Neue Bohnen Zeitung


DIE BUNTE WELT VON VIVIENNE
von Vivienne  –  November 2003



Verirrte Liebe

„Die Liebe macht blind für den geliebten Gegenstand.“ Plutarch hat schon recht, wenn er mit  diesen Worten sehr deutlich anmerkt, dass tiefe Gefühle den Blick des Liebenden täuschen können: über den Charakter des geliebten Menschen, über die Echtheit der Gefühle aber auch darüber, ob man sich überhaupt das richtige Objekt der Begierde auserwählt hat. Selber – wer wüsste das besser als ich – neigt man nicht unbedingt immer dazu, den Richtigen (oder umgekehrt die Richtige) „anzubeten“. Etwas im Blick oder in der Art fesselt einen, und – was andere oft viel besser erkennen als man selbst – man investiert Gefühle in einen Menschen, der oder die einen nicht liebt. Oder noch schlimmer – der oder die den wahren, aufrechten Gefühlen in keinster Weise würdig ist. Wenn man aus so einem Traum erwacht, ist er manchmal zum Albtraum geworden…

Es muss im Juli gewesen sein, in unserem Jahrhundertsommer, als ich mich unter der Woche einmal mit Vicky traf. Wir saßen im Dachterrassencafe des Passage City Centers mit tollem Ausblick auf die Landstraße und bestellten uns je einen großen Eisbecher Amarena. Wir hatten uns länger nicht gesehen, aber ich war etwas erstaunt, dass Vicky nicht wirklich gesprächig schien. Immer wieder kam in mir das Gefühl hoch, dass sie mit den Gedanken irgendwo war, nur nicht hier bei mir. Sorge beschlich mich – sie und Bert hatten sich doch nicht entzweit? Aber als ich sie zehn Minuten später diesbezüglich anredete, winkte sie mit einer  Deutlichkeit, die nichts zu wünschen übrig ließ, ab. Nein, zwischen Viktoria und Bert passte alles, aber ich hatte mich trotzdem nicht getäuscht, es gab da etwas, das sie über Gebühr beschäftigte.

„Es tut mir leid, dass es dir so deutlich aufgefallen ist“, begann Vicky und strich sich eine Strähne des in der Sonne glänzenden, dunklen Haares aus dem Gesicht. „Ich muss nur dauernd an Conny denken, diese Schulfreundin von mir, ein oder zwei Jahre älter. Du kennst sie, sie  war vor drei oder vier Jahren bei diesem Polterabend von Beate, die damals vor ihrer zweiten Ehe stand.“ Ich musste unvermittelt grinsen, nicht so sehr wegen des Polterabends sondern weil Beate ja mittlerweile bereits das dritte Mal verheiratet war. Langsam versuchte ich mich zu erinnern. Die warme Sonne, das köstliche Eis – sie verhinderten, dass das Gehirn bei mir schnell aktiv wurde. Aber schließlich tauchte ihr, Connys, Gesicht in Einzelheiten vor meinem geistigen Auge auf. Eine Frau etwa so alt wie ich, eine hellblonde Mähne, grüne Augen, sehr gepflegt, gute Figur und ein dunkelrot geschwungener Mund.

„Was ist mit ihr?“ bohrte ich nach, doch Vicky schwieg wieder. Brüsk setzte sie sich nach ein paar Minuten schließlich auf und legte ihre Hände auf unseren kleinen Tisch. Ich sah die schmalen Finger, wie sie leicht bebten. Vicky hatte zu rauchen aufgehört, aber das Schlimmste war noch nicht überstanden, wie ich merkte. Sie hatte jetzt ganz dringend das Bedürfnis nach einer Zigarette, das merkte ich an jeder Faser ihres Körpers. Ich legte meine Hand auf ihre Schulter und sah sie an: “Na, möchtest du reden? Dir wird sicher leichter dabei. Komm schon, Vicky, du brauchst keine Zigarette.“ Leicht geredet, ich selber hätte nur in den Rucksack nach meiner Packung Memphis greifen müssen.

Vicky grinste ein wenig oberflächlich, fischte einen Kaugummi aus ihrer Tasche und schließlich setzte sie ihre Geschichte fort. „Conny ist 37, so wie du. Sie sieht noch immer sehr attraktiv aus, und vor einem Jahr hat sie sich in einen Mann verliebt, ich war echt happy, dass es wieder jemand in ihrem Leben gibt. Er heißt Günter, ist 30 und Geschäftsführer einer kleinen Firma in Marchtrenk.“ Vicky schwieg wieder und trommelte unbewusst mit ihren Fingern auf dem Tisch. „Mädel!“ unterbrach ich das monotone Getapse. „Wo liegt das Problem?“ „Das Problem ist“, Vicky rang nach Worten, „das Problem ist, dass dieser Günter nicht weiß, dass Conny fast 8 Jahre älter ist als er.“ Sie verbesserte sich gleich darauf wieder. „Das heißt, er wusste es nicht. Jetzt weiß er es schon.“

