Neue Bohnen Zeitung


DIE BUNTE WELT VON VIVIENNE
von Vivienne  –  Juli 2003



Geschichten zur Urlaubszeit:
Heiße Nächte in Bibione

Bella Italia! Trotz aller Diskussionen um gewisse vorlaute bis beleidigende Politiker aus dem Land der alten Römer (ich möchte jetzt keine Namen nennen!) ist und bleibt Italien eines der beliebtesten Urlaubsländer der Österreicher. Mittelmeer und tolle Strände, Gelati, Pizza und die gesamte fantastische Palette der italienischen Küche, dazu eine Reihe von edlen Weinsorten.  Abgesehen von diesen kulinarischen wie eher profanen Genüssen bietet Italien aber auch jede Menge für Sight-Seeing und damit auch für einen Bildungsurlaub. Ich selber war, abgesehen von einer Südtirolwoche in der Mittelschulzeit vor fast zwanzig Jahren noch nie in Italien, muss aber gestehen, dass mich ein Trip nach Rom oder ein Badeurlaub in einem der bekannten Badeorte schon öfter gereizt haben… Öfter, bis letztes Jahr…

Albert und ich waren bei Beas Schwiegereltern eingeladen. Kurze Erläuterung, auf die Gefahr hin, dass ich mich wiederhole: Louis’ Eltern betreiben im Mühlviertel seit Jahren eine kleine Schneiderei und ich bin immer wieder gern gesehener Gast in deren Haus gewesen. Louis’ Eltern sind an sich nette, umgängliche Leute mit den üblichen Marotten halt, geschäftstüchtig wie gastfreundlich. Die Mutter ist eine hervorragende Köchin, weswegen Besuche bei ihnen sich für mich immer zweischneidig präsentieren:

einerseits war es herrlich, so verwöhnt zu werden, andererseits waren die berüchtigten Gerichte von Louis’ Mutter alles andere als kalorienarm, weswegen ich danach immer fürchtete, nicht mehr in meine Hosen zu passen. Trotzdem schlug ich nie eine Einladung aus – Der Geist ist willig, aber das Fleisch ist schwach…

Letztes Jahr im Juni waren also Albert und ich bei ihnen eingeladen. Wir saßen auf der Terrasse, genossen den herrlichen Ausblick ins Donautal und schlemmten: Louis hatte uns allen aus je einer Portion Eis mit Schlag und allerlei anderen leckeren Zutaten einen herrlichen Nachtisch gezaubert. So ließ es sich leben. Wir unterhielten uns angeregt, aber mir fiel nach einer Weile auf, dass Louis’ Eltern schon eine ganze Weile nichts von sich hören oder sehen ließen. Louis griff meine unausgesprochene Frage auf, als er mit einer Flasche Mineral und einer frischen Zitrone wieder zu uns auf die Terrasse kam. Grinsend meinte er zu Bea: „Du solltest meinen Eltern zusehen. Mein Vater sucht seine gestreifte Badehose, und Mutter sagt ihm, dass sie dort ist, wo sie immer war: im Kasten! Jetzt gibt ein Wort das andere!“ Louis amüsierte sich königlich wegen der kleinen Meinungsverschiedenheit seiner Eltern. Mir war hingegen nicht ganz klar, warum Louis Vater nach 20:30 Uhr unbedingt seine Badehose brauchte. Albert ging es ebenso, und er fragte Louis direkt: „Will dein Vater jetzt schwimmen gehen?“ Louis lachte. „Nein, natürlich nicht. Aber meine Eltern und mein Bruder Luigi fahren morgen Nacht mit dem Auto nach Bibione. Die Reisetaschen sind zwar schon alle gepackt, aber meinem Vater ist eben die Idee gekommen, dass er noch eine Badehose zusätzlich mitnehmen möchte. Und die findet er jetzt nicht.“

