Neue Bohnen Zeitung


von Vivienne  –  Oktober 2004



Was Liebe verzeiht…

Liebe verzeiht alles? Oder doch nicht? Es kommt auf den Fall an. Und auf den Menschen. Jedenfalls hat die Vergebungskraft der Liebe in unserer Gesellschaft sehr gelitten. Wenn schon Liebe selber ein abgenutzter Begriff ist, der schnell voreilig in den Mund genommen wird und doch oft nur Leidenschaft meint. Um zu erfahren, was Liebe verzeiht, muss man zuerst klären, wie tief die Gefühle wirklich sind. Tiefe Gefühle und ehrliche Zuneigung mögen tatsächlich viel aushalten und ertragen, was eine losere Bindung zerbrechen lässt. Auf welchem Felsen eine Liebe aufgebaut wurde, erfährt man wohl erst im Notfall. Und da sollte man nie so vermessen sein, sich zu sicher zu sein…

„.. ich halt’s im Kopf nicht aus!“ Ich schnaufte laut durch und warf meiner Kollegin Margi einen bösen Blick zu. Gott sei Dank bemerkte sie ihn nicht, sie wirkte schon zerknirscht genug auf mich. Und ehrlich gesagt – konnte ich sie dafür verantwortlich machen, dass ihr der Wagen eingegangen war? Irgendwo auf halber Strecke zwischen Rohrbach und Linz saßen wir in einem Dorf fest und die Werkstatt würde erst morgen früh um 7:00 Uhr wieder aufsperren. Innerlich rotierte ich. Im Grunde hatte ich meine Kollegin Margi nur zu einer Art Heilerin begleitet, die angeblich spezialisiert war, verschiedene kleine Leiden mit Kräutersäften zu heilen. Albert hatte mich gebeten, mir für ihn etwas wegen seiner Schlafstörungen zu holen, die ihn ab und an plagten.

So auf Verdacht wollte mir die gute Frau zuerst gar nichts geben, aber nachdem ich ihr Alis Geburtsdatum verraten hatte, vertraute sie mir ein Fläschchen an. Und ebenso auch gleich etwas für mich, obwohl ich gar nicht darum gebeten hatte. Eine merkwürdige Tinktur sollte mich, die ich so viel am PC saß, von den Computerstrahlen befreien, mit denen ich konfrontiert war. Daheim wie in der Arbeit. Aber aus der Heimfahrt wurde nun nichts. Es blieb uns nichts anders übrig, uns im einzigen Wirtshaus einzuquartieren und mich um Fassung zu bemühen – für das Telefonat mit Ali. Wie ich erwartet hatte, traf ihn fast der Schlag bei meinem Anruf. „…ich hol dich sofort!“ war er nicht zu bremsen. „Wo seid ihr?“ „Ali“, versuchte ich ihn zu beruhigen, was sich als ein schwieriges Unterfangen erwies, da ich selber stinksauer war. „..lass es bitte bleiben. Du musst morgen früh auf. Es steht nicht dafür! Morgen Vormittag bin ich wieder bei dir!“

Ali brauchte einige Zeit um Einsicht zu gewinnen, aber schließlich gab er mir Recht. „Ruf mich an, wann ihr losfährt!“ musste ich ihm versprechen. Nichts lieber als das! Ich schaltete das Handy ab und folgte Margi in die Gaststube. Eine Kleinigkeit wollten wir ja doch essen. Ich selber hatte im Grunde wenig Hunger, bestellt mir nur den obligaten Kaffee zu dem ich mir eine Zigarette anzündete. Um mich zu beruhigen… Margi hatte allerdings großen Appetit und orderte ein Pfandl-Gericht, dazu ein kleines Bier und eine Schüssel Salat. Es interessierte mich im Grunde nicht wirklich. Ich ließ meinen Blick durch die Stube schweifen und schüttelte zum wiederholten Male den Kopf. Ein paar Tische weiter schmuste eine reichlich ordinäre, dralle Person mit einem kleinen, hageren Typen.

Das allein wäre ja noch nicht so schlimm gewesen, aber die dickliche Frau hatte ihren kurzen Haarschopf grotesk gefärbt. Den äußeren Haarkranz schwarz gefärbt, den inneren in einem knalligen Purpurrot. Dazu trug die Frau, die nach meinem Eindruck wohl so Mitte, Ende Vierzig sein musste, eine Art weite, bunte Tunika, unter der ihr großer Busen ungebändigt wogte. Ich rätselte gerade amüsiert, ob sie wohl einen Slip trug, als mich Margi anstieß. „Das gibt es doch wohl nicht!“ Ich blickte sie überrascht an. „Du kennst dieses merkwürdige Pärchen?“ Margi schüttelte den Kopf. „Also ihn sicher nicht. Aber die Josefa kenn ich ganz sicher!“ „Woher denn?“ Ich war neugierig geworden. So eine groteske Person fiel in dem biederen Landgasthaus schon auf, denn ich bemerkte, dass auch andere Leute sie musterten. Ihre Reaktionen waren offensichtlich sehr geteilt, aber keiner sagte ein Wort.

