Neue Bohnen Zeitung


DIE BUNTE WELT VON VIVIENNE
von Vivienne  –  Jänner 2002



Vom Risiko, sich auf das Leben einzulassen …

Gewidmet all jenen, die an die Liebe glauben.

Aber auch denen, die meinen, das Leben wäre nur zu ihnen grausam: es gibt immer jemanden – man muss nur bereit sein, diesen Menschen auch wahrzunehmen.

Wie viele Dichter haben sich schon mit ihr befasst: die Liebe, die „Himmelsmacht“, beschäftigt die Menschen seit Anbeginn der Zeiten und daran wird sich nie etwas ändern. Kein Mensch möchte allein sein, trotz horrender Scheidungsraten boomen Heiratsinstitute und wer die Inserate in den Tageszeitungen genauer durchsieht, kann das Bedürfnis von Männern wie Frauen nach Zweisamkeit nur bestätigen. Dabei ist es mit der Liebe so wie mit den Pflanzen, kleidete Jeremias Gotthelf einmal in schöne Worte: Wer Liebe ernten will, muss Liebe säen… Vielleicht ist das auch der Grund, warum soviel Beziehungen scheitern –  weil nicht wenige  Menschen Liebe und tiefe Gefühle mit allen Konsequenzen vom anderen erwarten aber das selber gar nicht ausstrahlen, ja, oft gar nicht in der Lage sind, selber zu geben und das gar nicht merken. Einsamkeit ist ein schlimmes Los, aber wenn man auf der Suche nach dem oder der „Richtigen“ ist und öfter Fehlschläge erleidet, sollte mann oder frau die Schuld nicht bei den Menschen oder der „Zeit“ oder sonstigen Problemen suchen, sondern einmal in sich hineinhorchen und sich kritisch fragen: „Bin ich es nicht selbst?“ Und wer ehrlich ist zu sich selbst, wird erkennen, dass er auch sich ändern muss, um bereit und fähig zu Liebe zu werden.

Ich möchte an dieser Stelle von einer ungewöhnlichen Liebe erzählen. Die beiden Menschen hatten nicht die perfekten Voraussetzungen dafür, aber sie ließen sich nicht davon abhalten, ihr gemeinsames Leben zu leben, denn ihre Gefühle waren stark. Stark genug, auch in „guten wie in schlechten Tagen“ – „bis dass der Tod sie schied“ und doch nicht wirklich, denn ihre Liebe lebt weiter in ihren Kindern. Und wundern Sie sich nicht, wenn diese Geschichte von „Vivienne“ etwas ungewöhnlich beginnt – sie kommt sicher zum Punkt.

Wer wie ich in einer kleinen Gemeinde aufgewachsen ist, kennt das zerrissene Gefühl: einerseits kann das Landleben herrlich sein, wenn man nicht gerade im Umfeld von Misthaufen und krähenden Hähnen lebt. Andererseits werden Sie mir recht geben, dass es in Gemeinden Geheimnisse nicht lange gibt, dass eine gut geschmierte Gerüchteküche im Gang ist und vielleicht haben Sie selbst einen Nachbarn, der ständig am Gartenzaun werkt und beobachtet, welches Auto da bei Ihnen gerade stehen bleibt und wer aussteigt…

So geht und ging es auch mir oft. Vor etwa zehn Jahren war ich noch meistens mit dem Zug in die Arbeit unterwegs, so auch an einem jener Frühsommertage, wie ich sie so liebe: man schließt die Augen und die Sonne scheint einen zu küssen und zu umarmen und man spürt mit jeder Faser des Körpers das Leben… Dementsprechend gut gelaunt kam ich heim, ließ meine Schuhe und die Tasche in der Garderobe und ging in die Küche. Meine Eltern saßen beisammen, aber nicht wie üblich beim Schnapsen sondern sie sahen eher betroffen aus und unterhielten sich leise ohne aufzuschauen. Ich sah die beiden mit hochgezogenen Augenbrauen an. „Ja, was ist denn los?“ Mein Vater griff nach seiner Brille, die vor ihm lag: „Frau Huber ist gestorben. Die Nachbarin war gerade da, Begräbnis ist am Samstag.“ Frau Huber, einen Moment musste ich überlegen. Welche Frau Huber…? Vati merkte meine Überlegungen. „Ja, Frau Huber halt, die vom Rosenweg, die mit der Multiplen Sklerose… sie ist in einem Pflegeheim verstorben“

