von Vivienne – Juli 2004
Liebe macht blind…
Albert blätterte zum wiederholten Mal mein Album mit den Schulfotos durch. Es war für mich immer wieder erstaunlich, warum er sich für meine Schulkollegen interessiere konnte nicht erst seit meinem Maturatreffen vor ein paar Tagen. Schon früher hatten wir öfter gemeinsam einen Blick in meine Vergangenheit geworfen. Neuerdings zerkugelte sich Albert über ein Hauptschulabschlussfoto von mir und konnte sich an meinen roten Zöpfen kaum satt sehen. Wer ist die neben dir, mit den braunen Schuhen? Gerda Zinsmeister, ihre Schwester ist bei einem tragischen Unfall ums Leben gekommen jemand in der Siedlung machte unvorsichtige Schussübungen und ein abgefälschtes Projektil traf sie. Ich sah wieder das verweinte Gesicht von Frau Zinsmeister vor mir, einer kleinen, vom Leben gebeugten Frau. Erst die Geburt ihrer Enkel konnte sie halbwegs über den Verlust der jüngeren Tochter hinwegtrösten.
Albert musterte das Foto nicht uninteressiert. Der große, schmale Bursch mit dem spöttischen Gesichtsausdruck sag, hast du mir den nicht schon einmal gezeigt? Ich nickte. Der Herrscher der Welt, der mit dem Auto seines Vaters tödlich verunglückt ist. Das Marterl in der oberen Siedlung, wo wir im Frühjahr mal spazieren waren, wurde für ihn aufgestellt. Erinnerst du dich? Während ich erläuterte, deutete Albert schon wieder auf ein anderes Mädel. Und die? Die ist vielleicht hübsch. Und so blaue Augen Ich sagte zunächst nichts, sondern atmete tief und laut ein. Albert drehte sich um zu mir. Ich zuckte scheinbar ungerührt die Achseln. Karin Feldmann. Sie war einmal mein beste Freundin Albert registrierte mein reserviertes Verhalten sofort. War ? Ihr habt euch aus den Augen verloren?
Ja, das auch. Mehr als das hat aber eine Beziehung bewirkt, dass wir uns entfremdet haben. Ihr erster Mann.., Albert blickte mich gespannt und leicht ironisch an. Ihr Mann? Habt ihr um ihn gekämpft, du und sie? Weit gefehlt, mein Lieber! Ich schüttelte energisch den Kopf. Leg die Fotos weg, ich erzähle dir die Geschichte, eine der tiefsten menschlichen Enttäuschungen meines Lebens. Und wie du weißt, war mein Leben nicht unbedingt an Enttäuschungen arm Mein Bedürfnis nach einer Zigarette war dringlich geworden, ich fühlte, wie mich die Sache selbst nach über 15 Jahren noch ein wenig aus dem Konzept brachte. Es war einmal eine wunderschöne Freundschaft, und eines Tages, niemand hätte es geahnt, war sie vorbei
Karin und ich waren die besten Freundinnen in unserer gemeinsamen Schulzeit. Wir saßen beisammen, und nach der Pflichtschule hätte ich mich um ein Haar überreden lassen, mit ihr in eine höhere Schule in unserer Bezirkshauptstadt zu wechseln. Aber dann siegte doch die Einsicht, dass ich in Linz besser aufgehoben war. Immerhin war ich näher am Bahnhof daheim als bei der Bushaltestelle, die ins andere Ende des Bezirkes führte. Damals trennten sich unsere Wege erstmals, aber wir blieben natürlich in Kontakt. So viel und so oft es ging. Während ich mich mehr schlecht als recht mit einer Ehrenrunde durch die Schule wurstelte, ging es ihr erheblich besser. Der Schultyp schien auf sie zugeschneidert.
