu machen, mehrmals, und dabei immer sehr viel Geld verloren. Dummerweise sind ein paar große Zahlungen offen, bei denen ich ihm mit meinen Ersparnissen auch nicht mehr aushelfen kann. Frau Breitner wirkte sehr traurig auf mich. Sie zupfte ein paar braune Blätter von einer Dracena und sah mich nicht an. ..wir haben zuletzt öfter deswegen gestritten, denn er hatte ein verrückte Idee. Frau Breitner rollte die braunen Blätter zwischen ihren Fingern. Ich denke, Sie wissen von mir, Vivienne, bei welcher Bank ich Chefbuchhalterin bin, und das schon viele Jahre. Eine ungeheure Verantwortung obliegt mir, meine Chefs vertrauen mir bedingungslos. Mein Freund meint aber, ich soll die Summe, die ihm fehlt, vorläufig aus dem Tresor entnehmen. Bis das bei einer Prüfung auffallen könnte, hätte er mir den Betrag längst retourniert.
Sie schluckte. Ich weiß nicht, ob ich das machen kann. Aber mein Freund meint, wenn ich es nicht tue, wäre meine Liebe zu ihm nicht groß genug. Kann, darf ich ihn denn im Stich lassen? Treuherzig blickte sie mich an, ja sie hing an meinen Lippen. Während ich nach Worten rang. Was für eine Geschichte! Und ausgerechnet mich musste sie da hineinziehen! Schließlich stellte ich mich der Frage mit einer harten Antwort. Frau Breitner, ein Mann, dem Sie aufrichtig etwas bedeuten, wird nie von Ihnen etwas Ungesetzliches verlangen, schon gar nicht etwas, mit dem er Sie um ihre Existenz bringen kann. Das ist Egoismus pur, denn Sie haben keine Gewähr, dass er das Geld jemals zurückzahlen kann. Ich schüttelte den Kopf energisch. Um Himmel Willen, Frau Breitner, tun Sie das nicht!
Unsere Nachbarin begann zu weinen. ..aber dann muss er doch ins Gefängnis, er ist Verpflichtungen eingegangen, Ich kann ihn doch nicht seinem Schicksal überlassen ! Sie blickte mich mit Tränen überströmtem Gesicht an. ..Sie müssten mich doch am besten verstehen, Sie leben doch selber mit einem jüngeren Mann zusammen! Fast hätte ich gelacht, darum also die Frage gerade an mich. Aber ich hielt mich zurück. Mein Freund ich formulierte meine Worte mit Bedacht und ganz langsam. mein Freund würde mich nie zum Stehlen zwingen im Namen der Liebe! Dann stand ich auf. Es geht mich nichts an, Frau Breitner, Ihre Entscheidung. Aber sie sollten an diesen Mann keinen Gedanken verschwenden, denn er liebt Sie sicher nicht! Ich bedankte mich hastig für die Einladung und floh geradezu aus der Wohnung. Im Stiegenhaus atmete ich zuerst einmal tief ein und aus.
Ein altes Thema, das wohl nicht nur allein mit dem Altersunterschied der Frau zu ihrem jüngeren Freund zusammenhing. So viele Frauen (aber natürlich immer wieder auch Männer) definierten ihren Selbstwert in einer Beziehung, was so manchen Partner veranlasste, diese Liebe zu missbrauchen Eine Riesentragödie, was man sich aufzuhalsen bereit ist im Namen der Liebe. Wahre Liebe ist die, die immer und immer sich gleich bleibt, ob man ihr alles gewährt, ob man ihr alles verwehrt. Das sollte man sich vielleicht überlegen, ehe man seinem/r Liebsten das nächste Ultimatum stellt
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