Neue Bohnen Zeitung


von Vivienne  –  Februar 2005


Die Tragödie um Michael Jackson

Auch Grippeattacken können es nicht mehr verhindern: die letzten Geschworenen im geplanten Prozess gegen den einstigen Megastar Michael Jackson wurden in einem komplizierten Ausleseverfahren ausgewählt. Und der größte Popsänger der 80er Jahre sieht sich dabei nicht nur einer Phalanx von Weißen gegenüber, er steht auch in der Öffentlichkeit schwer unter Beschuss. Die Meinungen sind geteilt, wie zuletzt im Prozess gegen O. J. Simpson, wie ein Journalist treffend verglich. Unermüdliche Fans halten ihrem Idol Jackson weiter die Treue, daneben mehren sich aber auch die Stimmen gegen ihn. 

Ich habe lange überlegt, wieder etwas im Fall Michael Jackson zu schreiben. Bei meinem letzten Beitrag über den einstmals farbigen Entertainer (Der Superstar, der nie Kind sein durfte) wurde ich von einem Leser im alten Forum auf’s Heftigste attackiert, der mir fast seitenlang Unsachlichkeit und Unseriosität in der Causa vorwarf. Punkt ist, das möchte ich mit Nachdruck betonen, dass all das nicht zutrifft. Ich schilderte meine persönlichen Eindrücke und Impressionen, vermischt mit meinen eigenen Erinnerungen an den Superstar, dessen Fan ich vor vielen Jahren einmal gewesen war. Einen derartigen Fall ohne Beeinflussung durch Medien oder öffentliche Meinung zu behandeln ist gerade bei einem Prominenten fast nicht möglich, dennoch möchte ich auch im Nachhinein noch einmal festhalten:

Wenn es nicht möglich ist, bei jemanden wie Jackson zu schreiben, wie man über die Sachlage denkt, dann darf man überhaupt nichts mehr zu Papier bringen – vom kleinsten Unfall über den Überfall in der Bank bis hin zum politischen Skandal. Und dann erübrigt sich auch jede Meinungs- und Medienfreiheit. Aber zurück zu Jackson selbst: Er war einer der größten, hat aber spätestens Mitte der 90er Jahre zusehends Terrain an die neuen, jungen Stars verloren. Sein letztes Album floppte, schlug sich aber auch unter seinem Wert – Jacko war einfach nicht mehr angesagt. Die Frage, die sich vermutlich die meisten US-Amerikaner dieser Tage stellen, ist wohl, ob Jackson, der im Grunde nur mehr wie ein Schatten seiner selbst wirkt, tatsächlich Kinder missbraucht hat.

Der Popstar hatte selber eine sehr triste Kindheit hinter sich. Sein ehrgeiziger wie brutaler Vater prügelte seine Söhne zum Erfolg, dem Vernehmen nach soll er seinen Nachwuchs aber nicht nur sehr hart angefasst sondern auch sexuell missbraucht haben. Jackson durfte nie Kind sein (wie er in seinem berührenden Song „Have you seen my childhood?“ beschreibt), er hatte auch nie eine Chance, seine geknechtete Seele zu therapieren oder vom großen Erfolgszwang einmal eine Pause einzulegen. Meiner Meinung nach hat sich Michael nie wirklich zum Erwachsenen entwickeln können, und eine richtige zwischenmenschliche Beziehung zu einer Frau einzugehen dürfte er auch nie gelernt haben. Er war schwer verliebt in seine mütterlichen Freundinnen Liz Taylor und Diana Ross, hatte aber mit seiner ersten Ehefrau, Lisa-Marie Presley, anscheinend nie Sex.

So gesehen stellt sich nicht nur mir die Frage, auf welche Weise Jackson später Vater geworden ist. Ich habe meine Zweifel, dass seine Kinder auf natürliche Weise gezeugt wurden, ich bin mir nicht einmal sicher, ob er überhaupt der leibliche Vater ist. Unübersehbar ist nur: Jackson wollte Kinder, um jeden Preis, und für sein jüngstes Kind hat er nicht einmal eine Mutter genannt oder vorgestellt. Kinder – darum drehte sich immer schon Jacksons Denken, wenn man Filme und Videos etwa aus den 80er Jahren unter die Lupe nimmt. Jackson ist dabei oft der große Retter und Beschützer von Kindern, der, den er selber nie hatte vor seinem brutalen Vater.

Ein Bekannter von mir hat eine ganz eigene aber nicht uninteressante These zu Jacksons (angeblichem?) Kindesmissbrauch aufgestellt. Er meint, dass diese Übergriffe nur Ausdruck von dessen übergroßen Liebe wären, seine Art und Weise, sich ihnen zu öffnen und seine Gefühle zu offenbaren. Wenn das zutrifft, wäre Jackson zwar sicher trotzdem zu weit gegangen, trotzdem würde sich für die Rechtssprechung eine immens wichtige Frage aufwerfen: wäre er in dem Fall schuldfähig? Könnte er überhaupt begreifen, was er den Kindern angetan hat? Jenen  Kindern, die er im Grunde so liebt und denen er nie gezielt wehtun könnte? Schwer zu sagen, ich bin kein Jurist. Aber angesichts dieser Überlegungen kann man Mitgefühl für diesen Menschen mit dem durch Operationen grausam entstellten Gesicht trotzdem nicht verhehlen. Ein weiterer Beweis übrigens für den Aufschrei einer Seele, die um Liebe und Anerkennung heischt…

Ob die Theorie meines Bekannten zutreffen könnte, vermag ich nicht zu beurteilen. Und zweifellos werden sich die Meinungen auch dann noch polarisieren, wenn dieser Prozess einmal ein Ende gefunden hat. Von Unschuldsbekundungen über Vorverurteilung bis Verdammung geht jetzt schon die Bandbreite. Jacksons Karriere dürfte so oder so beendet sein – auch O. J. Simpson wurde in einem mediengeprägten Prozess vom Verdacht des Mordes an seiner Frau freigesprochen, aber seine recht erfolgreiche Karriere als Schauspieler ging den Bach hinunter. Jackson selber dürfte das aber kaum mehr kümmern, er lebt ohnedies in einer eigenen Welt…

Vivienne

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