„Josefa hat früher bei uns öfter Schmuckpartys veranstaltet!“ fuhr Margi fort. „Sie war ja geschieden und musste vier Kinder durchbringen!“ Unvermittelt musste ich lachen. Plötzlich hatte ich das Gefühl, ich wüsste genau, womit sich die Frau ihren Lebensunterhalt verdiente. Margi stieß mich wieder an, diesmal sehr unwirsch, mein anzüglicher Blick auf die Person, der der Dürre eben in den Ausschnitt griff, schien sie zu ärgern. „Hey, Hure ist sie keine. Ich meine, Männerbekanntschaften hatte sie immer viel, das stimmt“, ergänzte sie dann. „Aber verdient hat sie mit den Schmuckpartys, und das nicht schlecht, was ich so gehört habe.“ Margi machte eine Pause. „Im Grunde war sie immer auf der Suche nach der großen Liebe…“ In ihrer Stimme schwang Mitleid und ihre Augen wirkten fast traurig als sie zu erzählen begann.

Irgendwie war Josefa immer eine etwas tragische Gestalt gewesen. Aus der Krankenschwesternschule geflogen, weil sie sich nicht einfügen konnte, hatte sie früh geheiratet. Drei Kinder waren nacheinander geboren worden. „Zwei Buben und ein Mädel. Woher ich das weiß? Sie hat es mir einmal erzählt nach so einer Party, als wir noch eine Weile beisammen saßen.“ Sex war für die Frau lange Zeit eine verschämte Sache für zehn Minuten gewesen, meistens Samstagabend nach dem Hauptabendprogramm. Erst mit knapp über dreißig war Josefa auf den Geschmack gekommen, sehr intensiv und durchaus auch in außerehelichen Eskapaden. „Geliebt hat sie aber nur ihren Mann, aber die Ehe der beiden hat durch die Fehltritte von ihm wie auch von ihr Impulse bekommen. Zumindest einige Zeit.“

Einige Zeit. Bis etwas passierte, was das Weltbild der drallen Frau ins Wanken bringen sollte. Bei einem ihrer ungeschützten Seitensprünge war sie schwanger geworden. „Dabei hat Josefa einen großen Fehler gemacht. Sie wollte ihrem Mann das Kind zuerst als seines unterjubeln. Aber irgendwie kam dann doch heraus, dass das nicht möglich sein konnte, aber ich weiß beim besten Willen nicht mehr wie. Aber du kannst mir glauben: der Teufel war los. Josefa hatte damals, nach vielen Jahren noch, Tränen in den Augen, als sie mir davon erzählte…“ Trotz der gemeinsamen drei Kinder ließ sich Josefas Mann scheiden, aber er verhielt sich anständig. Er ließ ihr das Haus und zahlte regelmäßig für seine Kinder. „Allerdings wollte er mit Josefa nichts mehr zu tun haben. Es ist das letzte was ein Mann verträgt: wenn ihm ein Kuckucksei gelegt wird. Bei all ihrer Klugheit hatte sie übersehen, dass nur die wenigsten wirklich über Derartiges hinwegsehen.“

Margi seufzte. „Ich hatte halt auch den Eindruck, dass die Ehe der beiden ohnedies am Ende gewesen war. Der geringste Anlass hätte gereicht, diese Beziehung zu beenden. Wenn die Partner schon Impulse durch – Seitensprünge – brauchen – das ist doch nicht normal. Sei ehrlich! Das kann gar nicht gut gehen.“ Josefa war über diese Scheidung also nie hinweggekommen und seither auf der Suche nach der großen Liebe. Vergeblich natürlich – im Grunde ihres Herzens war sie noch immer ihrem Ex-Mann verfallen. Der seinerseits aber nicht so empfand wie sie sondern wieder geheiratet hatte. Das Ende einer großen Liebe… Ich sah die Frau nun mit anderen Augen. Tragisch, was da im Leben Josefas falsch gelaufen war. Auch wenn sie fraglos viel selbst verschuldet hatte.

„Hallo, mein Schatz!“ Alberts Stimme riss mich aus dem Sinnieren. „Ali!“ Ich war fast wie vom Donner gerührt. „“Komm, pack deine Sachen und dann machen wir die Fliege!“ Irgendwie sah Ali auch sehr erleichtert aus als er den Arm um mich legte. Ich blickte auf die Uhr: dreiviertel neun. Albert musste wie der Teufel gefahren sein und ich fragte mich, ob er wohl eine Radarstrafe bekommen würde. Ich hatte kaum Zeit, Margi zum Abschied zu winken. Ein letzter Blick auf die tragische Frauengestalt, die eben kokett ihrem Partner zuzulächeln versuchte und doch nur bemitleidenswert wirkte. Liebe verzeiht eben doch nicht alles – oder hätte sie ihr Mann, wenn er sie wahrhaft geliebt hätte, niemals gehen lassen…?

Vivienne

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