DIE BUNTE WELT VON VIVIENNE
von Vivienne – Februar 2003
Es kommt immer anders!
Einander kennen lernen heißt, lernen, wie fremd man einander ist. So geht es einem oft nicht nur mit dem anderen Geschlecht sondern ganz speziell auch mit den eigenen Geschlechtsgenossinnen. Zumindest mir. Ich habe in meinem Leben immer wieder Frauen getroffen, deren Wesen mir nicht nur völlig fremd und unbegreiflich war sondern bei denen ich auch das klare und eindeutige Gefühl hatte nie so werden zu wollen wie diese, nicht einmal annäherungsweise. Zu diesen Frauen zählt auch eine frühere Kollegin von mir, Manuela, eine Kollegin aus den Jahren im Großhandel. Manuela gehörte in jener Zeit nie zu den Personen, zu denen ich freundschaftliche Gefühle hatte entwickeln können, zählte sie doch zu jener Abordnung des weiblichen Geschlechts, die ein oder mehrere Kinder haben und die deshalb glauben, sie wären mehr wert deswegen.
Dabei war das Kind der geschiedenen Manu nicht einmal bei ihr sondern unter der Obhut des Vaters, sie selber sah ihre Tochter nur jedes zweite Wochenende. Über die Gründe machte ich mir nie Gedanken. Wenn ich mit Albert und Toni im Gemeinschaftsraum rauchen war, blödelten wir zwar ziemlich oft, dass es für die Kleine wahrscheinlich besser war, dass sie vom Vater und dessen neuer Freundin erzogen wurde, im Grunde war uns aber bewusst, dass Manu ein armer Teufel war, der unter dieser Situation litt. Manchmal tat sie uns zwar leid, aber nie lange, dafür sorgte sie schon selbst: durch ihr ewiges Jammern wegen Kleinigkeiten, durch ihre latente Faulheit sie drückte sich bei manchen Gelegenheiten vor körperlicher Anstrengung durch ihre Wehleidigkeit und durch ihre Besserwisserei. Es war nicht immer der reine Spaß mit ihr zusammenzuarbeiten, aber wie auch immer: Manuela war eine Kollegin, und damit mussten wir leben, vorrangig halt ich, denn Ali oder Toni hatten wenig mit ihr zu tun.
Wenn Sie meine Geschichten regelmäßig verfolgen, ist Ihnen vermutlich auch eine andere Kollegin aus der Zeit noch in Erinnerung. Die krebskranke Uschi, die so verliebt in unseren Vize-Chef Franz Stransky war. Uschi und Manu verstanden sich besser, unternahmen auch privat viel miteinander, und diese Freundschaft rechnete ich Manuela trotz aller Differenzen und charakterlichen Unterschiede hoch an. Mit der Zeit war nicht mehr zu übersehen, dass auch Manu den hoch gewachsenen Vorgesetzten Stransky anschwärmte. Das war einerseits kein Wunder: Manu war einsam und trauerte der gescheiterten Ehe noch immer nach. Männer in unserem, sprich in Manuelas und meinem Alter, arbeiteten ja fast keine in der Firma. Es gab, außer Albert und Toni von der EDV, ein paar Lehrlinge beiderlei Geschlechts, einige langjährige Mitarbeiter, die längst vergeben waren und sonst nur noch den ledigen Hans, einen Abteilungsleiter Anfang Vierzig, verklemmt und hölzern, der vermutlich noch nie in seinem Leben eine Frau gehabt hatte.
Für mich spielten solche Überlegungen keine Rolle. Ich war ja (noch) mit Richard beisammen und hatte keinen Notstand, was auf Manuela nicht zutraf. Und nicht umsonst lehrt uns die Statistik, dass die meisten Beziehungen und Gspusis am Arbeitsplatz entstehen. Also teilten sich Uschi und Manu fürs erste die Gefühle zu Stransky, was diesen ziemlich amüsierte. Nicht nur Uschi wurde deshalb oft Zielscheibe seines Spotts, auch Manuela zahlte einige Male ziemlich drauf. Machte sie sich doch einige Male zum Narren seinetwegen, etwa, als sie in rosa Shorts in die Arbeit kam. Manu war dann todunglücklich, was sie aber nicht hinderte, sich bei nächster Gelegenheit wieder ordentlich zu blamieren.
Sie sehen selber, Manu blieb mir vor allem durch ihre Naivität und ihre nicht nachvollziehbaren Gefühle für Stransky in Erinnerung. Ein Mann im Übrigen, dem ich mich weitestgehend fern hielt, denn als Vorgesetzter war er kein angenehmer Mensch. Während Uschi nun durch die Schwere ihrer Erkrankung immer öfter arbeitsmäßig ausfiel oder nicht herangezogen werden konnte, wuchs unser Aufgabenbereich damit an. Ein großer Auftrag stand an, und mir graute schon vor dem Aufwand, wusste ich doch, dass mir Manu sie war einfach so! kein wirkliche Hilfe sein würde. Dazu kam, dass ich mich vor ein paar Wochen von Richard getrennt hatte und seither behelfsmäßig in einer kleinen Wohnung im Süden von Linz lebte. Ich tat mir, um es ohne Umschweife zu formulieren, selber leid, sowohl was mein Pech mit meinem Ex-Freund betraf als auch was den Stress in der Arbeit anging. Trotz des Zuspruchs von Toni, und vor allem von Albert aber was ahnte ich damals schon von seinen Gefühlen für mich.
