von Vivienne – Juli 2004
Vertauschte Positionen
Ungeduldig sah ich zum xten Mal auf die Uhr. Natürlich, ich konnte es mal wieder nicht erwarten. Noch nichts aus der Zeit, Albert hatte versprochen, mich kurz nach 15:00 Uhr zu treffen. Dass es erst zehn Minuten vor 15:00 Uhr war und ich sicher schon eine Viertelstunde auf meinen Freund wartete, erklärte aber, dass ich fast wie auf Nägeln saß. Ich hasse es zu warten, dass wissen alle Leute, die mich kennen, aber in diesem Fall ließ es sich nicht vermeiden. Albert tat ohnehin schon, was er konnte, und da er in der Werkstatt noch warten musste, blieb mir nichts anders übrig, als meine Ungeduld zu zügeln.
Ich flanierte also die Landstraße ein Stück auf und ab, und blieb schließlich vor der Auslage eines Schuhgeschäftes stehen. Relativ interessiert musterte ich die verschiedenen Modelle, und überlegte schon, ob ich nicht auf einen Sprung hinein schauen sollte, um ein Paar oder zwei zu probieren. Plötzlich spürte ich eine Hand auf meiner Schulter. Ich hörte, wie jemand Hallo zu mir sagte und drehte mich um. Vor mir stand ein großer, blonder Mann Anfang dreißig in Jeans und Jacke und lächelte mich freundlich an. Irgendwie wirkte er ein wenig unbedarft auf mich, das weiß ich ganz genau, und ich glaubte ihn auch zu kennen, aber die Erinnerung war nur ganz schemenhaft. Das Gesicht, der labbrige Händedruck wer um alles in der Welt war das?
Mein Gegenüber schien nicht zu ahnen, was sich in mir abspielte. Plauderte sofort belanglos dahin und schließlich blickte er besonders treuherzig. Wie gehts denn Viktoria? Dieser Hinweis brachte meine Gehirnzellen blitzartig zum Ergebnis. Paul stand vor mir, dieser scheinbar so harmlose Kerl, der meine liebste Freundin an den Rand einer Psychose geführt hatte: wenn ich mich richtig erinnerte, hatte sie ihn damals auf einer Schulung in Deutschland kennen gelernt, und er hatte ihr auf seine scheinbar unaufdringliche Art den Kopf verdreht. Seine Masche Monate hatte es gedauert, bis meine Vicky endlich durchschaut hatte, dass es Paul weniger um sie als um ihre Texte für sein Country-Magazin gegangen war und dass eine gewisse Carola, ein blondes Püppchen, die Nr. 1 in seinem Leben war zumindest gleich nach seiner Mutter
Nur Sekunden hatte es gedauert, bis mir das alles wieder eingefallen war, Sekunden, die aber ausreichten, um die Positionen zwischen mir und dem jungen Mann klar zu stellen und meine Höflichkeit auf den Gefrierpunkt zu senken. Vicky geht es gut, ist halt alles ein bissl hektisch im Moment. Ich bemühte mich freundlich zu bleiben, immerhin hatte ich selber keinen Zwist mit diesem komischen Vogel gehabt, und Vicky war dank Bert längst über die Sache hinweg. Am liebsten hätte ich mich unter einem Vorwand verzogen, aber Paul machte keine Anstalten, mich aus der sehr einseitigen Unterhaltung zu entlassen. Hektisch? hakte er gleich ein. Warum? Ich blickte zu dem jungen Mann hoch. Ich wette du weißt gar nichts, dachte ich mir, und dann begann mein Herz zu brüten.
