von Vivienne – November 2004
An der Nase herumgeführt…
Nachdenklich ging ich mit Albert in Gmunden spazieren. Wir hatten uns eingehakt und der Wind blies uns entgegen. Ein schöner Tag, der scheinbar zu einem Spaziergang am See einlud, aber der Wind strafte die strahlende Wintersonne Lügen. Ich hatte keine Einwände, als Ali ein Lokal ansteuerte. Zwar war ich nicht hungrig, aber etwas Warmes im Magen würde mir trotzdem gut tun. Mehr als das Gedanken verloren starrte ich aus dem Fenster. Irgendwie musste ich mich dauernd mit heute Vormittag auseinandersetzen, als wir in der Wohnung Rechnungen sortieren und einordnen wollten…
Ich hatte den Ordner aus dem Regal geholt, neue Trennblätter eingefügt und die Rechnungen nach und nach gelocht und eingeordnet. Albert war merkwürdig still gewesen. Nach einer Weile hatte ich den Ordner auf die Seite gelegt und Albert angegrinst: Möchtest du mir nicht helfen? Albert hatte sich zu mir umgedreht. Oh, du machst das sehr gut, wie ich sehe. Ich lerne gern von dir. Ein seltsames Gefühl hatte sich bei seinen Worten meiner bemächtigt. Ich fühlte, dass irgend etwa in der Luft lag und plötzlich verspürte ich etwas wie Spannung, ja Angst.
Albert erwiderte meinen Blick sehr direkt. Eine gewisse Scheu überkam mich, meine Lippen fühlten sich ganz trocken an. Was ist los? Meine Worte kamen fast tonlos über meine Lippen. Albert stand auf und ging ein paar Schritte nach vorn. Sein breiter Rücken versperrte mir die Sicht aus dem Fenster. Wie lange sind wir jetzt beisammen? Ich erinnerte mich an den Urlaub am Attersee. Der schönste Sommer meines Lebens Fast dreieinhalb Jahre. Albert antwortete nicht. Ich hatte nur seinen gemusterten Pulli vor meinen Augen. In sein dunkles Haar mischten sich immer mehr graue Fäden. Damals war es noch fast schwarz gewesen. Schwarz und lockig
Alberts Schweigen machte mich nervös. Ich fühlte, wie die Angst in mir hoch kroch. Wie sie meinen Körper befiel, alle meine Glieder und wie ich fast gelähmt, darauf wartete, dass Albert dem Spuk ein Ende machen würde. Aber Ali sagte kein Wort. Er stand weiter da, drehte mir den Rücken zu und genoss anscheinend den Ausblick aus dem Fenster. Die Minuten verrannen bleiern. Ich dachte über sein eigenartiges Verhalten nach. Und immer wieder tauchte ein quälender Gedanke in meinem Kopf auf Gibt es eine andere Frau? Ich wusste nicht mehr, woher diese Idee kam. Sie setzte sich blitzartig in mir fest und ich fragte mich, wie ich mich nur so hatte täuschen lassen können. Im Grunde hatte es nie einen Hinweis auf eine Rivalin gegeben.
Und trotzdem. Ich saß noch immer auf der Couch, den Ordner in den Hand, neben mir ein Stapel Rechnungen und musste zur Kenntnis nehmen, dass ich auf eine einzige Frage Alberts hin im Begriff war, meine Fassung völlig zu verlieren. Neben der Angst tauchte das schale Gefühl auf, betrogen worden zu sein. Betrogen, und das wahrscheinlich schon länger. Auch wenn mir nicht ganz klar war, wie er diese Frau in seinem Leben untergebracht hatte. Er hatte, das stand für mich fest. Und das wollte er mir jetzt beibringen. Aber warum redete er nicht weiter? Warum quälte er mich so? Oder suchte er nur nach Worten, wie er es mir erklären sollte oder wollte er seinen Verrat nur beschönigen?
Ich zuckte zusammen, als Albert sich unvermittelt wieder umdrehte. Er sah mich ernst an. Es wird sich einiges ändern. Ich hätte vermutlich früher darüber reden sollen. Aber es ist nicht immer so leicht, den richtigen Augenblick zu erwischen. Über seine Schatten zu springen und Dinge zu erklären, die einem schwer fallen. Ich blickte zu Boden, irgendwie war ich wie betäubt. Ich musste so blind vor Liebe gewesen sein, dass ich nicht im Geringsten erkannt hatte, dass er aus der Beziehung herauswollte. Vielleicht gab es nicht einmal eine Frau. Vielleicht wollte er jetzt noch einmal sein Leben genießen. Und sich nicht an eine ältere Frau wie mich gebunden fühlen, die keinem Schönheitsstandard entsprach. Konnte man es Ali verübeln, dass er womöglich von einer Gefährtin träumte die Mitte, Ende Zwanzig war?
Nur nicht zu weinen beginnen! hämmerte ich mir ein. Kopfschmerzen setzen ein. Meine gefürchtete Migräne. Erst nach einer Weile merkte ich, dass Albert mich interessiert musterte. Seinem Gesicht war keine Gefühlsregung anzumerken. Vor allem weder Reue noch Bedauern. Es schien ihm egal zu sein, wie es mir gehen musste. Okay. Meine Stimme klang gepresst. Was hast du mir zu sagen? Was wirst du tun? Als ich Albert in die Augen sah, setzte er ein leises Lächeln auf. Dreieinhalb Jahre sind eine lange Zeit. Ich hab viel nachgedacht über uns. Und ich denke, es ist an der Zeit eine Cäsur zu setzen. Er machte drei Schritte zu mir, nahm mir den Ordner aus der Hand und zog mich am linken Arm hoch.
Dann nahm er meine rechte Hand und völlig überraschen begann er verlegen zu grinsen. Es ist verrückt. Man sieht dir an der Nasenspitze an, dass du weiß Gott was glaubst. Dabei kämpfe ich nur damit, dich zu fragen Liebes, willst du mich heiraten? Schwer zu beschreiben, wie in diesem Moment meine Gefühle in mir tobten. Mir wurde schwindlig, und als Albert mich in den Arm nahm, war ich mir nicht sicher, ob er nicht im Grunde eine Ohrfeige verdient hatte. Oder mehrere. Aber ich kam nicht dazu, mich über diesen Streich auszulassen. Denn Albert bestand auf einer Antwort. Trotzig wollte ich mich wegdrehen, aber Albert ist zweifellos sehr viel stärker als ich.
Na? Muss ich es aus dir herauskitzeln? Der Ordner samt den Rechnungen war uninteressant geworden. Albert steckte mir einen Ring an den Finger, innerhalb von einer Viertelstunde musste ich eine Reisetasche für uns packen und jetzt waren wir in Gmunden und die Serviererin brachte den bestellten Rostbraten. Heute würde es noch weitergehen nach Salzburg. Dort hatte Albert ein Hotelzimmer reserviert, Theaterkarten besorgt und für morgen war auch einiges geplant. Und im April wollte er mich heiraten Überrollt binnen einer Stunde, von einem Mann, der ausgerechnet mit mir den Rest meines Lebens verbringen wollte Dabei hatte ich im Grunde nie heiraten wollen!
Link: Alle Beiträge von Vivienne