DIE BUNTE WELT VON VIVIENNE
von Vivienne – Mai 2002
Ehrlich währt am längsten!! (????)
Was unsereins üblicherweise schon in der Kinderstube verordnet bekam, war die (mitunter) schmerzhafte Erziehung zur Ehrlichkeit. Du sollst nicht lügen! steht schon in der Bibel, Lügen haben kurze Beine! wehte uns um die Ohren und Pinocchio stand da als mahnendes Beispiel, was einem blühen konnte (zumindest als Kind!), wenn man es mit der Ehrlichkeit nicht ernst meinte. Im Erwachsenenalter sieht das anders aus. Jeder Mensch erzählt so seine größeren und kleineren Lügenmärchen, niemand ausgenommen. Der Charakter bestimmt halt nur die Anzahl und den Grad der Lüge, aber gelogen wird, was geht, Tag für Tag aufs Neue. Mit der Ehrlichkeit ist es nicht mehr weit her, in unserer Ellbogengesellschaft sind Anstand und Rückgrad nicht gefragt, auch wenn es in den Kindertagen noch anders lautete.
Haben Sie den Fall jener Frau mitbekommen, die beim Umtausch von Münzen auf der Bank den Betrag versehentlich in Euro und nicht in Schilling erhielt? Hand aufs Herz hätten Sie an ihrer Stelle das Geld zurückgegeben? Hätten Sie Mitgefühl mit dem Bankbeamten gehabt, der wohl unter der größten Anspannung seines Lebens litt bis das Geld zurückgegeben wurde? Hätten Sie sich gesagt: Ja, ich gebs zurück, ich wäre auch froh, wenn mir in ähnlicher Situation geholfen würde? Die Sache ist halt die: solche Bekundungen der eigenen Ehrlichkeit sind oft gar nicht so gefragt, ja, ganz im Gegenteil. Davon überzeugte mich meine Busenfreundin Viktoria kürzlich, als sie mit Bert die beiden wollen nächstes Jahr übrigens heiraten! 😉 bei uns zu Besuch war.
Viktoria hatte sich seit unserem letztem Treffen einen entzückenden Pagenkopf zugelegt, so wie Nicole Kidman im Video und Duett mit Robbie Williams. Während mein Ali und ihr Bert damit beschäftigt waren, unseren PC aufzurüsten und ein neues Modem anzuhängen, erzählte mir Vicky vom Umzug der beiden in die neue Wohnung. Bei Kaffee und Marmorkuchen verging eine gute Stunde und unserer Männer schwitzten, weil es Probleme gab, mit denen sie nicht gerechnet hatten. Ich erwähnte Viktoria gegenüber, wie der Verkäufer in dem Computergeschäft fünfzig Euro zuwenig herausgeben wollte und dass es eine heftige Diskussion lang gedauert hatte, bis Albert und ich zu unserem Geld kamen. Der Heini sah uns an, als wären wir Betrüger. Unglaublich, wie arrogant der Mensch war, regte ich mich nachträglich noch ein wenig auf. Dabei sollte er doch froh sein, dass er keinen Fehlbetrag in der Kasse hat.
Na, täusch dich da nicht, widersprach mir Vicky. Sie holte sich ein zuckerfreies Bonbon aus der Tasche. Vor fast einem halben Jahr hatte Vicky zu rauchen aufgehört und hielt sich seither an Zuckerl, Kaugummi, Gummibärli etc. Aus Solidarität rauchte ich nicht mehr neben ihr, ich musste aber zugeben, dass es mir nicht leicht fiel. Das Laster hatte auch mich fest im Griff. Vicky war also nicht meiner Meinung und fuhr fort: Hab ich dir erzählt, was mir passiert ist, als Bert und ich letzten Advent in Steyr waren? Ich hob die Augenbrauen fragend und blickte Vicky gespannt an. Nicht, dann pass auf. Viktoria schenkte sich noch eine Tasse Kaffee ein. Wir waren da in einem noblen Geschäft mit allerlei tollem Weihnachtsschmuck, -dekorationen, etc. Viel Handgemachtes, ich bin immer wieder gern dort. Aber die Preise sind auch dementsprechend.
Albert kam zum Tisch, schwitzend und etwas angespannt, und fragte mich, wo sich die Garantie und die Rechnung für das Modem befänden. Ich wollte ihn fragen, was los sei, aber er winkte ab und verschwand wieder im Nebenzimmer. Vicky grinste mich an und erzählte weiter. Bert und ich suchten uns ein paar herrliche, handbemalte Kugeln aus Glas aus. Schließlich zahlte ich, und ich kann mich genau erinnern, dass ich eintausend Schilling hinlegte. Bei der Kassa waren auch noch ein paar hübsche Sachen, die Bert und ich begutachten mussten. Die Verkäuferin drückte mir das Wechselgeld in die Hand, aber weder Bert noch ich waren wirklich bei der Sache. Das heißt, wir haben nicht nachgezählt oder sonst irgendetwas. Als wir etwa 20 Minuten in einem anderen Geschäft dann wieder bei der Kassa standen, fiel mir auf, dass ich noch immer zwei Tausender in der Geldbörse hatte genau wie bevor wir in dem feinen Geschäft mit dem Weihnachtsschmuck waren.
