Neue Bohnen Zeitung


von Vivienne  –  November 2004



Der Führerschein

Ich starte auf mein Handy. Viel Glück! stand in der SMS. Albert – wer sonst? Ich saß in der Fahrschule im Foyer und wartete darauf, für die Führerscheinprüfung aufgerufen zu werden. Und zwar für den praktischen Teil.. Vor ein paar Tagen erst hatte ich den theoretischen Part via Computer bravourös hinter mich gebracht. Ich war höchst zufrieden gewesen. Aber nun harrte ich mit Bauchschmerzen und Kopfweh der Fahrt mit dem Prüfer. Ich verspürte Angst, kalter Schweiß begann sich auf meiner Stirn zu sammeln. Und ich erinnerte mich an einen trüben Tag im Jänner, vor einigen Jahren. Damals trat ich zum ersten Mal zu einer Führerscheinprüfung an…

Einige Monate nach der Enttäuschung mit Hermann hatte ich nach einer Phase des Selbstmitleides und des Wunden Leckens beschlossen, den Führerschein zu machen. Ich wollte auf andere Gedanken kommen und neue Leute kennen lernen. Dass das durchwegs eher Jugendliche waren störte mich nicht im Geringsten. Auch der Stoff selber stellte kein wirkliches Problem für mich dar. Wirklich schwierig gestalteten sich eher die Fahrstunden. Unabhängig davon, ob das ein „normaler“ Fahrer begreift oder nicht: ich bin ein Mensch, der beim Fahrer immer nervös wird und mit dem Handling des Autos nicht zurecht kommt. Und auch nicht mit dem System, wie Straßen zu befahren sind: mit den Verkehrszeichen, mit Markierungen, Ampeln, etc… Ich glaube schon lange, dass mein Gehirn dafür nicht wirklich geschaffen ist.

Nicht weil ich dumm bin, sondern weil dieses System meinem Denken und Reagieren nicht entspricht. Erkläre das einmal einer einem unflexiblen, sturen Fahrlehrer, der nur sein Schema F durchzieht und Null Verständnis dafür aufbringt, dass es auch andere Leute gibt. Mein Fahrlehrer war zudem ein Choleriker. Ich seufzte in Erinnerung. Ja, Matthias Maringer begriff das nicht, nicht im Geringsten. Und wenn immer er trotz Baldriantropfen nach einem Fehler von mir die Nerven verlor und wütend mit mir schimpfte, war es ohnedies um mich geschehen. Ich war nicht mehr fähig klar zu denken und wenn er dann meinte: „Dann seien’s halt mal nicht nervös!“ verkrampfte sich alles innerlich in mir. Wie soll man es denn schaffen, nicht nervös zu sein? 

Die Fahrprüfung war kurz und ein Desaster. Es ging alles schief, was nur schief gehen konnte. Zuerst vergaß ich mich anzugurten. Dann wurde ich hektisch, gab statt dem ersten Gang irrtümlich den Rückwärtsgang ein und stieß gegen das hinter mir geparkte Auto. Prüfung vorbei. Mit tiefen Schuldgefühlen ging ich zurück in die Fahrschule und holte meinen Mantel. Das Thema Führerschein hatte ich abgehakt. Nie mehr diese Demütigung! Die Fahrschule meldete sich zwar wegen eines weiteren Termins bei mir, aber ich verweigerte mich. Nicht noch einmal unzählige Fahrstunden mit dem cholerischen wie verständnislosen Lehrer, die ein Vermögen gekostet hätten und das ohne Gewähr auf Erfolg…

