Neue Bohnen Zeitung


DIE BUNTE WELT VON VIVIENNE
von Vivienne  –  August 2002



Chronologie einer Hochwasserkatastrophe…

Montag, 12. August:

Um dreiviertel fünf Uhr morgens quäle ich mich aus dem Bett. Es ist trüb und dunkel und eher frisch. Wie schon öfter in der letzten Zeit muss ich um diese unchristliche Zeit aus den Federn, weil gerade ein neues Projekt läuft. Ich treffe mich mit einem Kollegen, Christoph, mit dem ich in die Arbeit fahre. Der Tag ist stressig und anstrengend. Es regnet und regnet ohne Unterlass. Mir wird mulmig zumute. In der Cafeteria werde ich Zeuge eines Telefonats einer Kollegin, die rätselt, wie sie nach Hause kommen kann. Alle Straßen sind schon gesperrt…

Schließlich lasse ich mich auch noch überreden, noch eine Stunde Arbeitszeit anzuhängen. Als ich schließlich um 18:00 Uhr die Firma verlasse, gießt es aus Kübeln. Natürlich wartet mein Schirm daheim auf mich, während mich der Regen binnen weniger Minuten völlig durchweicht hat. Das Wasser läuft über mein Haar, trifft sich an meiner Nassenspitze und tropft unaufhörlich nach unten. Keine Chance, dass der Regen aufhört. Als ich ich aus dem Zug aussteige und mich auf den Heimweg mache, bin ich bis auf die Haut nass. Ich friere, obwohl ich gehe so schnell ich kann. Der Wind bläst von allen Seiten und verteilt die Nässe gleichmäßig auf mir. Selbst mein Rucksack tropft nur mehr, als ich endlich daheim angelangt bin. Ich föhne ihn etwas später trocken. Später heißt, als ich meine nasse Kleidung gegen meinen Bademantel getauscht habe und eine Tasse heißen Tee getrunken habe. Keine Post heute! erfahre ich von meiner Familie. Und das Telefon geht nicht mehr. Furchtbar, denke ich mir, ich kann nicht ins Internet oder meine Emails abrufen. Das hat mir gerade noch gefehlt. Aber die Bilder im Fernsehen bringen mich zum Schweigen. Langsam realisiere ich, was da anderswo passiert, gegen das meine „durchweichte“ Heimkehr noch harmlos ist. Was ist schon ein Tag ohne Internet gegen überflutete Häuser… Ich bin sprachlos und sehr nachdenklich, als ich ins Bett gehe.

 

Dienstag, 13. August:

Gegen 8:00 Uhr morgens komme ich in die Arbeit. Christoph, der Kollege aus dem benachbarten Bezirk, ist nicht da. Wie ich später erfahre, waren die Straßen vermurt: ein Erdrutsch, außerdem ist der Keller wieder unter Wasser. Ein „In-door-Pool“, wie er selber später sarkastisch bemerkt. Von unserer Abteilung sind nur eine Kollegin und ich da. In der ganzen Firma rufen laufend Leute an, dass sie wegen des Hochwassers nicht in die Arbeit kommen können. Endlich hört es zu regnen auf und am Nachmittag bricht plötzlich die Sonne durch. Ein kleiner Hoffnungsschimmer?

Als ich mit dem Zug heimfahre, traue ich meinen Augen kaum. Steyregg, eine benachbarte Kleinstadt ist teilweise überflutet. Ein bekannter Autohändler steht unter Wasser, ebenso eine örtliche Fleischhauerei. Der Spenglerei sind die Wassermengen bedrohlich nahe gekommen. Die Schrebergärten stehen völlig unter Wasser, nur die Dächer der Gartenhäuser sind zu sehen. Ebenso unter Wasser eine Sportanlage, bei der die Fußballtore vielleicht 30, 40cm aus dem Wasser ragen. Felder, Wiesen und Waldstreifen bilden kleine, zusammenhängende Seen. Bei uns in den tiefer gelegenen Teilen der Gemeinde ein ähnliches Bild. Im Dorf, einem Ortsteil, und in der Bahnhofsiedlung sind viele Häuselbauer von überfluteten Kellern betroffen. Die Anrainer haben ihre Autos durchwegs schon auf der Straße oberhalb des Bahndamms geparkt um diese zu retten. Linz ist für Autofahrer aus unserer Gegend nur mehr über Gallneukirchen (!) zu erreichen, höre ich. Die Sonne scheint, als ich heimgehe, aber am Himmel ziehen dunkle Wolken durch und es sieht nach einem Gewitter aus.

Natürlich geht das Telefon wieder nicht, wieder kein Internet, aber was ist das schon gegen die Überschwemmungen ein paar hundert Meter weiter unten im Dorf, gegen das Chaos in der Nachbargemeinde, gegen die Katastrophe in Gemeinden wie Schwertberg, Mauthausen oder die Bezirkshauptstadt Perg… Man stumpft ab, wenn man die Verkehrsnachrichten im Radio hört. Irgendwie ziehe ich mich in mein inneres Schneckenhaus zurück und weigere mich, das ganze Ausmaß der Katastrophe anzunehmen, mich damit auseinander zu setzen…

 

Mittwoch, 14. August:

Am morgen treibst’s mir fast die Tränen in die Augen als ich an der Steyregger Brücke das neue Flußbett der Donau erkenne… Wie ein böser Traum. Fast 24 Stunden hat es kaum geregnet, aber ich bemerke nichts, dass die Wassermengen zurückgegangen wären. Die Seenlandschaft fast unverändert, dazu die Horrormeldungen im Radio, mittlerweile auch was das Ausland betrifft.