Jetzt erinnerte ich mich. Mein Gott, Frau Huber… Ein Bild tauchte vor meinem geistigen Auge auf: Gerlinde Huber, im Rollstuhl, mit ihrer kleinen Tochter im Arm, vielleicht zwei Jahre alt. Sie sah nicht gesund aus, aber sie strahlte mit ihrer jüngsten Tochter im Arm, mehr noch, sie sah stolz aus. Die beiden Buben, Zwillinge, so vier, fünf Jahre alt, standen neben dem Rollstuhl und dahinter befand sich ihr Mann, Walter Huber: großgewachsen, die Hände auf den Schultern seiner Frau, den Blick auf sie gerichtet: eine Mischung aus Zärtlichkeit und Sorge stand in seinem Gesicht. Ich war selber damals noch ein Kind, und es muss ein Weihnachtsbasar in der Nachbargemeinde gewesen sein, bei dem ich das Ehepaar Huber so bewusst wahrgenommen hatte. Und jetzt war Frau Huber also gestorben, mit wievielen Jahren? Mitte Vierzig, Ende Vierzig, so in dem Bereich. Gestorben an Multipler Sklerose in ihrer schlimmsten Form, „am Zenit des Lebens“, wie man so sagt… Meine gute Laune schwand und ich wurde nachdenklich.

Am Abend ging ich noch ein wenig spazieren in unserer Siedlung. Ich wollte auf andere Gedanken kommen, schaffte es aber nicht so richtig. Wenn man so im Leben steht, sich jung und „unbezwingbar“ fühlt, ist so eine Auseinandersetzung mit dem Tod nicht angenehm, vor allem, wenn eine relativ junge Frau wie Gerlinde Huber aus dem Leben gerissen wird. Der Mensch tendiert dazu, diese Gedanken zu verdrängen, weil sie ihn mit der eigenen Vergänglichkeit konfrontieren – und wem fällt es schon leicht, sich mit dem Tod auseinanderzusetzen? Und wie es der Zufall so wollte, lief mir Sandra über den Weg. Sandra Huber, die Tochter. Sie hatte verheulte Augen und bemerkte mich nicht gleich. Ich grüßte und hatte schon ein paar Worte zur Beileidsbekundung auf den Lippen, als sie wieder zu weinen begann.

Ich wusste nicht, was ich sagen sollte, aber ich wollte auch nicht weitergehen und sie so stehen lassen. Sandra ist etwa sieben oder acht Jahre jünger als ich. Wir sahen uns damals regelmäßig, weil wir am Abend öfters mit demselben Zug heimfuhren und plauderten: nichts Wichtiges, aber so ein sozialer Kontakt halt, durch den man das eine oder andere erfährt. Sandra beruhigte sich und begann von selbst zu reden. Ihre Mutter sei gestern abend gestorben, wegen der Überführung aus dem Pflegeheim in Linz wäre die Beerdigung erst am Samstag. Und ob ich kommen würde… Ich sagte ohne zu überlegen zu. Mir war neu gewesen, dass Frau Huber in einem Linzer Pflegeheim verstorben war. Ich hatte angenommen, sie wäre noch in der Nachbargemeinde im Senioren- und Pflegeheim untergebracht gewesen, wie ich vor ein paar Jahren gehört hatte. Bereitwillig erzählte Sandra eine Reihe von Details, die ich nicht gewusst hatte. In den letzten Wochen hatte sich der Gesundheitszustand der Mutter stetig verschlechtert bis der Tod nur mehr eine Erlösung gewesen sei, wie man so sagt. Ihr Mann war die letzten Tage bei ihr gewesen und hatte schließlich die Kinder informiert: die beiden Söhne studierten gerade in Wien und Sandra selbst hatte die Nachricht bei einem Kurzurlaub mit ihrem Freund in Kärnten erhalten…

Sandra war froh, dass sie mit jemandem reden konnte. Ich merkte, dass sie ein wenig darunter litt, dass sie die letzten Stunden nicht mehr bei ihrer Mutter verbringen hatte können. Verständlich. Ich war noch immer nachdenklich als ich heimging. Und mir fiel die Lebensgeschichte von Frau Huber ein, die ja auch in der Gemeinde aufgewachsen war. Was wusste ich eigentlich von dieser Frau, die ich selber fast nicht gekannt hatte, weil sie einen großen Teil ihres Lebens bettlägrig gewesen war? Doch eine ganze Menge, wie ich feststellte. Wie eine Suchmaschine, in die ich einen Begriff eingegeben hatte, begann mein Gehirn zu arbeiten und förderte so manches zutage.

