Neue Bohnen Zeitung


DIE BUNTE WELT VON VIVIENNE
von Vivienne  –  Juli 2002



… bis dass der Tod euch scheidet …?

Jüngsten Statistiken nach werden 46 % aller Ehen geschieden, im Bundesland Wien noch mehr. Die Scheidung boomt, dass so manche Firma an den „Wachstumsraten“ ihre Freude hätte. Der Österreicher kann nicht allein leben, aber allzu lange hält er es mit seinen „Lebensabschnittspartnern“ nicht aus. Die Problematik, dass eine Ehe, eine fixe Beziehung sich nicht so entwickelt, wie man möchte, wie man es sich erträumt, war schon den Griechen bekannt. Ob man heiraten soll oder nicht? Tu von beiden, was du willst und es wird dich gereuen, formulierte schon Sokrates. Und George Bernhard Shaw hielt schon im 19. Jht. eine Liebesbeziehung per Post als die beste.

Auch wenn die letzten Zitate von mir einen leicht ironischen Ton ins Spiel bringen: die Ehe führt sich selbst schön langsam ad absurdum. Schlimm ist, wenn man in seinem Umfeld Zeuge wird oder beobachten kann, wie eine an sich gute Ehe, mit Kindern, den Bach hinuntergeht… Sie erinnern sich sicher noch an Hanna, ehemalige Arbeitskollegin und einmal auch, so meinte ich, eine sehr gute Freundin von mir. Ihnen ist sicher noch in Erinnerung, wie unsere freundschaftliche Beziehung endete, als sie mich beflegelte, weil ich ihren Geburtstag ignoriert hatte. Das Unternehmen, in dem wir gemeinsam arbeiteten, gibt’s nicht mehr, unsere Ex-Chefin, Carola Berger, musste auf Druck ihres Gatten, eines Provinzbürgermeisters, ihre schwindsüchtige Firma schließen. An die 18 Leute hatte die selbsternannte Unternehmerin in kurzer Zeit verbraucht und war mit den Leuten alles andere als fair und anständig umgesprungen, wie ich am eigenen Leib verspürt hatte…

Als das kam mir wieder in den Sinn, als ich vor ein paar Wochen nach der Arbeit zufällig Maria Anna, eine Kollegin aus der Zeit, in Linz auf der Landstraße wieder traf. Sie sah gut aus, hatte mit dem Austritt aus dem Unternehmen auch eine alte Beziehung beendet. Frisch verliebt und im Unternehmen des neuen Freundes tätig, wirkte sie sichtlich zufrieden, ja, glücklich auf mich. Unsere Ex-Chefin hatte sie zwar um etliches Geld geprellt, aber als Stehaufmännchen hatte sie das weggesteckt und blickte nun wieder nach vorn. Es tat gut zu sehen, dass sie einen positiven Neuanfang geschafft hatte, im doppelten Sinn. Als wir im Café saßen, kam das Thema unweigerlich auf Hanna. Ich wollte über die seltsame Art und Weise, wie sie mich im Stil einer Pubertierenden heruntergemacht hatte, zuerst gar nichts erzählen, aber Maria Anna ließ nicht locker. Sie verstand nicht, dass ich mit ihr gebrochen hatte und keinen Kontakt mehr wollte – „…weil es nichts bringt!“ „Was ist los?“ drängte sie mich solange bis ich ihr die Geschichte doch erzählte.

Mein zynischer Tonfall missfiel Maria Anna, je länger ich mich Details erging. Ich hob die Augenbrauen. Maria Anna nahm die Brille ab, putzte sie kurz und sah mich an. „Du weißt natürlich nichts, oder?“ Fragend griff ich nach einer Zigarette, aber ich kam nicht dazu sie anzuzünden, so unglaublich war das, was mir meine Ex-Kollegin zu sagen hatte. „Hannas Mann geht fremd“, traf mich Marias Antwort fast wie eine Ohrfeige. „Nein!“ widersprach ich. „Nicht Karl, das gibt’s doch nicht!“ Ich legte die Zigarette zur Seite und rang nach Worten. Das war fast, als hätte mir jemand weis zu machen versucht, die Sonne ginge im Norden auf. „Um Gottes Willen – seit wann denn?“ „Ein gutes Jahr etwa“, antwortete Maria Anna. Die Kellnerin fragte, ob wir noch etwas konsumieren wollten, und ich bestellte gleich einen weiteren Verlängerten, um mich von dem Schock zu erholen.

Ich dachte ein paar Minuten nach, versuchte mich an Karl zu erinnern. Der große, braunhaarige Provinz-Schönling, Waschbrettbauch, leicht ergraute Schläfen, die ihm so gut passten, dabei aber auch sehr arbeitsam in einer Schlosserei tätig, die Stütze seines Chefs, immer für seine Familie da. Hanna hatte mir seinerzeit erzählt, wie glücklich sie war, dass sie den „Vielbegehrten“ hatte „abschleppen“ dürfen und sie hatte es (bisher) nie bereut. Die Zwillinge Stefanie und Marco zeugten von dem Glück. Gemeinsam hatten die beiden ein Haus gebaut, waren praktisch schuldenfrei und wäre da nicht die verhängnisvolle Neigung Hannas gewesen, sich mit nichts auf Dauer zufrieden zu geben, hätte man die beiden beneiden müssen. Und jetzt ging Karl fremd, nicht erst seit kurzem, sondern schon länger, mehr als ein Jahr. Wenn solche Musterehen schon scheiterten – ich atmete tief ein. Auf meine Zigarette hatte ich vergessen, sie lag noch immer links von der Kaffeetasse. Maria Anna lächelte mich verstohlen an. „Weißt du was witzig ist an dir? Du hast nicht gefragt wer!“ Ich wollte gerade zu einer Antwort ausholen, dass mir das ziemlich egal sei, weil ich die Leute aus der kleinen Gemeinde, wo Hanna und ihr Mann leben, ja doch nicht kennen würde, als mich etwas in Maria Annas Gesichtsausdruck irritierte.