Nachdenklich starrte ich auf die Uhr. Die Erinnerung trug wenig dazu bei, mich zu beruhigen. Aber ich konnte mich nicht davon lösen… Ich begann mich also mit einem Leben ohne Auto abzufinden. In der Stadt war das auch nicht wirklich ein Problem. Aber als ich in ein Frauenprojekt in die Provinz musste, verfluchte ich oft, wie viel Zeit beim Fahren mit dem ÖBB-Bus auf der Strecke blieb. Aber auch der kurze Job bei der Bürgermeistersgattin im Mühlviertel, bei dem ich Hanna kennen lernte (Versteh einer die Frauen 1, 2, 3, 4) ließ sich letztlich mit den Öffis organisieren. Trotzdem war ich froh, als ich wieder einen Job in Linz ergatterte – und im Sommer darauf Albert in die Arme lief. Der Rest war Geschichte. Albert hatte selbstverständlich ein Auto, wodurch ich endgültig der Verpflichtung enthoben war, mir noch einmal wegen der Führerscheinprüfung Gedanken zu machen.

So schien es zumindest. Albert ist keiner, der die Dinge so ohne weiteres hinnimmt, wie sie sind und hinterfragt alles. Nicht umsonst ist er ein Skorpiongeborener, ein typischer sogar. „Du kannst nicht fahren?“ Alberst Gesicht war ein einziges Fragezeichen. Als wir kurz danach an einem Samstagnachmittag im Hof des Wohnblocks, wo seine Eltern leben, Probe fuhren, begriff er. Zuerst saß er nur da und sagte gar nichts. Dann meinte er: „Ich versteh das nicht. Du bist doch sonst so praktisch. Wovor hast du eigentlich Angst?“ Eine halbe Stunde später im Wohnzimmer seiner Eltern gab sich Albert schon kämpferisch. „..das wäre doch gelacht!“ Ein mulmiges Gefühl beschlich mich. Albert würde doch nicht auf den Gedanken gekommen sein…?

Er war. Und er ließ nicht mehr locker. Er besorgte uns ein Taferl und wenn er mit mir Probe fuhr, hatte ich oft das Gefühl, die Leute meinten, der Sohn würde der Mama das Autofahren beibringen. Albert zerkugelte sich oft darüber. „Mein Herz, du bist vielleicht sieben Jahre älter als ich, aber wenn man deinen vollen Haarschopf und meine Graumelange am Kopf vergleicht, würde man wohl eher das Gegenteil annehmen, oder?“ Albert blieb hartnäckig. Aber er war auch sehr geduldig, obwohl ich seine Nerven sicher strapazierte. Und selbst der nette Fahrlehrer der anderen Fahrschule musste zugeben, dass ich Fortschritte machte… Ich blickte auf und sah wieder auf die Uhr.

Als ich aufstand, um auf die Toilette zu flüchten, piepte das Handy wieder. Eine SMS von Albert. Ich liebe dich! Seltsam, die Worte gaben mir Kraft. Und vor allem suggerierten sie mir deutlich, dass es nicht so wichtig war, ob ich die Prüfung wirklich bestand solange ich mein Bestes gab… Eine gute Stunde später saß ich im Buffet der Fahrschule, trank eine Melange und gab mich unverhohlener Freude hin. Ich hatte die „Mission Impossible“ durchgezogen, einmal Froschberg und einparken, mehr war es nicht gewesen. Zwei rote Ampeln, einmal Fußgänger am Zebrastreifen. Keine berühmte Leistung, aber der Fahrlehrer hatte mir geholfen, mitgekuppelt, mitgebremst. Bestanden.

Jetzt wartete ich nur mehr auf Albert, der mich abholen wollte um mit mir feiern zu gehen. In irgendein italienisches Restaurant. Ich war mir nicht sicher, ob sein Chef ihn heute wirklich früher gehen lassen würde, immerhin kannte ich Herrn Rossecker selber ganz gut. Während ich versonnen eine Zigarette rauchte, hing ich meinen Gedanken nach. Eine wirklich erstklassige Fahrerin würde ich bestimmt nie werden, dazu fehlte mir einiges an Routine und Talent für’s Fahren allgemein. Aber zugegebenermaßen: es war ein tolles Gefühl, ein Ziel, das ich mir gesteckt hatte, erreicht zu haben. Unbeschreiben schön, es machte mich stolz. Und zufrieden, weil ich nicht locker gelassen hatte.  Dank Ali…

Vivienne

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