Gerlinde Huber war vor allen Dingen ein fröhlicher , lebensbejahender Mensch gewesen – und so aktiv, wie man unter diesen Voraussetzungen nur sein konnte. Gerade 17 Jahre alt wurde sie mit der Diagnose „Multiple Sklerose“ konfrontiert, MS in einer besonders schweren Form. So mancher Mensch hätte sich in dieser Situation selbst aufgegeben, und gerade sie hätte allen Grund dazu gehabt. War sie doch als Halbweise groß geworden, denn ihr Vater, der ihr das Leiden vererbt hatte, war mit nicht einmal vierzig Jahren freiwillig aus dem Leben geschieden: er war mit der Krankheit und den daraus resultierenden Depressionen nicht mehr klar gekommen. Aber nicht Gerlinde. Es schien, als würde sie dieses Leben als eine besondere Herausforderung annehmen, die nur besonderen Menschen zugedacht werde. „Ein schönes, problemloses Leben kann ohnedies jeder leben“, war ein Satz, den ich einmal von ihr gehört hatte. In diesem Moment bekam er für mich eine neue Dimension. Leben – richtig und intensiv leben: tun wir das alle nicht viel zu selten?

Es war schon dunkel als ich heimkam und auf mein Zimmer ging. Ich hatte keine Lust zum Fernschauen und wollte den Abend mit einem Buch ausklingen lassen. Aber ich konnte mich nicht konzentrieren. Also machte ich das Licht aus und legte mich ins Bett, doch ich wälzte mich schlaflos hin und her. Meine Gedanken kreisten immer wieder um Frau Huber. Ich blickte auf den Wecker: fast 24.00 Uhr. Seufzend drehte ich mich auf die andere Seite… Gerlinde Huber war ein sportlicher Mensch gewesen. Sie war im Winter gern Schifahren, im Sommer urlaubte sie oft am Meer oder im Gebirge. Es war ihr ein Bedürfnis, diese für sie wichtigen Dinge auszukosten solange es ihr möglich war. Dementsprechend gesellig scharte sie immer viele neue Bekanntschaften um sich. Der lockere Umgang mit den Menschen aber auch mit ihrer Krankheit selbst machte sie beliebt und sie hatte viele Freunde. Ich war noch ganz klein, als ich sie das erste Mal mit ihm sah: mit Walter Huber, einer Urlaubsbekanntschaft. Eigentlich aus dem Bundesland Salzburg gebürtig, hatten sich die beiden bei einem Italienurlaub kennengelernt.

Ich habe Walter Huber nie besonders gut gekannt, er ist ein eher verschlossener Mensch und liegt mir deshalb nicht so sehr. Ich weiß nicht, ob es die Krankheit seiner Frau war, die ihn wortkarg hatte werden lassen, aber mir fiel schon damals auf, dass immer ein besonderes, warmes Leuchten in seinen Augen war, wenn er mit seiner Frau sprach, ihren Rollstuhl schob oder einfach nur die Decke auf ihrem Schoß richtete. Seine zärtlichen Gesten wirkten nie mechanisch auf mich, ich habe ihn nie verärgert oder grob im Umgang mit ihr gesehen. Walter Huber war ein gutaussehender Mann, groß und dunkelhaarig, mit blauen Augen, der auf einen bestimmten Typ Frauen in seiner Jugend zweifellos gewirkt haben musste. Ich fragte mich, warum er gerade mit der zweifellos schwer angeschlagenen Gerlinde eine Beziehung eingegangen war. Die junge Frau hatte nie ein Hehl aus ihrer Krankheit gemacht, auch nicht daraus, dass sie einmal, ja, wahrscheinlich sehr früh im Rollstuhl sitzen würde, als Pflegefall. Was bewegt einen Menschen, jemanden mit solchen Gesundheitsprognosen nicht nur ehrlich und aufrichtig gern zu haben sondern – wie in diesem Fall – sie auch zu heiraten und mit ihr eine Familie zu gründen, wenn nicht – Liebe, eine tiefe und sehr große Liebe…