Christoph ist wieder da, fast den ganzen Vortag hat er damit verbracht, mit Verwandten und der Feuerwehr den Keller wieder leer zu pumpen. Dementsprechend müde ist er und eher mittelprächtig drauf. Richtig gute Stimmung kommt auch heute nicht auf. Einige Kollegen kamen am Vortag nicht mehr nach Hause und mussten in Linz übernachten, andere fuhren Stunden und machten riesige Umwege, um überhaupt heim zu kommen.

Ich bleibe auch diesmal länger in der Arbeit und treffe bei der Heimfahrt Andrea, eine Schulkollegin. Natürlich ist das Hochwasser auch zwischen uns Gesprächsthema Nr. 1. Andrea berichtet von Erzählungen ihrer Großmutter, die das schlimme Hochwasser 1954 noch mitgemacht hat. Aber jetzt kann man erkennen, dass das Wasser schon ein wenig zurückgegangen ist. Schlamm zeigt an, wo das Wasser noch am Morgen stand. Die Leute drängen noch zum Zugfenster und gaffen mit großen Augen auf die „neue Donau“… Mir fällt ein, wie ich am Vortag beim Heimgehen etliche Leute traf, weil sie zwecks „Hochwasser schauen“ durch die Ortschaft spazierten: ältere Leute, Radfahrer, Mopedfahrer oder einfach Menschen in meinem Alter – neugierig und ein wenig sensationsgeil sind sie alle. Und selber nicht betroffen.

Die Briefträgerin war wieder da, und das Telefon geht auch wieder. Es sieht erneut nach Regen aus, aber auch diesmal hält sich das Wetter zurück. Während ich meine Emails abrufe, wird mir klar, das ich ein wenig internetsüchtig bin. Was wäre, wenn ich in Schwertberg daheim wäre? frage ich mich. Da müsste ich für Wochen oder Monate auf meine Emails verzichten! Aber ob ich in der Situation nur einen Gedanken daran verschwenden würde? Vermutlich nicht. Ich denke an ein paar frühere Arbeitskolleginnen, die in Schwertberg leben. Obwohl ich lange keinen wirklichen Kontakt zu ihnen pflege, frage ich mich, wie es ihnen wohl geht….

 

Donnerstag, 15. August. Feiertag.

Das Wetter ist teilweise schon recht freundlich. Wie ich höre, kommt man mit dem Auto wieder auf der B3 nach Linz, also auf normalem Weg. Die Seenlandschaft in der Senke ist merklich geschrumpft. Vor zwei Tagen sind da noch Leute mit der Zille unterwegs gewesen und wurden kaum mit der heftigen Strömung fertig. Auch durch’s Dorf kann man wieder gehen. Die Mattenfabrik eines Unternehmers ist wieder weitestgehend sicher nachdem die Fluten zuletzt bedrohlich nahe kamen. Auch in der Straße oberhalb des Bahndammes stehen keine geparkten Autos mehr. Nachmittag regnet es wieder etwas, aber die wenigen Tropfen verflüchtigen sich rasch.

Meine Kübelpflanzen ertrinken fast im Wasser und im Garten feiern die Schnecken ein dolce vita sondergleichen. Zwischen den Beeten kann es einem fast passieren, dass man einsinkt obwohl es mittlerweile mehr als zwei Tage nicht oder nur wenig geregnet hat….

Und daheim verschicke ich Email über Email – ich hab ja was nachzuholen.

 

Freitag, 16. August:

Der Tag beginnt mit Sonnenschein. Es wird nicht nur warm sondern drückend schwül. Das Wasser ist weiter zurückgegangen. Nur noch heller, teilweise schon trockener Schlamm zeigt an, wo das Wasser sich ein neues Beet gesucht hat. Keine Seen mehr sondern nur mehr schmutzige, trübe Tümpel. In der Früh höre ich in den Nachrichten, dass in Gemeinden wie Schwertberg das Trinkwasser für Kleinkinder nicht zu genießen ist. Selbst die Erwachsenen sollen lieber auf Mineralwasser umsteigen, rät man den Betroffenen. Aber auch der Sommer soll am Wochenende wieder kommen, wird „on-air“ versprochen. Lassen wir uns überraschen, denke ich mir.

Am späteren Nachmittag beginnt es zu gewittern und zu regnen. Nicht viel, aber stetig. War’s das schon? frage ich mich. Die Bilder der Betroffenen aus dem Bezirk tauchen wieder vor meinem Auge auf. Für die war’s das noch lange nicht, die werden noch Monate mit den Aufräumungsarbeiten beschäftigt sein. Viele stehen vor dem Nichts. Spendenaktionen laufen an, Freiwillige kommen aus allen Bundesländern um zu helfen. Die Leute halten wieder mehr zusammen, dass stimmt. Aber wenn ich an die ganzen Schaulustigen denke, die die schwere Arbeit behindern…

Ich habe Glück gehabt, so viele nicht.

Es regnet noch immer…

Vivienne

 

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