Ich zog überrascht die Augenbrauen hoch. Seltsam, dass noch niemand an diesem Abend die bevorstehende Reise erwähnt hatte. Ich warf Bea einen erstaunten Blick zu und trank von meinem Mineral. „Das ganze ist ein

„Last-Minute–Angebot“, beeilte sich meine Schwester daraufhin zu sagen. „Letzte Woche gebucht, weil mein Schwiegervater spontan und  unbedingt wollte.“ Sie lächelte versonnen. „Die letzten Tage mit ihnen waren ein bisschen chaotisch, ihr könnt uns das glauben, wir sind froh, wenn sie endlich unterwegs sind. Fast jede Kleinigkeit bietet Anlass für einen Zankapfel, und ich bin froh, wenn wieder Ruhe eingekehrt ist…“ „Louis?“ tönte in diesem Moment die tiefe Stimme seines Vaters aus dem Wohnzimmer. „Ihr habt doch eine neue Batterie in eurer Kamera? Lougi möchte viele Fotos damit machen!“ „Keine Sorge!“ beruhigte dieser seinen Vater. „Wir haben sogar eine Ersatzbatterie für den Fall der Fälle dazugepackt. Und eine Doppelpackung Filme.“ Zufrieden brummend verzog sich Louis Vater daraufhin wieder in die Küche. Louis grinste uns mit einer entwaffnenden Handbewegung an. Einige Zeit später gesellten sich Louis Eltern wieder zu uns und erzählten kurz von den letzten Reisevorbereitungen. Sie freuten sich schon sehr, ließen sie uns wissen, auch wenn ich ein wenig meine Zweifel hatte. Ich kannte Louis Mutter gut genug um zu wissen, dass sie eher ungern verreist. Aber was ging uns das überhaupt an…

Ein paar Tage später telefonierte ich aus irgendeinem Anlass mit Bea. Beiläufig warf sie ins Gespräch ein, dass ihre Schwiegereltern gut in Bibione angekommen waren und sich schon sehr auf den Strand und das herrliche Meer freuten. Das Zimmer im Hotel sei sehr gut ausgestattet und vom Balkon aus hätte man einen Wahnsinnsblick auf die Gegend. Ich registrierte diese Information zwar, vergaß aber bald wieder darauf. Im Grunde gingen mich Louis Eltern nicht wirklich etwas an. Das Wetter war auch bei uns sehr heiß und ich träumte viel lieber vom Freibad und von der Abkühlung, die ich dort zu finden hoffte. An einen eigenen Urlaub ließ sich momentan nicht denken. Aber Mitte der Woche stellte ich nach der Arbeit fest, dass mich Bea angerufen hatte, ohne aber eine Nachricht auf der Mailbox zu hinterlassen. Dazu dachte ich mir noch nichts, aber als ich sie dann zwei oder drei Mal zurückzurufen versuchte, sie aber nicht erreichen konnte, wurde ich stutzig. Ich begann mir Sorgen zu machen.

Endlich, gegen 22:00 Uhr, meldete sich Bea dann am Festnetzapparat ihrer Eltern, deren Nummer ich schließlich fast schon aus Verzweiflung zu guter Letzt auch noch gewählt hatte. Bea klang leicht angespannt, als sie sich meldete. „Mein Gott, Viv!“ antwortete sie fast hektisch auf meine Lawine an Fragen, mit der ich sie zu überrollen schien. „Louis Eltern sind wieder daheim, vor ein paar Stunden angekommen. Stell dir vor, sie sind in Bibione ausgeraubt worden!“ Es dauerte eine Ewigkeit, bis ich wieder reden konnte. In meinem Kopf überschlugen sich die Gedanken. Ausgeraubt? Wie war das nur möglich gewesen? Während ich versuchte, wieder klar zu denken, beruhigte sich Bea selber wieder, wie ich merkte. Und danach erzählte sie mir diese „R

äubersgeschichte“ von A – Z:

Louis Eltern und deren jüngerer Sohn Luigi waren wie geplant in Bibione angekommen und hatten ihr Hotel bezogen, das wusste ich auch noch von Bea selber. In der zweiten Nacht hatten sich aber Langfinger bei ihnen eingeschlichen: Diese Diebe leiteten, wie es angeblich sehr häufig dort unten vorkommt, über die geöffnete Balkontür eine Art Gas in das Zimmer, um die Schlafenden richtig zu betäuben. Dann hatten sie das Zimmer nach Wertsachen durchsucht und stahlen, was nicht niet- und nagelfest war. Auch Beas Kamera, die sie ja nur ihrem (behinderten) Schwager geliehen hatte, wurde gestohlen. Dass sich der Schaden in Grenzen hielt, war dem puren Zufall zu verdanken: die Geldbörse von Louis Vater (mit 3.000 Euro, den Reiseschecks und der Scheckkarte) befand sich zufälligerweise unter einigen Strandtüchern in einer Badetasche, die deshalb von den Tätern nicht beachtet wurde. Trotzdem war der Schock groß, außerdem hatten Louis Eltern und sein Bruder heftige Kopfschmerzen als Nachwirkung des Gases. Und nachdem man die Formalitäten wegen der Reiseversicherung (die Louis Vater glücklicherweise abgeschlossen hatte) mit den Carabinieri geklärt hatte, setzte sich die Familie sofort wieder ins Auto und fuhr heim. Am frühen Nachmittag erreichten sie endlich wieder heimische Gefilde.

Tolles Erlebnis, dachte ich mir. Der liebe Gott möge uns vor allem behüten, was gerade noch kein Unglück ist, legte Friedrich Torberg seiner legendären Tante Jolesch in den Mund. Nie verstand ich diese Weisheit besser als jetzt. Trotzdem war mir nicht ganz klar, warum die Diebe gerade bei Louis Eltern eingestiegen waren. Als ich Bea mit dieser Frage konfrontierte, hörte ich sie ziemlich laut ein- und ausatmen. „Tja, Viv, man muss es so umschreiben: reine Unvorsichtigkeit. Louis Vater hat am ersten Abend anscheinend durch die ganze Hotelhalle geschrieen, dass er das Reisegeld, die Kameras, Uhren, Schmuck etc. sicher nicht in das Hotel-Safe geben wird, weil es dort auch nicht sicher sein muss. Diese Äußerung muss jemand gehört haben, der dann den Plan zu dem Raub fasste und in die Tat umsetzte. Tatsache ist, dass sonst niemand bestohlen wurde. Gott sei Dank ist alles versichert. Ich bekomme auch eine neue Kamera, wenn die Versicherung bezahlt hat. Aber darum geht es mir gar nicht. Louis Mutter ist nicht ganz gesund, du weißt, sie leidet an Bluthochdruck, dazu unser Luigi, der ja mongoloid ist. Da kann man schwer abschätzen, was noch passieren hätte können.“

Ich verstand Bea. Alles in Allem war kein wirkliches Unglück passiert, aber diese Erholungsreise in den Süden hätte trotzdem ins Auge gehen können. Materielles lässt sich immer ersetzen, selbst wenn es einmal keine Versicherung gibt. Aber wenn jemand aus der Familie gesundheitlich zu Schaden gekommen wäre – nicht auszudenken. Zuletzt hatte ich ja immer öfter einmal laut wegen eines Urlaubs in Italien überlegt und mich deshalb bei Albert ins Zeug geworfen, damit wir vielleicht im nächsten Jahr einmal am Mittelmeer für ein oder zwei Wochen Erholung finden könnten. Aber jetzt war ich mir nicht mehr so sicher, ob ich das noch wollte. Und vor allem wusste ich nicht, wie ich Albert umstimmen sollte, wenn ich mit einem Mal selber solche Zweifel hatte.

Aber andererseits: Vergleichbares kann einem immer und überall passieren. Langfinger laufen ja trotzdem nicht nur in Bella Italia herum. Und überhaupt: Kommt Zeit, kommt Rat.

Vivien

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