Neue Bohnen Zeitung


von Vivienne  –  September 2004



Über glühende Kohlen und Glasscherben

Dieser Tage machte ein „Betriebsunfall“ bei einer Art Motivationstraining in der oberösterreichischen Provinz dicke Schlagzeilen. Nicht weniger als sieben (!) Teilnehmer mussten nämlich den Versuch, barfuß über glühende Kohlen zu laufen, mit starken Verbrennungen und Folgekrankenstand bezahlen. Nachdem die Sache ruchbar geworden war gab es jede Menge Mutmaßungen über die Gründe. Kollegen des Trainers tippten teilweise auf  das falsche Brennmaterial (Koks statt Holzkohle, die weit „kühler“ abbrennt). Der Unglücksrabe von Motivationsheini selber glaubt an eine Art Massen-Black-Out, weil eines der Opfer sich verbrannte, verloren wohl auch die anderen den Glauben an ihre Fähigkeiten.

Wie auch immer: Der gute Mann muss jetzt ernsthaft um sein Klientel bangen, denn wer holt sich schon gerne freiwillig Brandwunden bei einer Mutprobe? Ich selber musste bei der Geschichte an meine Zeit beim österreichischen Vertriebspartner des vor Jahren umjubelten Motivationstrainers Jürgen Höller denken und ich darf Ihnen gestehen, dass ich zwar nicht über glühende Kohlen aber immerhin über Glasscherben gelaufen bin. Die Zeit war sehr lehrreich, denn Höller war ein Menschenverachter großen Stils, der es schaffte, einzelne Fans teilweise so sehr zu brüskieren, dass sie ihm binnen einer halben Stunde von einem Dreitages-Seminar davonliefen. Hochmut kommt vor dem Fall, und auch Höllers Fiasko und spätere Haftstrafe warfen schon früh ihren Schatten voraus.

Bei einem von Höllers Lizenzträgern passierte vor über vier Jahren ein ähnlicher Unfall, der damals allerdings kaum Schlagzeilen machte. Eine junge Frau zerschnitt sich beim Lauf über die Glasscherben die Fußsohlen und musste erstversorgt, genäht und verarztet werden. Mir ist damals erst bewusst geworden, welches Glück ich selber gehabt hatte und muss einräumen, dass ich heute mein Kunststück sicher nicht mehr wiederholen würde. Obwohl ich sehr wohl weiß, dass die Tricks von Höller und Konsorten gar nicht so übel waren, wenn es darum ging, derartige Unfälle zu vermeiden. Können Sie sich vorstellen, liebe Leser, dass die Glasscherben vorher abgekocht werden, damit sie nicht so scharfkantig sind?

Im Falle der Bekannten, von der ich weiter oben erzählte, wurde das vielleicht übersehen, vielleicht hatte die junge Frau auch einfach Pech. Es zeigt auf jeden Fall, dass die Motivationsheinis fast durchwegs Schlitzohren sind, die gerne statt mit Sein mit Schein arbeiten. Was auch an Hand eines Bretts sichtbar wurde, dass alle Seminarteilnehmer eines Höller-Seminars durchschlagen sollten. Auch mir gelang das, weil bewusst sehr weiches Holz für die Bretter ausgewählt wurde und ich mich selber davon überzeugen konnte, dass es bei einiger Kraft (=Widerstand) des Bretthalters nicht wirklich schwierig war, dieses mit einer gewissen Technik in zwei Teile zu brechen.

Viel heiße Luft in diesen Seminaren, ob nun „Tschakka-Rufe“ oder gängige, rhythmische Popsongs angesagt waren. Motivation ist zweifellos an sich eine gute Sache, aber man kann seine Kräfte und sein Wissen nicht immer nur steigern und in der Freizeit Hörbücher zum Lernen nutzen oder sich in jeder freien Minute auf das Lesen eines Buches zu konzentrieren ist einfach nicht jedermanns Sache. Ich selber lese, wenn ich lesen möchte und nicht, wenn ich es mir vornehme, denn Lesen soll Genuss und keine Pflichtübung für mich darstellen. Dass Höller selber nach dem Bibelzitat „Wasser predigen, Wein trinken“ lebte und wirkte (können Sie übrigens im Beitrag „Motivation, Motivation“ nachlesen), wurde ihm letztlich auch zum Verhängnis und brachte ihn ins Gefängnis.

Alles in allem würde ich seine Thesen als sehr fragwürdig beschreiben und vor allem längerfristig nicht realisierbar. Der Mensch ist ein Individuum und lässt sich auf Dauer nicht nach Belieben konditionieren und „kraft des Willens und kraft des Geistes“ kann man weder jede Person noch die Welt selber ummodeln. Daher mussten diese Spezies auch anfangen, kleinere Brötchen zu backen. Klingende Namen tauchen in den letzten Jahren nicht mehr wirklich auf und Vorfälle wie jener vor ein paar Tagen ramponieren das angekratzte Image weiter. Ein Ziel kann man sich auch selber setzen, wenn man will – und wenn die Zeit dafür reif ist. Nichts läst sich besser und eindrucksvoller realisieren als all das, von dem man selber überzeugt ist!

Vivienne

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