„Also wer?“ spielte ich den Ball zurück. Mit Sphinxblick, leicht nach rechts geneigtem Kopf nahm sie meine Hand und antwortete: „Halt dich gut fest, es unsere Ex-Chefin, Carola Berger.“ Wäre ich herzleidend gewesen, hätte ich jetzt wohl einen Infarkt erlitten. So kämpfte ich nur mit leichtem Schwindel und plötzlichen Kopfschmerzen und war nicht in der Lage, ein Wort zu artikulieren, was bei mir nicht besonders oft vorkommt. „Wie das?“ brachte ich schließlich doch heraus und dachte an den Herrn Provinzbürgermeister, der nicht das erste Mal in seiner nicht unkomplizierten Ehe einen Nebenbuhler hatte… Die kapriziöse Carola Berger, stets langes, schwarz gefärbtes Haar und Permanent-Makeup passte nicht in die Rolle der biederen dirndltragenden Bürgermeistersfrau. Ihr Mann hatte ihr die Firma nur deshalb zugestanden, um die Ehe zu retten, wir wussten das schon damals und ihre intensiven geschäftlichen Beziehungen zu einigen Vertretern von Reiseveranstaltern (sie hatte ja ein Reisebüro) waren uns natürlich auch aufgefallen. Und jetzt eben Karl, Hannas Mann. Im Haus der beiden war sie ein- und ausgegangen, auch nach der Kündigung von Hanna, aber nicht wegen Hanna sondern wegen deren Mann, wie mir jetzt klar wurde.

Meine Frage an Maria Anna war im Grunde rein rhetorisch gewesen. Gelegenheit macht Liebe, und ein fescher Mann war er schon, der Karl, zumindest für Provinzverhältnisse.

Maria Anna fuhr nach einer Weile mit Details der Geschichte fort. Das „G’spusi“ war anscheinend schon ins Laufen gekommen, als Hanna noch in der Firma von Carola Berger arbeitete und als beste Busenfreundin ihrer Chefin galt. Da Karl als geschickter Handwerker auch öfters verschiedene Arbeiten im Haus der Bergers erledigte, ergab sich so manche Gelegenheit zum Seitensprung. Aufgeflogen war die Sache, als die ahnungslose Hanna ihrem Mann einmal ins Haus der „Freundin“ nachgekommen war und die beiden in flagranti im Bad erwischt hatte… Hanna wollte sich zuerst scheiden lassen, aber da hätten beide das gemeinsame Haus verloren, darum „versuchten sie es noch einmal miteinander“, aber das außereheliche Verhältnis war anscheinend noch immer nicht ganz vorbei.

Mir war jetzt bewusst geworden, warum Hanna so aggressiv auf mein Schweigen reagiert worden. Ihre lächerlichen Beschimpfungen waren im Grunde nur ein Hilfeschrei gewesen, waren pure Verzweiflung, weil es um ihre Ehe so schlecht stand und noch immer steht. Genau genommen war sie auf ihren Mann wütend gewesen, sie fühlte sich zutiefst verzweifelt und gedemütigt, und vor allen Dingen hilflos. Es stand nicht in ihrer Macht, ihre Ehe zu retten, den Bruch zu kitten. Mit den Schreiben im Jänner an mich hatte sie sich nur abreagiert, sonst nichts. Auch nicht die feine englische Art, aber menschlich nachvollziehbar… Nachdenklich sah ich Maria Anna an und zündete nun doch meine Zigarette an. Die Kellnerin kam wieder an unseren Tisch und wir zahlten. Ich nahm einen letzten Schluck aus der Kaffeetasse und stand auf. Maria Anna legte ihre Hand auf meine Schulter. „Du siehst mitgenommen aus, soll ich dich heimbringen?“ Ich zuckte die Axeln. „Ich glaube, das ist nicht nötig. Ein wenig frische Luft wird mir gut tun… Tschüs, ich wünsch dir was!“

Draußen hing ich noch meinen Gedanken nach. Ist das die Zukunft der Ehe? Partnerwahl wie im Supermarkt, Menschen jederzeit austauschbar und ersetzbar nach Belieben? „…in guten wie in schlechten Tagen…?“ Wenn das so weitergeht, sehe ich für die Ehe schwarz… und die Kinder müssen es ausbaden. Was ist das für eine Gesellschaft in der jeder erotischen Versuchung erlegen wird? Klar, dass eine gewisse Anziehung zwischen zwei Menschen schnell mal rüberspringt, aber wenn hinter ein längeres außereheliches Verhältnis kein Schlussstrich gezogen wird, geht wieder eine Ehe in Streit, Leid und Tränen zugrunde, die einmal glücklich und schön war. Bei solchen Aussichten – wer will da noch heiraten?

Vivienne

 

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