Neue Bohnen Zeitung


von Vivienne  –  Juni 2004



Der Mensch – ein Lügner

Es gibt unzählige Statistiken zum Thema. Wie oft der Mensch am Tag lügt, wann er am Häufigsten die Unwahrheit sagt und wie leicht ihm (oder natürlich auch ihr) eine unwahre Geschichte über die Lippen kommt, hängt trotzdem auch davon ab, welchen Charakter er hat. Der eine lügt, wenn er nur den Mund aufmacht, der andere setzt dieses Mittel zur „Beschönigung“ oder „Verfälschung“ wiederum eher sparsam ein. Das Naturell des einzelnen macht es aus, und wer merkt, dass er mit  Lügen Erfolg hat, wird immer lügen. Und immer mehr…

Einige Jahre ist es mittlerweile her, als ich für eine Weile nicht in Linz selber arbeitete, sondern es mich in die Provinz verschlug. Zuerst in ein Frauenprojekt, danach in das kleine, chaotische Reisebüro jener Bürgermeistersgattin, bei der ich Hanna kennen lernte. Jene Hanna, Sie erinnern sich vielleicht, die mich schnell als passende Kandidatin für ihren ledigen Bruder Klemens einstufte, der eine Frau für seinen Hof suchte. Und für sich natürlich auch ein wenig…

Das alles kurz zur Auffrischung Ihrer Erinnerung. Dass Hanna nicht erfolgreich gewesen war mit Ihrer Kuppelei, ist längst von der Realität eingeholt worden. Kolleginnen waren wir trotzdem geblieben, irgendwie sogar Freunde, und im Intrigantenstandl unter den Kolleginnen fielen die leisen Spannungen zwischen uns ohnehin kaum auf. Der Arbeitsalltag war – wie sollte es anders sein – von Pannen geprägt, ich kannte die Reisebranche zu wenig und musste noch viel lernen, was unter den Fittichen der schönen wie planlosen Chefin schwierig war.

Hundert Ideen, und nichts richtig oder konsequent umgesetzt, das kostet Kraft und jeden Tag eine erneute Überwindung, aufzustehen und sich ans Tagwerk zu machen. „Lieber Gott, lass es Abend werden. Am besten noch vor dem Frühstück!“ stand in großen Lettern auf der Wand vor meinem Schreibtisch, ein Spruch, der mir, je länger ich in diesen vier Wänden mein täglich Brot verdienen musste, um so schmerzhafter aus dem Herzen sprach. Die Branche ist hektisch, und man muss flexibel bleiben, weil sich die Gegebenheiten ständig ändern.

Stress mit so manchem Kunden war vorprogrammiert, vor allem, wenn unsere Chefin wieder euphorisch Versprechungen über diverse Konditionen gemacht hatte, die sie nicht halten konnte. Man härtete ab mit der Zeit, aber leichter wurde es trotzdem nicht, wenn man zuhören musste, wie die Chefin einem Kunden wieder das Blaue vom Himmel herunterlog, und wir genau informiert waren, dass kaum ein Wort davon zutraf. Nach meinen Erfahrungen rächt es sich ohnedies irgendwann, wenn jemand auf Dauer zu unverschämt schwindelt. Und ich selber war es, der schließlich den Beweis dafür erbringen konnte.

Hermann Gruber war ein netter Kunde gewesen, der zu uns ins Büro gekommen war, um für seine Frau und sich, seine drei Kinder, die Mutter und die Schwiegereltern eine Reise nach Puerto Rico zu buchen. Der Chefin war der Kunde enorm wichtig, sie predigte mir hundert Mal, ich möge auf den Herrn Gruber, einen Prokuristen einer größeren Firma aus dem Bezirk, schauen, dass ja alles passt. Ich gab mir auch wirklich Mühe, und war echt erleichtert, als ich die Reservierung für 10 Tage Herrn Gruber persönlich in die Hand drücken konnte. Schon die Anzahlung  war Balsam für den Haushalt des Reisebüros.

Etwa zwei Wochen vor Antritt der Reise meldete sich Herr Gruber hektisch bei mir. Seine Mutter sei schwer erkrankt, vermutlich eine Binddarmentzündung, die in ihrem Alter kein Honiglecken mehr sei. „Wochenlang haben wir gerätselt, woran es liegt, dass sie so schlecht beisammen ist, ich hab kaum mehr geschlafen. Schließlich ist sie über 70. Verstehen Sie, dass ich, dass wir die Reise da nicht antreten können? Ich hätte keine ruhige Minute, wenn ich nicht wüsste, wie es ihr geht. Aber ich versichere Ihnen, nein, ich schwöre Ihnen, im Spätsommer werden wir die Reise nachholen!“ Ich war schon erstaunt, mit welchem Feuer, Herr Gruber seinen Vorsatz immer und immer wieder beteuerte.

