von Vivienne – Jänner 2004
Dave
Jede Form der Demokratie ist im Grunde so gedacht, dass der ihr vorstehende Präsident oder Kanzler und die Mitglieder der Regierung im Grunde genommen Diener des Staates und seiner Bürger sind (lateinsch: ministere = dienen). Und in erste Linie auch beauftragt sind, deren Interessen zu vertreten und zu bewahren. In der Realität sieht es anders aus. Der Wähler ist nur Mittel zum Zweck, wird manipuliert um das gewünschte Wahlergebnis zu erreichen und danach wird an ihm vorbeiregiert. Es sind die Interessen der Politiker, die verfolgt werden, nicht die des kleinen Mannes (oder die der kleinen Frau). Es lebe die Aufrüstung, es lebe der Krieg, es lebe die Eroberung des Weltraumes! Soziale Probleme wie Arbeitslosigkeit und echtes Leid haben niedrige Priorität.
Manchmal träumt Hollywood, und als es im Jahre 1993 träumte, schuf es eine Welt wie die USA sein könnte. An der Spitze ein Mann, der wirklich noch ein soziales Gewissen hat, dem die Menschen mit ihren Schwierigkeiten ein Anliegen sind. Und sein Name ist Dave… Begeben wir uns also in ein fiktives Washington mit einem Präsidenten, der Bill Mitchell heißt und leichte Züge von Bill Clinton zeigt, nicht nur im Namen. Mitchell ist ein notorischer Fremdgänger und hat welch ein Zufall ein Verhältnis mit seiner Sekretärin. Um die nächtlichen Ausflüge vor der Öffentlichkeit verschleiern zu können, braucht Mitchell ein Double.
Seine Leute haben mit ihrer Suche schnell Erfolg: Sie machen Dave ausfindig. Hauptberuflich leitet Dave mit viel Herz und Engagement eine Jobvermittlung. Nebenberuflich ist er bei kleinen Veranstaltungen schon als Doppelgänger des Präsidenten aufgetreten. Und Dave ist auch diesem neuen Job nicht abgeneigt. Fast wie ein Kind und spielerisch geht er seinen ersten Arbeitstag an. Und er ist wirklich gut, niemand merkt den Unterschied. Doch aus diesem Spaß wird Ernst, als Mitchell bei seiner Geliebten einen schlimmen Schlaganfall erleidet. Mit wenig Chancen, wieder aus dem Koma zu erwachen. Für Stabchef Bob Alexander kommt dieser Vorfall im schlechtesten Augenblick.
Er selber möchte gerne Präsident werden, doch dazu muss vorher der Vizepräsident, ein loyaler und integrer Mann abgeschossen werden, damit er, in dessen Position nachgerückt, den todkranken Präsidenten ersetzen kann. Also wird improvisiert. Und Dave muss seine Rolle weiter spielen für nicht absehbare Zeit. Da die Ehe des Präsidenten wegen seiner vielen Affären zerrüttet ist, scheint dies aber nicht all zu schwer zu sein. Doch der First Lady wird relativ schnell klar, dass dieser Präsident nichts mit ihrem Mann gemein hat. Nicht nur weil sie ihn einmal in der Dusche überrascht, sondern auch, weil er echtes Interesse für ihre sozialen Anliegen zeigt.
Dave kann seine wahre Identität also vor der Präsidentengattin nicht geheim halten, doch sie entscheidet schließlich, den gigantischen Betrug nicht aufzudecken sondern Dave zu unterstützen, den Weg für ein menschlicheres Amerika zu bereiten. Stabchef Bob Alexander rotiert, kann aber nicht verhindern, dass ihn Dave zwingt, zurückzutreten. Doch Alexander gibt noch lange nicht auf. Er benutzt die Sparkassen-Affaire, mit der er ursprünglich den Vizepräsidenten zum Rücktritt zwingen wollte, um das Feuer auch auf den Präsidenten und damit Dave zu eröffnen. Und dessen Karten stehen schlecht, denn Mitchell hat wirklich mehrmals interveniert in der Causa, während der Vizepräsident völlig schuldlos ist.
