Neue Bohnen Zeitung


von Vivienne  –  Juli 2004



Der verhinderte Vater

Kaum ein Arbeitsplatz in meiner Berufslaufbahn hat mich so geprägt wie die Zeit in jeder Großhandelsfirma, in der ich seinerzeit und unter ganz und gar unromantischen Voraussetzungen auch Albert kennen gelernt hatte. Kuriose Typen, die meistens im Lager arbeiteten, gingen dort aus und ein und hinterließen mehr oder weniger auffällige Spuren. Einer, von dem jedoch auch noch nach Jahren geredet wurde, war Max, ein Unikum, fast 1,85 groß, sicher 120 Kilo schwer und mit einem deutlichen Hang zum Alkohol. Max war fast schon Inventar der Firma, Gerti hatte mir erzählt, wie er glücklicherweise von Herrn Rossecker aufgenommen worden war.

Max hatte nämlich ein paar Jahre in einer Feinkostfirma gearbeitet und dort mit einem kleinen Lieferwagen den jeweiligen Kunden Bestellungen zugestellt. An einem Morgen hatte er in alkoholisiertem Zustand einen Unfall verursacht, das Ergebnis des Alkoholtests war eindeutig gewesen. Sein damaliger Chef konnte über diesen Vorfall nicht mehr hinweg sehen: Zu oft schon war Max zu spät oder alkoholisiert in der Arbeit erschienen. Durch eine Intervention seines Onkels, der in der Staatsanwaltschaft tätig war – wie überhaupt die ganze Familie von diesem Lagerarbeiter sehr geldig und angesehen zu sein schien – kam Max in die Großhandelsfirma. Herr Rossecker und der Herr Staatsanwalt kannten sich übrigens aus gemeinsamen Studientagen. Man mag es glauben oder nicht, Herr Rossecker hatte eigentlich auch eine Rolle in der Gerichtsbarkeit als Berufsziel geplant gehabt, aber so sollte es nicht sein. Das Schicksal plante anders…

Zurück zu Max. Man kann nicht behaupten, dass er weniger betrunken war als zuvor, der Unfall war ihm keine Lehre gewesen, wie Gerti wusste. Witzigerweise hatte er eine Lebensgefährtin, die auf einer Bank arbeitete, Martina, die geschieden war, und mit ihren beiden Kindern (zwischen 5 und 7 Jahren alt) öfter in der Firma auftauchte, um ihren „Mann“, wie sie es immer formulierte, abzuholen. Die beiden Kinder stürmten dann jedes Mal auf Max zu, der in seinem grauen Arbeitsmantel und den schmutzigen Schuhen alles anderes als einen repräsentativen Eindruck machte. Ich hatte keinen Zweifel, dass ihn die Kinder seiner Freundin mochten und wusste das kryptische Sphinx-Lächeln von Gerti nicht zu deuten, bis sie mir an einem Sommernachmittag Anfang August einmal verriet, was es mit Max’ Qualitäten als Vater wirklich auf sich hatte…

Max hatte vor Martina eine längere Beziehung gehabt, eine hübsche blonde und gepflegte Frau, die in einem Drogeriemarkt gearbeitet hatte. Melanie, wie sie hieß, war sehr verliebt gewesen in Max, obwohl er ein eher grober, ungeschlachter Kerl war, das schwarze Schaf halt einer großen, angesehenen Familie. Melanie hatte sich, das wusste Gerti von ihr selber, schon immer Kinder gewünscht. Dieser Wunsch war bei Max auf taube Ohren gestoßen. Max dachte „nicht im Traum daran, sich das schöne, bequeme Leben durch ein paar Bälger verderben zu lassen“. Max war in seinen Argumentationen durchaus auch handgreiflich geworden, was durch ein blaues Auge dokumentiert wurde, mit dem Melanie daraufhin ein paar Wochen durch’s Leben gehen musste.

Schließlich wagte Melanie trotz der negativen Meinung ihres Freundes einen Vorstoß: sie setzte die Pille eigenmächtig ab und wurde nach kurzer Zeit schwanger. Max muss getobt haben, was Gerti noch so in Erinnerung hatte, und kam am Morgen nach der „Eröffnung“ mit einem Riesenrausch in die Firma. „Um ein Haar hätte ihn der Rossecker rausgeworfen, natürlich die Fristlose gegeben. Als ihm aber Max verriet, warum er sich so zugesoffen hatte, schickte er ihn nur wortlos heim.“ Gerti lächelte wieder auf ihre unverwechselbare Art. „WER wusste es denn besser als unser Chef persönlich, wie man sich fühlt, wenn man unfreiwillig zum Vater gemacht wird?“ Nun, Max war trotzdem nicht gewillt, in der Sache nachzugeben, auf keinen Fall. Ohne seiner Freundin etwas zu verraten, machte er einen Termin in einem Krankenhaus aus. Dort brachte er sie mit sanfter Gewalt eines Morgens hin, das Kind wurde abgetrieben und am Abend holte er sie wieder ab. So einfach war das für Max. 

Melanie unternahm insgesamt noch zwei Vorstöße in Sachen „Operation Baby“, nach der dritten erzwungenen Abtreibung verließ sie ihn, nach fast zehn gemeinsamen Jahren. Max war sich sicher, die Trennung würde nicht für immer sein, aber er täuschte sich. Als er sie nämlich in Begleitung eines anderen Mannes einige Zeit später wieder traf. Und mit einem unverkennbaren Babybauch… „Mittlerweile ist Melanie verheiratet, hat drei Töchter und ist total glücklich. Ich hab sie vor einem halben Jahr gesehen, als sie die Älteste in den Kindergarten brachte, der nur ein paar Straßen von hier entfernt untergebracht ist.“ Gerti nickte mit dem Kopf, während sie die Geschichte abrundete. „Hat  mir imponiert, was sie gemacht hat. Sie hat sich auf die Beine gestellt und ihr Glück in die Hand genommen. Couragiert.“

Ich ging wieder zurück an meinem Schreibtisch. Unsere Chefitäten würden in ein paar Minuten zur täglichen Runde herunter kommen. Und ich musste schmunzeln, weil ich mir dachte: man kommt seinem Schicksal ja doch nicht aus, so sehr kann man sich gar nicht dagegen wehren oder so blöd kann man es auf Dauer gar nicht angehen. Max, der das bequeme Leben so liebt. Keine Kinder – seine Devise! Und nun lebt er mit einer Frau, seiner Martina, zusammen, die ihn auf ihre Weise zum Vater gemacht hat, lebt in einer Vaterschaft, der er sich nicht entziehen kann. Und witzigerweise mögen die Kleinen ihren starken, großen Stiefvater auch noch offensichtlich. Ob das so bleibt? Egal, es gibt eben Dinge, denen entkommt man einfach nicht, auch wenn man es sich fest vorgenommen hat… Gott sei Dank.

Vivienne

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