Der schrille Läuten des Weckers ließ mich hochschrecken. Irgendwann musste ich doch eingeschlafen sein und jetzt wartete ein neuer Arbeitstag auf mich, obwohl ich gerade die nötige „Bettschwere“ hätte. Seufzend stand ich auf… Der Tag verging rasch und ich hatte keine Zeit für tiefschürfende Gedanken zum Thema Liebe, Tod und Leben. Mit viel Glück erreichte ich den Zug, ließ mich in den Sitz fallen, als Frau Pichler, eine alte „Tratsch’n“ aus der Nachbarschaft bei mir Platz nahm. Sie grinste mich mit ihren falschen, bräunlichen Zähnen an und ich lächelte leicht säuerlich zurück. Das hatte mir gerade noch gefehlt… Schnell verwickelte mich Frau Pichler in ein Gespräch und es nutzte gar nichts, dass ich meine Häkelarbeit aus der Tasche holte, sie war nicht zu stoppen. Natürlich konfrontierte sie mich mit Frau Hubers Ableben… „“…47 Jahre war sie erst alt“, bestätigte sie meine gestrigen Annahmen. Ich räusperte geräuschvoll – ob sie diesen sanften Wink verstand?

Sie ignorierte ihn geflissentlich und erzählte vom Pflegeheim, wo sie Frau Huber mehrmals besucht hatte. „“Es ging ihr ganz gut, soweit man das sagen kann – bei der Krankheit!“ Sie sah mich mit großen Augen an. „Und ihr Mann war fast jeden Tag bei ihr, meistens am Abend, nach der Arbeit, hat er hereingeschaut, hat sie mir erzählt. Und die Kinder, sogar die Buben, die ja schon ein paar Jahr‘l in Wien leben, haben sich regelmäßig anschauen lassen.“ „Buben“ dachte ich mir, „Buben“ mit 25 (!) Jahren, und schüttelte kaum merklich den Kopf. Gleichzeitig bemühte ich mich, meinem Gesicht einen interessierten Gesichtsausdruck zu geben. Bei einer kurzen Gesprächspause riss ich das Ruder an mich: „Woher kam er denn überhaupt, der Herr Huber?“ Frau Pichlers Augen begannen zu leuchten. Jetzt konnte sie ihr ganzes Wissen ausspielen – und das war enorm. Der junge Walter Huber war ein gebürtiger Saalfeldner, seine Eltern lebten schon damals nicht mehr und Geschwister hatte er nicht. Gerlinde war eine hübsche, junge Frau gewesen, dunkelblond und dunkle Augen, und als sich die beiden beim Segeln an der Adria kennengelernt hatten, muss es von Anfang an gefunkt haben. Es dauerte allerdings noch eine Weile, genaugenommen bis zum gemeinsamen Schiurlaub in Tirol fast ein dreiviertel Jahr später, dass aus den beiden ein Paar wurde.

Frau Pichler war in Fahrt und ließ sich nicht mehr unterbrechen. Ich fragte mich, wie das Leben von Frau Pichler wohl jeden Tag so ablaufen musste, wenn sie über jeden „Furz“ der Leute bei uns Bescheid wusste. Ja, ich fragte mich, was sie wohl über mich selber wusste… „…im Spätsommer darauf ham‘s g‘heiratet“, kramte die Pichlerin in ihren Erinnerungen. „Die Gerlinde hat ihre Arbeit aufgegeben, weil sie sagte, sie möchte nur für ihren Mann und die Kinder dasein. Das war halt noch eine Frau, die meisten heutzutage glauben ja, sie müssen arbeiten gehen und lassen die Kinder allein und den Mann, das hätt’s zu meiner Zeit nicht gegeben…“ keppelte Frau Pichler dahin und sah mich auf einmal etwas schief an. Richtig, ich war ja auch eine Frau und ging arbeiten. „Es ist nichts Schlechtes, wenn eine Frau arbeiten geht“, wagte ich leicht nervös einzuwerfen. „Was sagst?“ musterte mich die Frau mit schmalen Augen böse. „Wie war das, wann sind die Kinder geboren worden?“ warf ich blitzschnell einen Köder aus, um eine Diskussion zu vermeiden. Frau Pichler biss sofort an und versorgte mich mit sämtlichen Details der beiden Kaiserschnittgeburten: den Zwillingen Werner und Fritz, und eben Sandra. Sandras Geburt nahm Gerlinde Huber so mit, dass der Rollstuhl nach und nach für sie zum ständigen Begleiter wurde.