Ich streifte die Asche meiner Zigarette am Aschenbecher ab. Albert hatte seinen Arm auf meine Schulter gelegt, fixierte dabei einen unbekannten Punkt an der Wand gegenüber, aber ich wusste genau, dass er gespannt zuhörte. natürlich hatte sie auch früher einen Job als ich, und einen besseren. Ein dynamischer Jungunternehmer hatte sie auserkoren, mit ihr und ein paar anderen Leuten seine Firma aufzubauen. Jede Menge Überstunden, aber toll bezahlt, zumindest für meine Verhältnisse. Aber auch sehr wenig Zeit zum Leben, gut die Wochenenden waren meistens frei, aber auch Freitag wurde es oft 22:00, 23:00 Uhr, bis der letzte aus der Firma kam. Wäre nichts für mich gewesen, noch dazu, wo Herr Schmidtleitner, Karins Boss, ein Choleriker war, der seine Wut und seinen Frust bedenkenlos an seinem Personal ausließ.
Ich dämpfte geräuschvoll meine Zigarette aus und zündete mir gleich wieder eine an. Albert nahm sie mir mit einer raschen Handbewegung wieder weg. Reg dich nicht so auf, mein Herz. Vergiss nicht , er sah mich ernst an- es ist lange her. Während also ich noch vergeblich Bewerbungen verschickte und erst mit Glück in einer unbedeutenden Firma in unbedeutender Position landete, war Karin schon zur rechten Hand ihres Chefs avanciert. Und in der Situation lernte sie einen jungen Mann kennen, Dietmar, der für den Zustelldienst arbeitete, mit dem Herr Schmidtleitner seine Computerteile rund um die Welt verschickte. Irgendwann hat es zwischen den beiden gefunkt. Dietmar war ja nicht der erste, mit dem Karin eine Beziehung hatte sie war mir irgendwie damals in jeder Hinsicht überlegen aber die erste Zeit behandelte er sie wie eine Prinzessin. Führte sie groß aus, lud sie regelmäßig ein, kaufte ihr wunderschönen Schmuck. Und das war es, nachdem Karin sich immer gesehnt hatte.
Ich sah Karin wieder vor mir, mit Dietmar, den sie mir präsentierte wie einen Hauptgewinn. Dietmar war schon ein Mann, der auf Frauen wirkte, und ich kann nicht verhehlen, dass er mir auf dem ersten Blick auch sehr gut gefiel. Er präsentierte sich von seiner Zuckerlseite groß gewachsen, hellbraunes Haar, braungrüne Augen und sehr sinnlich geformte Lippen. Ich war überzeugt, wie andere auch, dass Karin privat und beruflich das große Los gezogen hatte. Aber letztlich wusste ich von beidem, von ihrem Job und ihrem Liebsten zu wenig, als dass ich meinem Urteil hätte trauen dürfen. Dietmar war bei ihr eingezogen, sprich ins Haus ihrer Eltern, wo er anfangs auch großen Eindruck gemacht hatte. Aber der Bursche war nicht so harmlos wie er schien.
Nachdenklich presste ich die Lippen aufeinander. Er fing dann auch bei Schmidtleitner zu arbeiten an, der konnte solche Leute wie ihn immer gebrauchen, wie mir Karin ganz entzückt erzählt hatte. Aber das Glück begann zu bröckeln. Dietmar war ein heimlicher Spieler, der in den Casinos ein- und ausging. Einige Zeit hatte er Glück, aber später brauchte er immer mehr Geld, weil seine Strähne gerissen war. Irgendwann dazwischen heiraten Dietmar und Karin blitzartig, weil Karin schwanger geworden war. Ich war auf der Hochzeit, bei der Karin nicht mehr so strahlend wirkte wie noch ein halbes Jahr zuvor. Sie hatte die ganze Hochzeit bezahlen müssen, die ganzen eingeladenen Gäste, was ihr nicht nur deswegen wehtat, weil sie im Grunde ihres Herzens eine etwas geizige Frau war und auch noch immer ist. Dietmar brauchte sukzessive ihre ganzen Ersparnisse auf, Geld, mit dem Karin ursprünglich eine Eigentumswohnung hatte anzahlen wollen.