Dave entscheidet sich zu einem mutigen Schritt. In einer Einberufung von allen Mitgliedern von Kongress und Abgeordnetenhaus bekennt er sich schuldig in der Sparkassen-Affaire, stellt aber auch klar, dass der Vizepräsident nie in die Angelegenheit verwickelt war und belegt seinerseits, dass Bob Alexander selber der Drahtzieher des Ganzen war. Alexanders Plan erweist sich als Eigentor, aber Dave selber legt das Amt aus seinen Händen. Er täuscht seinerseits einen Schlaganfall vor und verlässt das Weiße Haus wieder. Nach dem Tod des echten Präsidenten übernimmt der Vizepräsident das Amt, um Bill Mitchells Weg fortzuführen…
Dave kehrt wieder in sein altes Leben zurück, doch trotzdem hat sich für ihn viel geändert. Und er will selber in die Politik gehen, weil er erkannt hat, dass man nur dann etwas ändern kann, wenn man bei sich selber anfängt, im Kleinen. Und schließlich kommt auch die keusche Liebegeschichte mit der ehemaligen First Lady noch zu einem guten Ende, denn sie kommt in sein Team, das ihn für seine erste kleine Wahl unterstützt und damit auch wieder zu ihm.
In der Tat ein wunderschönes Märchen, nicht sehr realistisch aber warmherzig inszeniert, damit man das (Patschen-)Kino mit einem guten, mit einem positiven Gefühl verlassen kann. Und das liegt zumindest meiner Meinung nach – speziell an Kevin Kline, meinem Lieblingsschauspieler, über den ich wohl seitenlang schreiben könnte ohne mich zu wiederholen. Kline ist ein exzellenter Schauspieler, der die ganze Bandbreite der Charaktere überzeugend rüberbringt: er kann in seinen Filmen laut bis derb sein und er überzeugte auch schon in einer Shakespear-Rolle. In Dave besticht er speziell mit leisen Tönen, mit Herz, mit Pathos und mit seinen Visionen I have a dream… Mag sein, dass dem einen oder anderen dieser typisch amerikanische Gefühlsüberschwang nicht unbedingt liegt, aber ich finde Kevin Kline bringt das nicht schmalztriefend sondern einfach sehr ehrlich rüber.
Mit seinem hinreißenden, fast bubenhaften Charme hat er es nicht schwer, das Herz der First Lady, Sigourney Weaver, zu erobern. Weaver zeichnet die Präsidentengattin sehr klar: eine frustrierte, vom Leben enttäuschte Frau, die für ihren Mann alles aufgegeben hat. Auch den Wunsch nach eigenen Kindern… Sie repräsentiert perfekt nach außen, dabei lebt sie ihr eigenes Leben und sucht Erfüllung in ihrem Engagement. Für die Liebe scheint kein Platz mehr zu sein, bis sie Dave kennen lernt. Und die beiden geben wirklich ein schönes Paar ab.
Unter den anderen Schauspielern möchte ich noch Oscar-Preisträger Ben Kingsley in der Rolle des Vizepräsidenten hervorheben. Sein Part ist nicht sehr groß, aber nicht unwesentlich, da er Dave in einer Schlüsselszene den späteren Weg in die Politik weist. Kingsley ist ein großartiger Schauspieler, mehr kann man nicht dazu sagen, und er gibt auch dieser Rolle sehr viel Gewicht. Der Film wurde auch in Details sehr realistisch inszeniert, die Kommentare im Fernsehen etwa wurden von realen Journalisten bzw. Politologen übernommen, was Dave ungemein lebendig macht.
Ein Film, den man immer wieder sehen kann siehe oben: das warme Gefühl stellt sich jedes Mal wieder ein!
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