Donnerstagnachmittag musste ich eine wichtige Teillieferung für einen Großkunden übernehmen. Ich stand im Lager, während der Fahrer des Lieferanten die Palette neben mir abstellte oder das versuchte. Der junge nur gebrochen Deutsch sprechende Mann stellte mir nämlich die schwere Palette auf die Zehe, unabsichtlich. Sofort brüllte ich auf vor Schmerz, während der Bursch sich sofort entschuldigte, und den Hubwagen wieder hoch pumpte. Ich wimmerte nur mehr, und betrachtete meine Zehe, an der noch keine Blaufärbung zu erkennen war. Nichts desto Trotz pulsierte das Blut schmerzhaft. Der Fahrer sah mich betroffen an und entschuldigte sich immer wieder. Ich hatte im ersten Moment eine Menge netter Namen für ihn auf der Zunge, aber ich sagte nichts hätte es etwas gebracht? So überprüfte ich nur den Lieferschein auf Richtigkeit und humpelte ins Büro zurück.
Ich verlor kein weiteres Wort über das Missgeschick. Trotzdem kochte ich innerlich in einer Mischung aus Wut und Selbstmitleid. In einer Pause stellte ich dann fest, dass der Zehennagel blau geworden, die Zehe schmerzte bei jedem Schritt. Ich unterdrückte mit Mühe, dass mir ein paar Tränen über die Wangen flossen. Nach meinem subjektiven Gefühl zog ich das Pech magisch an. Manu tratschte mit Uschi, und diese Szene, die mich sonst nicht im Mindesten interessiert hätte, brachte mich nun noch mehr auf die Palme. Erst als ich am frühen Nachmittag Zeit für eine Rauchpause mit – eh scho wissen Ali und Toni fand, weinte ich mich erst einmal aus. Die beiden gingen, so mein jetziger Eindruck, viel zu gutmütig mit mir um, ich suhlte in meinem Selbstmitleid obwohl ich ein paar harte Worte jetzt notwendiger gebraucht hätte. Wegen Richard hätte ich nur froh sein brauchen, dass ich ihn los war, er war meine Gefühle nie wert gewesen, und was die Arbeit betraf: solche Zeiten mit viel Stress gab und gibt es immer wieder.
Als ich aber von der Mittagspause zurückkam, wartete schon die nächste Hiobsbotschaft auf mich: ausgerechnet Manuela war auf der Straße, als sie sich eine Jause kaufen wollte, ausgerutscht und hatte sich den Knöchel verdreht. Sie saß auf dem Schreibtisch, hatte den linken Knöchel hoch gelagert, während ihr Stransky Eis auflegte. Ich traute meinen Augen kaum als sich mir diese Szene bot. Wenige Minuten später brachte sie ein Kollege mit dem Auto ins UKH. Und eine gute Stunde später erreichte uns ein Anruf von Manuela: Knöchel bandagiert, mindestens eine Woche im Krankenstand. Womit ich allein mit der undankbaren Aufgabe betraut war, die Lieferung für den Großkunden, zudem ja nicht nur die heutige Ware gehört hatte, diesen Nachmittag zusammenzustellen. Eine Arbeit für Stunden, es war gar nicht abzusehen, wann ich an diesem Donnerstag heimfahren durfte…
Im Büro hatte ich nicht viel gesagt, aber später im Lager schimpfte ich wie ein Rohrspatz, so wütend war ich. Auch wenn ich mir sicher war, dass Manuelas Knöchelverletzung aufgebauscht war, musste ich dennoch die Gegebenheiten hinnehmen und damit klarkommen. Aber weil ich wegen Richard und seinen Lügen noch immer so verletzt war, fiel es mir noch schwerer als sonst. Es dauerte eine Weile bis ich auf vernünftige und methodische Weise begann, laut Bestellung die Artikel zusammenzusuchen und für den Lieferschein zusammenzuschreiben. Schließlich war ich so vertieft in meine Arbeit, dass ich nicht hörte, wie die Tür zum Lager zugemacht wurde. Erst durch ein Räuspern schreckte ich hoch: Albert und Toni standen vor mir, salutierten zum Spaß und grinsten mich spitzbübisch an. Ich verstand nicht, aber die beiden klärten mich rasch auf.
In der EDV war der Server völlig unerwartet eingegangen, offenbar etwas Ärgeres. Der Techniker, der mittlerweile gekommen war, werkte schon eine Stunde, ein Ende war nicht abzusehen. Möglicherweise würde er sogar noch den ganzen Nachmittag an der Behebung des Schadens arbeiten müssen. Stransky wollte die beiden, Ali und Toni, zuerst heimschicken, weil es für sie im Moment nichts zu tun gab. Da habe ich ihm vorgeschlagen, dass wir dir doch helfen könnten! Bringt doch nichts wir gehen heim, weil erst der Techniker den Schaden beheben muss, und du schuftest dich hier zu Tode und machst Überstunden. Das hat der Stransky auch eingesehen… Ich wäre den beiden am liebsten um den Hals gefallen als sie so vor mir standen. Ich beschränkte mich dann aber darauf, schlicht Danke zu sagen. Wir hatten so viel Arbeit vor uns, da siegt bei mir gern das praktische Denken.
Zwei Stunden später folierten wir die drei fertigen Paletten, ich musste nur noch den Lieferschein in den Computer eingeben. Und es würde sicher noch einige Zeit dauern, bis ich das konnte, denn der Techniker hatte noch alle Hände voll in der EDV zu tun. Aber das war mir dann schon egal, denn den Lieferschein konnte ich morgen früh auch ausdrucken, das war eine Sache von ein paar Minuten. Als ich mit den Burschen auf die letzte Rauchpause ging, drückte ich sie beide und bedankte mich noch einmal. Wie sagt Max Frisch? Krise ist ein produktiver Zustand. Man muss ihr nur den Beigeschmack der Katastrophe nehmen.
Vivienne
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