Ich setzte ein besonders süffisantes Lächeln auf. Vicky heiratet in drei Wochen! klärte ich ihn grausam auf. Paul zuckte zusammen, seine Mundwinkel senkten sich nach unten. Vicky heiratet ? Paul rang sichtlich nach Worten. Das sind aber Neuigkeiten! Sein Tonfall strafte die vorgeschobene Fröhlichkeit Lügen. Bert heißt ihr Freund , schob ich Details nach. sie leben schon zwei Jahre zusammen und ich konnte mir diesen Seitenhieb nicht verbeißen fünf Katzen teilen ihr Glück. Paul blickte sichtlich angewidert. Richtig, das war mir auch noch rechtzeitig eingefallen: der junge Opportunist war ja allergisch auf Katzen und Vicky hatte ihm ein spezielles Abschiedsgeschenk zukommen lassen, als sie realisiert hatte, was ihr der Kerl über Monate vorgemacht hatte.
Wie gehts überhaupt dir und Carola? Paul ging unberingt durchs Leben, wie ich festgestellt hatte, und darum war die Frage durchaus angebracht. Mein Vis-à-vis zuckte erneut zusammen. Carola? Sein Blick drückte fast Hass aus, wie ich befriedigt zur Kenntnis nahm. Es passierte ihm wahrscheinlich nicht jeden Tag, dass er mit einem Menschen zu tun hatte, er über ein so gutes Gedächtnis verfügte. Paul räusperte, ja, und er räusperte sich noch genau so gut wie vor 21/2 Jahren, wenn er sich wo herauswinden musste. wir leben nicht mehr zusammen. Carola war zu oberflächlich für mich, ich brauche ernsthafte Menschen um mich . Beinahe hätte ich ihm ins Gesicht gelacht. Mr. Tiefgang hat den Blues!
Tut mir leid für dich! Ich konnte so falsch sein, wenn es nötig war, und in diesem Fall war es das. Wie geht es denn dir? schenkte mir Paul plötzlich sein ganzes Interesse. Hoppla, dachte ich und ging unbewusst einen Schritt zurück. Ja, weißt du, mir gehts ganz gut, das Übliche halt. Dann grinste ich Paul ins Gesicht. ich warte gerade auf meinen Freund, Albert, wir machen die Einkäufe für s Wochenende. Wieder eine unerwartete Überraschung für Paul, der mit einem Mal sehr reserviert wirkte. Ich hatte mich nicht getäuscht, der junge Mann hätte auch mich gerne aufgerissen, in Ermangelung von Vicky. Paul war auf der Suche und hatte einen ziemlichen Notstand, wie es schien.
Da bin ich! Albert tauchte keuchend neben mir auf und küsste mich. Ich war so schnell ich konnte! In diesem Moment erst bemerkte er Paul, der mit saurem Lächeln unsere Begrüßung beobachtet hatte. Schau, das ist Paul erläuterte ich. ein alter Freund von Vicky. Und ausgerechnet heute treffen wir uns auf der Landstraße! So ein Zufall! Die beiden schüttelten sich frostig die Hand. na, dann werden wir mal, wir müssen heute noch viel erledigen , beendete Ali die etwas unangenehme Situation. ..war nett, dich kennen gelernt zu haben. Paul. Paul nickte kurz und ging weiter, ohne sich noch einmal umzudrehen.
Ich kramte in der Tasche nach der Einkaufsliste. Albert schien angestrengt nachzudenken. War das der, der Vicky, es ist schon eine Weile her, ein paar Monate zum Narren gehalten hat? Ich nickte. ..aber er hätte jetzt gern dort angeknüpft, wo sie aufgehört haben. Seine Grazie hat ihn nämlich verlassen Ich musste lachen. Offenbar ahnt er nicht einmal, dass Vicky ihm einen Brief mit Katzenhaaren geschickt hat um sich für seine Lügen zu revanchieren Er ist nämlich allergisch. Albert drückte mich an sich. Was würdest du wohl tun, wenn ich dich verlassen würde? Meine Augen wurden schmal wie die einer Katze. Ich würde dich erschießen, und mit dir die Schlampe, mit der du durchgebrannt bist. Na, dann lass ich es wohl lieber bleiben! lachte Albert und nahm meine Hand. du und Vicky, ihr seid eine gefährliches Duo!
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