Jedenfalls hatte ich keine Zweifel an den Worten des Mannes. Allerdings gab es da noch ein Problem: erstens die Anzahlung und zweitens die Stornogebühr. Beides nicht unerheblich, aber als ich unsere Chefin deswegen befragte, fuhr sie mich an, als hätte ich einen derben Verstoß begangen. „Bist du von allen guten Geisern verlassen? Der Gruber kommt, ganz sicher im Spätsommer, und dann immer wieder. Ihn jetzt zahlen lassen, nach so einem Unglücksfall, hieße einen guten, potentiellen Dauerkunden zu vertreiben. Pass auf, ich rede jetzt noch mit ihm.“ Dann demonstrierte sie mir ihre „Klasse“. Während des Telefonates mit dem Herrn Prokuristen, bei dem ich zuhören musste, schnurrte sie zufrieden wie ein Kätzchen und genoss ihren Redefluss.

Ich stand mit verschränkten Armen daneben und lauschte desinteressiert. Wehe, ich hätte von mir aus auf Stornogebühr und Anzahlung verzichtet! Aber egal. Ich veranlasste alles wie geheißen und verblieb mit Herrn Gruber, dass ich mich im Mai wieder melden würde, um gemeinsam mit ihm die neuen Angebote für Puerto Rico zu prüfen. Als ich Herrn Gruber Mitte Mai endlich wieder ereichte, schien er sehr beschäftigt zu sein. Von seiner ausgewählten Höflichkeit war nichts mehr zu erkennen. Kurz angebunden wimmelte er mich ab und meinte, er würde sich in den nächsten Tagen selber rühren. Das tat er aber nicht, auch nicht, als ich Anfang Juni, schon etwas unter Zeitdruck – es gab nicht mehr sehr viele Plätze in dem gewünschten Hotel – in einer Email um seinen Rückruf bat.

Irgendetwas stimmte da nicht, und unsere Chefin wurde immer ungehaltener. Immerhin war der ausgemachte Urlaub eine hübsche Summe Wert, die die Firma gut brauchen konnte. Schließlich griff sie selber zum Telefonhörer, schaltete das Mikrophon ein, um mir zu demonstrieren, was ich falsch gemacht hatte, und stellte sich vor. Sie wurde zur Sekretärin weiter verbunden, die bei der Nennung des Namens ziemlich unwirsch reagierte: „Herr Prokurist Gruber hat schon mehrfach darauf hingewiesen, dass ER sich bei Bedarf melden wird!“ Unsere Chefin wurde bleich, und auch bei mir fiel der Groschen, etwas spät aber doch.

Hermann Grubers rührselige Geschichte war also nur erlogen gewesen, erfunden, um erstens den Urlaub nicht antreten zu müssen, um zweitens keine Stornogebühr zahlen zu müssen und drittens die Anzahlung wieder zurück zu bekommen. Und er war auf der ganzen Linie erfolgreich gewesen, hatte mich und vor allem auch die Chefin überzeugt. Ein gewiefter Lügner, der Frau Bürgermeister, selber ganz und gar nicht untalentiert auf dem Gebiet, ihre Grenzen aufgezeigt hatte. Nun kann man diese Geschichte von verschiedenen Seiten betrachten. Etwa dahingehend, wie weit manche Leute gehen, wenn sie sich aus einer unangenehmen Sache herausschummeln wollen.

Dem Einfallsreichtum und der Unverschämtheit sind dabei keine Grenzen gesetzt. Ein weiterer Aspekt gefällt mir aber auch sehr gut, nämlich der, dass selbstgerechte Menschen, wie meine damalige Vorgesetzte, gerne vom „Schicksal“ einmal vorexerziert  bekommen, dass sie nicht die einzigen sind, die sich für schlau, unfehlbar und außerhalb jeglicher moralischer Normen stehend betrachten. Hochmut kommt vor dem Fall, oder im Falle der Frau Unternehmerin: Man sollte sich immer vor Augen halten, dass die Waffen, die man selber gebraucht, einen auch am meisten treffen können…

In diesem Fall war der finanzielle Verlust schlimm gewesen, noch schlimmer hatte aber der Schlag ihr Ego getroffen. Die gewiefte Wortverdreherin hatte ihren Meister gefunden…

Vivienne

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