Versonnen nahm ich einen Schluck Saft aus dem Glas. Nicht der einzige Traum Karins, der auf der Strecke blieb. Und irgendwann kam sie zu mir und bat mich um Geld. Geld für Dietmar, der einen Unfall mit dem Auto gehabt hatte und die Reparatur nicht hätte zahlen können. Ich lieh Karin damals 50.000 Schilling, das meiste davon stammte aus einem Bausparvertrag, den mein Vater noch für mich angelegt hatte. Karin schwor mir, dass ich das Geld in zwei Monaten wieder bekommen würde. Dietmar würde dann von Schmidtleitner eine Prämie bekommen, die Rückzahlung würde dann kein Problem mehr sein. Ich wartete zwei Monate, drei Monate, vier Monate, dann wurde es mir zu dumm. Ich wollte Dietmar in der Firma anrufen Karin hatte inzwischen einen Sohn geboren, Dominik und erreichte dann aber Schmidtleitner selber. Ich konfrontierte ihn ziemlich offen mit der Frage, ob denn Dietmar seine Prämie noch nicht bekommen hätte, er schulde mir seit vier Monaten 50.000 Schilling.
Ich lachte bitter, währen mir die Details wieder einfielen. Dort erfuhr ich dann, dass Dietmar erstens nie einen Unfall gehabt hätte, von dem sein Chef etwas wüsste. Und zweitens hätte er auch nie eine Prämie zu erwarten gehabt. Das reichte, ich wusste, ich musste mein Geld in den Wind schreiben. Das war aber nicht der einzige Schlag an diesem 11. Juni, ich erinnere mich sehr gut an dieses Datum. Etwa zwei Stunden später rief mich Karin an und beschimpfte mich wüst, wie ich nur ihren Dietmar mit meinem Anruf in der Firma schlecht machen hatte können. Sie kündigte mir in völliger Verkennung der Situation die Freundschaft, denn nach dem Telefonat mit Schmidtleitner war für mich bereits das Ende meiner Freundschaft zu Karin festgestanden. Mitten unter ihrem Wutausbruch legte ich auf und brach in Tränen aus, ich war so fertig, ich kann es dir nicht sagen
Danach hatte ich mich wieder unter Kontrolle. Ich sog den Rauch der Zigarette tief ein und fühlte mich fast befreit, über die Sache gesprochen zu haben. Nun, das Ende der Geschichte habe ich mehr aus der Ferne mitbekommen. Dietmar flog aus der Firma, und irgendwann auch aus Karins Wohnung im Haus ihrer Eltern. Seine Spielsucht ist er nicht losgeworden, aber er hat schnell Ersatz für Karin gefunden, die sich in der Folge auch scheiden ließ. Jetzt ist sie in zweiter Ehe verheiratet, mit einem grundsoliden, langweiligen Mann und hat zwei Töchter mit ihm. Dominik sieht seinem Vater unglaublich ähnlich. Ab und an sehe ich die Familie nämlich. Albert stieß mich leicht an. Und? Redet ihr wieder miteinander? Aber natürlich! Meine Stimme troff vor Ironie. Belanglosigkeiten, übers Wetter, zum Beispiel, oder dass die Kinder herzig sind.
Albert unterbrach mich. Habt ihr das nie ausgeredet, ihr zwei, oder es wenigstens versucht? Wozu? Ich bemühte mich ruhig zu bleiben. Ihre Beschimpfungen waren das Letzte. Da kommt man nicht so einfach darüber hinweg. Albert legte mir seine Hände sanft auf die Schultern. Aber es ging doch um ihren geliebten Mann, dem Vater ihres Kindes. Sie hatte vermutlich ein Blackout. Pure Verzweiflung. Ich blickte Albert ernst ins Gesicht. Und ich war ihre beste Freundin, verstehst du? Nicht Dietmar ist zwischen uns gestanden, sie selber war es. Weißt du, was ich meine? Den sicheren Freund erkennt man in unsicherer Sache. Unsere so genannte tolle, langjährige Freundschaft hielt nicht einmal die erste richtige Bewährungsprobe aus. Ich streichelte Albert an der Wange. ich weiß, Männer tragen ihre Streitigkeiten anders aus. Aber andererseits hat Karin nachher auch nicht wieder versucht mit mir darüber zu reden. Die Sache hat uns beide verändert leider !
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