Der Zug hielt an unserm Bahnhof und erlöste mich von Frau Pichler. Ich hätte die Art dieser Frau keine Minute länger ertragen. Ich spannte den Schirm auf und lief heimwärts. Leider hatte das Wetter umgeschlagen und es regnete auch, als ich zwei Tage später zum Begräbnis ging. Die Kirche war überfüllt, kein Wunder, Frau Huber war eine bekannte und beliebte Frau gewesen. Vorn konnte ich die drei Kinder und Herrn Huber selbst erkennen. Pfarrer Bauer begann mit dem Begräbnisgottesdienst. Mich fröstelte und meine Gedanken schweiften ab… Walter Huber hatte aus Liebe zu Gerlinde sämtliche Brücken in Saalfelden abgebrochen, war hierher gezogen, fand einen guten Job in Linz und dann wurde geheiratet. Die beiden hatten sich die Kinder aus ganzem Herzen gewünscht; nebenbei hatte Herr Huber mit dem Hausbau begonnen. Ich war als Kind nach der Schule immer an dem Rohbau vorbeigekommen und hatte staunend beobachtet, wie schnell die Arbeit von statten ging. Walter Huber musste in der Zeit Übermenschliches geleistet haben. Seine Frau, die relativ früh mit den Haushalt nicht mehr allein zurecht kam, dazu die drei kleinen Kinder, die zu versorgen waren, der Hausbau und  – nicht zu vergessen! – sein Job.

Ich überlegte. Es spricht sich so leicht in der Kirche bei der Trauung – „in guten wie in schlechten Tagen“… ob Walter Huber geahnt hatte, bei aller Liebe zu seiner Frau, worauf er sich da einlassen würde? Mir fiel ein Zitat von Dom Helder Camara ein: “Die Hoffnung, die das Risiko scheut, ist keine Hoffnung… Hoffen heißt, an das Abenteuer der Liebe glauben, Vertrauen zu den Menschen haben, den Sprung ins Ungewisse tun und sich ganz Gott überlassen.“ Liebe ist immer ein Risiko. Was heute ganz klar und sicher erscheint, kann morgen schon durch völlig andere Gegebenheiten ersetzt ein. Und in solchen Situationen entscheidet sich, auf welchen Beinen eine Liebe steht: nämlich auf Fels oder auf Treibsand…

Neben mir schluchzte eine Frau auf. Der Herr Pfarrer hatte begonnen, aus einem Brief von Frau Huber vorzulesen, einem Brief, den diese an ihre Schwester geschrieben hatte. „… ich bin so stolz auf meinen Mann, wie er alles schaukelt, alles in Ordnung hält und organisiert – ein Wahnsinn, wie er das schafft… Und die Kinder sind so tüchtig, die Sandra lernt so brav in der Schule und die Buben machen heuer die Matura… ich kann dir gar nicht sagen, wie froh mich das macht… und ich bin nie allein. Ich wünsche mir manchmal, ich hätte mehr für Walter und die Kinder dasein können, aber es geht ihnen so gut, dass es nicht nötig war…“ Ja, es hatte Frau Huber an nichts gemangelt, aber auch ihren Kindern nicht, und insofern war sie glücklich gestorben: sie hatte erleben dürfen, wie ihre Kinder erwachsen wurden, dass aus ihnen „etwas geworden ist“, wie sie selbst formuliert hatte.

Der Gottesdienst war vorbei, die Menschen strömten auf den Friedhof, aber das wollte ich mir bei dem Regen nicht antun. Gemächlich machte ich mich auf den Heimweg. Frau Huber hatte keine umwerfenden Voraussetzungen für ihr Leben vorgefunden, keine Frage, aber sie hatte sich den Tatsachen gestellt und ohne Zweifel das Beste daraus gemacht, nicht zuletzt auch dank des Mannes, der diese Herausforderung mit ihr getragen hatte. „Das Glück deines Lebens hängt von der Beschaffenheit deiner Gedanken ab“, soll der römische Kaiser Marc Aurel einmal gesagt haben. Und ohne Zweifel hat Gerlinde Huber seine Worte beherzigt wie kaum ein Mensch.

Vivienne 

 

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