Neue Bohnen Zeitung


von Vivienne  –  Juli 2004



Die Fliege

Die letzten Wochen waren wie im Flug vergangen. Vicky und Bert hatten ihre standesamtliche Trauung erfolgreich über die Bühne gebracht und ich hatte nur so gestaunt, dass meine selbständige und emanzipierte Busenfreundin nicht einmal einen Gedanken daran verschleudert hatte, ihren Familiennamen zu behalten oder zumindest einen Doppelnamen anzunehmen. „Was soll der Firlefanz?“ hatte sie verständnislos mit den Achseln gezuckt. Und nun flitterten die beiden auf Palermo, ich war mir sicher, dass ein Baby in Planung war und Albert und ich waren mordsmäßig neidig, denn bei uns war das Wetter immer noch eher gemischt – und arbeiten mussten wir auch…

Albert schaltete das Fernsehgerät aus und warf die Fernbedienung auf den Couchtisch. „Komm, gehen wir ins Bett!“ lautete seine unmissverständliche Aufforderung. Ich gähnte. Das öde Fernsehprogramm ging mir auch auf den Geist, außerdem war ich müde. Die Nacht zuvor war Ali auch für seine Verhältnisse außerordentlich aktiv und rege gewesen und der Schlaf fehlte mir nun. Ich schlüpfte in mein Pyjamaoberteil und wäre währenddessen beinahe schon eingenickt. Albert schubste mich sachte und grinste. „Hey, hinlegen vorher ist auch nicht schlecht, was meinst du?“ Ich ließ mich fallen, bugsierte meine Beine ins Bett und streckte nach diesem Gewaltakt alle viere von mir. „Gute Nacht!“ flüsterte ich und wurde sanft ins das Land der Träume getragen. Alberst Kuss nahm ich nur mehr oberflächlich war, ebenso, dass er das Licht abdrehte. 

Keine Ahnung, wie lange ich geschlafen hatte. Plötzlich spürte ich einen Stoß an der Schulter, dann hörte ich Albert ziemlich unbeherrscht einen Fluch ausstoßen und das Licht ging an. „Was ist denn?“ flüsterte ich mit halbgeöffneten Augen. „.. diese verdammte Fliege!“ Alberts Stimme drang wie aus einer anderen Welt an mein Ohr. Ich hörte, wie er aufstand und aus dem Schlafzimmer ging. Halb mechanisch drehte ich mich auf die andere Seite. Morpheus hatte ich mich fast schon wieder in seinen Armen aufgefangen, als ich Ali wieder neben mir spürte. Dann ging das Licht aus und ein wunderschöner Traum umfing mich. Ich weiß nicht mehr genau, worum es ging, aber das Glücksgefühl war herrlich, bis eine Bombe neben mir einschlug und ich wach wurde.

Kerzengerade saß ich im Bett, das Licht war wieder an und Albert murmelte halb entschuldigend etwas wie „…wieder nicht erwischt, sch…!“ Ungläubig starrte ich Ali an, aber ich sagte kein Wort. Mein Freund zog schuldbewusst den Kopf ein und zog die Decke bis zum Kinn. Ich hörte noch, wie er den Lichtschalter betätigte, aber bevor ich realisierte, dass das Licht wieder aus war, umfing mich schon wieder ein Traum. Diesmal streifte ich durch eine Wolkenlandschaft, sprang von einer Wolke zur anderen bis ich plötzlich ein lautes Surren vernahm. Ich drehte mich um, als ich auf einmal eine riesige Fliege auf mich zukommen sah. Offenbar machte sie Jagd auf mich und ich begann um mein Leben zu laufen. Dabei musste ich auch acht geben, dass ich zwischen den Wolken keinen Schritt daneben setzte, denn sonst wäre ich abgestürzt.

Doch so schnell ich auch war, die Fliege war noch flotter unterwegs. Und schließlich setzte sie zum Sturzflug auf mich an. Ich schrie auf und spürte die Pfote (sagt man das bei Fliegen?) heftig auf der Schulter. In diesem Moment erwachte ich wieder und bemerkte, dass Albert neben mir kniete, seine Hand ruhte auf meinem Oberarm und er hatte offenbar gerade versucht, die Fliege auf mir zu erschlagen. Doch sie war entkommen. Ich richtete mich auf und war völlig wach. Albert sah mich verdattert an und rang nach Worten während ich ihm einen scharfen Blick zuwarf. „Wenn du unbedingt Sex möchtest, solltest du den direkten Weg gehen!“ ließ ich ihn meinen ganzen Sarkasmus spüren.

Albert befeuchtete etwas hektisch seine trockenen Lippen. „Sie ist furchtbar. Dauernd sitzt sie auf meiner Nase. Und dieses Brummen. Es kostet mich alle Nerven!“ Ich schüttelte den Kopf in komischer Verzweiflung. „Ich weiß nicht, wovon du redest. Bis jetzt hab ich von der Fliege nichts bemerkt. Kann es einfach sein, dass du etwas übertrieben reagierst?“ Als Antwort blickte mich mein Freund leicht verbittert an und drehte mir die kalte Schulter zu. Im nächsten Moment war das Licht aus und ich versuchte wieder zu schlafen. Allerdings hatte ich etwas Angst davor. Das Monster aus dem letzten Traum hatte mir doch zu Denken gegeben und noch so einen „lebendigen“ Trip in eine andere Welt wollte ich mir nicht antun. Keinesfalls. Während ich das noch dachte, nickte ich erneut ein. 

Meine Erinnerungen an diesen Ausflug in die Traumwelt sind verschwommen. Alles war irgendwie dunkel und bedrohlich. Ich weiß nur noch genau, dass mich Ali schließlich mit einer überdimensionalen Fliegenklatsche über Stock und Stein jagte. Schließlich stolperte ich und während ich zu schreien begann, hörte ich das Pfeifen der Fliegenklatsche über mir und ein tiefer Schatten fiel auf mich. Unwillkürlich duckte ich mich und schützte mein Gesicht in meinen Armen… „..hab sie!“ Alberts Triumphgeschrei holte mich aus diesem Albtraum. Ich rieb mir die Augen, während mir Ali das kleine, tote Tier auf der Fliegenklatsche unter die Augen hielt. Irgendwann in der letzten halben Stunde war Albert tatsächlich noch einmal in die Küche gegangen und hatte sich das Todesinstrument geholt. Seine Mission konnte er damit endlich erfolgreich beenden.

Ich warf Albert aufgebracht das Kopfkissen an den Kopf und würdigte den Jäger keines Blickes mehr. War jetzt endlich Ruhe? In der Tat, Albert schnarchte schon eine Weile zufrieden neben mir aber ich konnte nicht schlafen. Nicht mehr. Die Uhr tickte unerträglich laut und ich war so müde, aber ich konnte einfach nicht einschlafen. Es war schlichtweg unmöglich. Als ich verzweifelt Schäfchen zu zählen begann, war es schon lange nach Mitternacht… Und die Uhr tickte unbarmherzig weiter.

Vivienne

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