Neue Bohnen Zeitung


von Vivienne  –  Oktober 2004



Der Grantscherb’n

Am Land ist das Leben reich an skurrilen bis interessanten Persönlichkeiten. Das heißt nicht, dass es nicht auch in der Stadt markante Charaktere gibt (siehe Elizabeth T. Spira und ihre „Alltagsgeschichten“), aber sie verschwinden etwas im städtischen Dschungel. Die Anonymität ist – wie schon neulich in anderer Sache erläutert – ausschlaggebend dafür, dass die Menschen oft nicht mehr miteinander sondern nebeneinander her leben, jeder für sich. Am Land ist das anders, zwar gibt es auch  dort, wo ich herkomme, Einzelgänger, aber im dörflichen Gefüge geht keiner so rasch verloren wie in der Einsamkeit einer „Wohnbatterie“. 

Von einer männlichen Tratschtante, in meinem jahrelangen Wohnort habe ich vor einer Weile schon erzählt („Haben Sie schon gehört…?“), aber es gab und gibt natürlich bei uns auch die weiblichen Vertreter der Spezies, die daran interessiert waren, „wichtige“ Neuigkeiten unter die Leute zu bringen. Frau Gärtner, eine wenig umgänglichen Person, war so eine, und sie war wirklich keine besonders angenehme Zeitgenossin. Ganz im Gegenteil. Unglaublich neugierig und andererseits wieder sehr ruppig. Unvergessen, wie sie einmal mit ihrem Enkelkind in unserem Garten ertappt wurde, weil sie ihm die jungen Welpen unserer Hündin Gina zeigen wollte. Einfach so, spazierte sie mit dem Kleinen auf unser Grundstück und begann nach Gina zu rufen, wobei sie die Überreste eines gebratenen Huhns mitgenommen hatte, um die Hündin und ihre Jungen anzulocken.

Meine Eltern haben ihr dann schnell und ohne Umschweife den Weg zurück gezeigt, wobei es aber zu keinen Handgreiflichkeiten gekommen war. Ich selber geriet als Teenager auch an die Frau Gärtner, gerade als ich mich in der ersten tiefen Krise meines Lebens befand. Statt im Gymnasium in die Achte Klasse und damit ins Maturajahr aufzusteigen, musste ich wiederholen. Für mich ein unglaublicher Makel und ich kaute schwer daran, ahnte ich doch nicht im Geringsten, wie gut mir der Klassen- und Lehrerwechsel tun würde. Als mein kleiner Bruder nach der Schule heimkam und naiv wie offen zu erzählen begann, wie ihn die Frau Gärtner über mich und mein „Sitzen bleiben“ ausgehorcht hatte, explodierte ich beinahe. Nicht nur dass mein kleiner Bruder einiges zu hören bekam, was er wem über mich nicht zu sagen hätte. Als ich bei nächster Gelegenheit Frau Gärtner über den Weg lief, begann ich einen Streit mit ihr. Was sie sich eigentlich dachte, Kinder über andere Leute auszuhorchen!

Typisch Teenager – die Fetzen flogen! Teilweise fehlte wirklich nicht viel, und ich hätte vollends meine an sich gute Erziehung vergessen. Damit herrschte „Kalter Krieg“ zwischen uns, und ich bin sicher, dass Frau Gärtner keine Gelegenheit ausließ, sich in der Siedlung über dieses „arrogante Rotzmensch“ auszulassen. Ich hatte im Prinzip das genaue Gegenteil von dem erreicht, was ich wollte, einfach aus Frust und der Demütigung heraus, in der Schule in einem Jahr versagt zu haben. Obwohl weder Nobelpreisträger Albert Einstein noch Kanzler Bruno Kreisky Musterschüler gewesen waren. Dieses Wissen war mir damals kein Trost, aber die Geschichte über meine Klassenwiederholung machte durch den sinnlosen Streit noch viel schneller die Runde. Das war vor mehr als zwanzig Jahren gewesen, und ob man es glaubt oder nicht, ich wurde irgendwann danach doch erwachsen oder zumindest reifer.

Längst stand ich im Berufsleben, die Matura hatte ich mit einem Jahr Verspätung problemlos nachgeholt und ich hätte längst keinen Grund mehr gehabt wegen einer derartigen Lappalie zu schmollen. Trotzdem wichen uns Frau Gärtner und ich weiter wie auf Kommando breiträumig aus, vermieden Augenkontakt oder warfen uns finstere Blicke zu. Frau Gärtner war mittlerweile selber etwas ins Gerede gekommen. Nachbarn von uns hatten sie um’s „Haus hüten“ gebeten, während sie selber auf Urlaub gefahren waren und Frau Gärtner hatte dem Vernehmen nach bei der Gelegenheit das Speiskastl etwas erleichtert. Die Geschichte hatte mich amüsiert, aber nicht mehr, ich hatte als junge Frau einfach andere Dinge im Kopf. Einmal im Frühsommer beobachtete ich meine Mutter im Garten dabei, wie sie sie von unseren mehrjährigen Sommerstauden, die momentan noch kleine Pflanzen waren, etliche ausgrub und zur Seite legte.

Auf meine Frage erklärte sie mir, dass Frau Gärtner schon öfter die herrlichen gelben Sommerblumen bewundert hätte und gefragt hatte, ob sie auch welche haben dürfte. Frau Gärtners Gatte war vor ein paar Jahren tragisch beim Heckenschneiden an einem Herzinfarkt verschieden und obwohl ihre Tochter im Haus direkt daneben lebte, dürfte sie schon sehr einsam gewesen sein, wenn sie durch die Straßen der Siedlung spazierte und sich um Gespräche mit den Leuten bemühte. Allerdings reagierte ich trotzdem etwas baff, als mich meine Mutter bat, ich möge doch die Stauden Frau Gärtner, die am anderen Ende der  Straße lebte, bringen. Aber schließlich gab ich nach, packte den Eimer mit den Pflanzen und machte mich auf den Weg.

Frau Gärtner versteinerte fast als ich grüßte und ihr den Eimer hinstellte. Aber ganz plötzlich schlug ihre Stimmung um, sie wurde total freundlich und umgänglich, erkundigte sich, wie man die Pflanzen am besten pflegte, ob sie viel Wasser brauchen oder anfällig für Läuse wären. Ich nahm mir viel Zeit für Frau Gärtner, bekam eine Tasse Tee und erzählte alles, was ich wusste: dass diese Sommerblumen üppig wuchern, dass sie resistent gegen Schädlinge sind und wenig Pflege brauchen. Frau Gärtner hörte zu, schenkte mir Tee nach und stellte immer wieder Fragen. Schließlich machte ich mich doch auf den Weg, aber anders, als ich gekommen war. Unglaublich freundlich verabschiedete mich Frau Gärtner, sie winkte mir noch und der „Kalte Krieg“ war endlich vorüber. Entstanden aus einem nichtigen Anlass. Und ich hatte erkannt, dass bei aller Animosität jeder Mensch, so grantig und unsensibel er sich oft nach außen hin präsentiert, doch nur eine sehr verletzbare Seele beherbergt, die sich nach nichts mehr sehnt als nach Zuwendung und Gesellschaft, nach anderen Menschen…

Vivienne

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