Mittlerweile wurde ich ein wenig ungeduldig. „Liebe Viktoria“, begann ich vorsichtig. „Du kommst heute einfach nicht zum Punkt. Er weiß es jetzt also, dieser Günter, aber wo liegt die Schwierigkeit dabei?“ Vicky sah mich hilflos an: „Der Punkt ist, dass Günter nie eine Frau wollte, die älter ist als er, schon gar nicht so viel. Conny hat ihm das verschwiegen.“ Gut, das sah ich ein, dass das problematisch für eine junge Beziehung war, speziell für eine verliebte Frau. „Hat er sie verlassen? Das wäre natürlich bitter…“ Irgendetwas an Vicky gefiel mir nicht, ich glaubte förmlich zu riechen, dass diese Geschichte erst ein Teil der Wahrheit war. Trotzdem fehlte mir jeder Hinweis, welcher Aspekt in dieser Geschichte so schlimm sein könnte, dass Vicky Hemmungen hatte, darüber zu reden, ja, sie wand sich fast, als täte es ihr weh, die Details zu erklären.

„Ist Conny schwanger von Günter? Und jetzt hat er sie verlassen, richtig?“ Vicky hatte tatsächlich Tränen in den Augen, als sie mich wieder anblicken konnte. Sie schluchzte leise und holte ein Taschentuch aus ihrer Tasche. „Weißt, Viv, sie hat ihm immer verschwiegen, dass sie soviel älter ist wie er, aber nicht nur das. Sie wollte ihn nicht verlieren, sie sagte mir, sie könne nicht ohne ihn leben. Und sie sieht ja auch höchstens wie 30 aus, das wirst du zugeben. Und da hat sie einen verrückten Plan umgesetzt: sie hat ein paar Dokumente umgeändert, sich zehn Jahre jünger gemacht, ganz geschickt: Führerschein, Geburtsurkunde, Staatsbürgerschaftsnachweis – sie ist ja Graphikerin. Dokumentenfälschung nennt das der Gesetzgeber. Vor 14 Tagen sind sie ihr draufgekommen. Bei einer Routinekontrolle, als sie mit dem Auto unterwegs war.“ Vicky schluchzte laut auf: „Mann weg, Job weg, vielleicht sogar eine Vorstrafe.“ Und viele Tränen.

Ich atmete tief durch. Jetzt verstand ich erst. Eine Frau wird zur Fälscherin aus Liebe zu einem Torfkopf von einem Mann, der sie vermutlich gar nicht verdient. Für ein A…loch mit einem Bein ins Kriminal, welch eine Tragödie. Ich schüttelte den Kopf in Gedanken. Vicky tupfte sich die Augen trocken, die sich gerötet hatten, aber trotzdem wirkte sie etwas gelöster als zu Beginn unseres Treffens. „Ich weiß nicht, wie ich ihr helfen kann, verstehst du? Und der Kerl hat jeden Kontakt zu ihr abgebrochen, telefoniert nicht mal mit ihr, Conny ist völlig am Boden zerstört…“ Wieder blitzten ein paar Tränen in ihren dunklen Augen auf. „Es ist so schlimm…“  Ich nahm Viktoria bei der Hand und drückte diese fest.

Unvermittelt musste ich an Richard, mein Ex-Freund aus dem Jahre Schnee, denken, der mich über Wochen unbemerkt mit einer Kollegin betrogen hatte und als ich ihm endlich dahinter kam, nur sein blödes Grinsen für mich übrig hatte: Sieh dir ihren Körper an und dann deinen, was willst du eigentlich? hatte er allen ernstes gemeint. Sein Zynismus hatte mir damals sehr wehgetan, und noch am selben Abend war ich ausgezogen. Diese Lektion hatte ich damals gelernt: wenn ein Mann ein körperliches Merkmal als Vorwand gebraucht, um sein Desinteresse oder seine mangelnde Liebe zu erläutern, ja, dann kann man im Grunde von Liebe gar nicht mehr sprechen, dann hat es sie nie gegeben. Solche Ausreden sollen im Grunde nur verschleiern, dass es ganz wo anders fehlt: beim Mann selber und seinem oberflächlichen Wesen. Frau ist Objekt, nicht mehr, sie soll entsprechen wie eine Puppe. Der Mensch selber, der Charakter, spielt dabei gar keine Rolle. Hätte das Conny nur früher begriffen…. Ihre Liebe hatte sich aber völlig verirrt, und nun durfte sie die Scherben ihres bisherigen komfortablen Lebens aufklauben – weil sie nicht verlieren hatte wollen, was ihr nie wirklich gehört hatte: Günters Liebe.

Vivienne

PS: Diese Geschichte entstand nach einem wahren Kriminalfall, der mehr als 20 Jahre zurückliegt.

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