Vicky machte eine Pause. Ich hatte gerade wieder großes Bedürfnis nach einer Zigarette, wollte mir aber nichts anmerken lassen. Und? bohrte ich nach. Seid ihr zurückgegangen? Einen Moment kämpfte ich schon mit der Versuchung es bleiben zu lassen, gestand meine Freundin. Tausend Schilling haben und nicht haben… Aber Bert meinte, dass die Verkäuferin wohl eine Menge Schwierigkeiten bekommen würde, wenn 1000 Schilling in der Kassa fehlten. Vicky sah kurz mich nachdenklich an. Das gab dann den Ausschlag. Wir gingen also wieder zurück, war ja nicht weit. An der Kassa stand in der Zwischenzeit ein junges Mädchen und erkundigte sich freundlich nach unseren Wünschen. Und Bert fragte kurzerhand nach der Verkäuferin, die uns bedient hatte. Die Kollegin ging in einen Nebenraum und kam dann mit jener Frau zurück, die uns unwirsch ansah. Offenbar hatten wir sie in der Pause gestört.
Viktoria nahm einen Schluck aus der Kaffeetasse. Ich holte also die Banknote aus meiner Geldbörse und machte sie darauf aufmerksam, dass sie mir vorhin mit dem Wechselgeld auch den Geldschein, mit dem ich bezahlt hatte, zurückgegeben hatte. Und hielt ihr den Tausender hin. Sie lachte leise auf in der Erinnerung. Stell dir vor, die glotzt mich daraufhin an wie ein Frosch und sagt mir kalt ins Gesicht, ich müsse mich irren. Sie habe mir mit Sicherheit korrekt herausgegeben. Ich hob die Augenbrauen. Das ist doch nicht dein Ernst! widersprach ich. Ist die wirklich so blöd? Lass dir weitererzählen, entgegnete Vicky. Da gehts um ganz was anderes. Also sie bestritt, dass der Tausender in die Geschäftskasse gehörte. Eigentlich hätten wir uns daraufhin nur umdrehen brauchen und gehen können. Aber Bert diskutierte mit der Fuffi deswegen sicher fünf Minuten, und schließlich tauchte auch die Chefin auf. Der erzählten wir dann dasselbe.
Unsere Männer tauchten in der Tür auf und verkündeten, dass jetzt alles wie gewünscht laufen würde. Ich schickte sie auf eine Rauchpause, denn jetzt interessierte mich die Geschichte zum ersten Mal wirklich. Und deshalb wollte ich sie auch bis zum Schluss hören. Die Chefin veranlasste kurzerhand einen Kasssturz, der auch eine Weile dauerte. Gottseidank gabs eine zweite Kassa, so dass daneben der Betrieb im Geschäft weiterlaufen konnte. Ein Geschäftsbetrieb im Übrigen, der sich zu dem Zeitpunkt in Grenzen hielt. Wir haben also nicht gestört, bekräftigte Viktoria. Langer Rede, kurzer Sinn: ich hatte mich nicht geirrt. Der Tausender fehlte in der Kassa. Die Froschäugige glotze mich wieder an und sagte kein Wort während sie den Geldschein in die Kasse legte. Ihr wütender Blick teilte uns etwas mit, das ich in Richtung wie Schleichts euch! interpretierte. Die Besitzerin bemühte ein paar Floskeln, die wohl so etwas wie ein Dankeschön vortäuschen sollten, aber besonders freundlich oder hocherfreut wirkte sie auch nicht auf uns.
Ich schüttelte den Kopf. Kaum zu glauben. Normalerweise küsst dir jeder die Hand, wenn du ihm 1000 Schilling bringst, die ihm gehören. Ich versteh das nicht, absolut nicht. Viktoria gab mir recht. Normalerweise sicher. Aber…, hub sie an. Das war eine besonderer Fall. In diesem Fall nämlich haben wir eine ziemlich eingebildete Verkäuferin neben ihrer jungen Kollegin auf einen Fehler aufmerksam gemacht. Die konnte gar nicht zugeben, dass wir recht haben. Wer gibt schon gern einen groben Fehler zu? Außerdem war sie angefressen, weil wir sie in der Pause gestört haben. Majestätsbeleidigung, verstehst du? Trotzdem, war ich mit dieser Erklärung noch nicht zufrieden. Und dafür die Firma um 1000 Schilling schädigen? Ich glaub, dass in dem Geschäft sicher viel eingenommen wird, gerade vor hohen Feiertagen, aber trotzdem. Und die Chefin selbst war ja auch nicht gerade erbaut, dass ihr das Geld zurückgebracht habt.
Viktoria wusste auch darauf eine Antwort. Ich bin mir sicher, dass Madame Glupschauge den Fehlbetrag in der Kasse auf die kleine Kollegin abgeschoben hätte. Der traue ich das ohne weiteres zu: sie ist der Typ für selber Fehler machen und das dann jemand anderen ausbaden lassen. Gibt genug, die das so halten. Und der Besitzerin war die Geschichte einfach unangenehm, weil ein paar Kunden haben den Vorfall ja trotzdem mitgekriegt. Ist ja auch nicht unbedingt ein Renommé für ein Unternehmen. Ich hatte noch eine Bemerkung auf den Lippen, aber Albert und Bert holten uns in den Nebenraum und führten uns den rundum erneuerten PC vor. Und am Computer ging es dann um andere Themen, der Blechkasten übernahm also das Kommando.
Der Fall, den ich ihnen jetzt erzählt habe, ist sicher nicht die Norm. Sehr viel öfter kommt es vor, dass die Leute zuwenig Geld herausbekommen und es gar nicht merken oder zuviel Geld, und sich keine Gedanken machen, ob sie es zurückgeben sollen sie behalten es einfach. Ehrlich sein heißt in unserer Gesellschaft oft auch der Dümmere sein. Du kommst besser durchs Leben, wenn du nur auf dich und deinen Vorteil schaust. Und bei Fehlern lass dich erst gar nicht ertappen! Schieb sie auf andere ab oder bestreite alles! Lügen habe kurze Beine? Manchmal möchte man meinen, dass Lügen für Karriere oder den persönlichen Vorteil wie ein frisierter Turbomotor wirken!
Vivienne
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