von Vivienne – September 2004
Der Krebsheiler
Geerd Hamer, umstrittener Krebsheiler aus deutschen Landen, geistert wieder durch die Schlagzeilen der Gazetten. In Österreich und Deutschland hat der Mann ohnedies schon Praktizierverbot, trotzdem ist es immer wieder tragisch, für wie viele schwer kranke Menschen der Mann noch immer eine scheinbar reelle Hoffnung darstellt. Sie, liebe Leser, erinnern sich sicher an den Fall des Mädchens Olivia, das aufgrund des blinden Glaubens seiner Eltern an die Heilung kraft des Geistes und der positiven Einstellung beinahe elend gestorben wäre. Um den Fall noch einmal zu rekapitulieren: Bei Olivia wurde 1995 an der Niere ein Wilmstumor diagnostiziert, eine Chemotherapie wäre nötig geworden, die die Eltern ihrer Tochter aber ersparen wollten.
Hamer hatte ihnen nämlich versichert, das Mädchen könnte durch seine Selbstheilungskräfte geheilt werden. Die Familie floh sogar aus Österreich, da die Verweigerung der medizinischen Hilfe für die Kleine die Justiz auf den Plan rief. Unvergessen die Bilder des mageren, von der Krankheit gezeichneten Mädchens mit Riesenbauch. Der Tumor hatte mittlerweile die Leber befallen, wucherte im Unterleib und hatte Metastasen in die Lunge gesandt. Schließlich gaben die Eltern doch nach, kehrten nach Österreich zurück und Olivia wurde gerettet. Mit dem Preis eines Lebens ohne eigene Kinder, denn dem Mädchen musste damals auch die Gebärmutter entfernt werden. Die Niere wurde ebenfalls entnommen, die anderen Organe durch Chemotherapie krebsfrei gemacht.
Hamer brüstete sich danach in völliger Verkennung der Situation, durch seine Therapie wäre das Mädchen überhaupt erst in der Lage gewesen, die schweren Behandlungen im Spital zu überstehen. Es scheint immer wieder, dass dem Deutschen der Realitätssinn völlig abhanden gekommen ist. Vor Jahren verfolgte ich im Fernsehen einen Bericht, in dem ein Vater erschüttert von seiner Tochter erzählte, die weniger ein Opfer ihrer Krankheit als vielmehr des selbsternannten Wunderheilers geworden war. Leukämiekrank hatte die junge Frau jede Behandlung verweigert, weil sie sich von Hamers konstruierten Theorien blenden ließ und an eine völlige Gesundung ohne Hilfe der Schulmedizin glaubte. Zwei gesunde Kinder brachte sie während ihrer Krankheit zur Welt, bei der letzten Geburt war sie schon so geschwächt, dass ihre Krankheit umso stärker fortschreiten konnte.
Schließlich füllte die Milz schon ihren ganzen Bauchraum aus und erst kurz vor ihrem Tod mag die junge Frau endlich begriffen haben, dass sie ihr Leben für nichts fortgeworfen hat. Theorien, dass man eine Krankheit wie Krebs durch positives Denken leichter besiegen kann, existierten schon immer. Hamer ist mit Sicherheit nicht der erste, der dieses komplexe Thema aufgegriffen hat, aber kaum einer hat wohl den ihm blind vertrauenden Menschen mehr Schaden zugefügt als er selber. Dabei baut der Deutsche durchaus noch auf Anhänger, die Stein und Bein auf ihn schwören. Viel mehr Leute mussten allerdings in der Zwischenzeit begreifen, dass die Heilung einer Krankheit wie Krebs kraft positiver Energie nicht jedem gelingt, ja, einfach nicht gelingen kann, weil nicht jeder gleich denkt, gleich fühlt und gleich damit umgehen kann.
In einer Sendung im ORF vor einiger Zeit wurden so genannte Wunderheilungen zur Sprache gebracht und kritisch beleuchtet. Einige interessante Aspekte ergaben sich da für mich. Immer wieder wurde in dem Zusammenhang auf Menschen hingewiesen, die ihrer Krebserkrankung überaus positiv gegenüber standen und über weite Strecken des Krankheitsverlaufes ihren Optimismus nicht aufgaben. Was aber letztlich nichts daran änderte, dass sie den Kampf mit der schweren Krankheit trotzdem verloren. Selbstheilungskräfte sind es, die dem Menschen bei so einer Krankheit beistehen und diese Selbstheilungskräfte sind es auch, die bei dem einen die Krankheit positiv beeinflussen können. Aber sie sind nicht jedem Menschen gleich gegeben. So wie der eine besser kopfrechnen kann, ist der andere eben in der Lage, schwere Krankheiten leichter zu besiegen.
Im Grunde ist es eine Farce, wenn Wunderheiler wie Gerd Hamer behaupten, man könnte Krebs oder andere schwere Erkrankungen nur kraft seines Geistes besiegen. Mehr als das, im Grunde ist es eine bodenlose Frechheit, weil womöglich jemand, der ihm vertraut, auch noch Schuldgefühle bekommt, wenn seine Krankheit weiter fortschreitet oder sich nicht heilen lässt. Vielleicht findet die Medizin irgendwann tatsächlich einmal Mittel und Wege die Selbstheilungsprozesse jedes Menschen maximal zu optimieren, aber im Moment sind wir noch weit davon entfernt. Gäbe es nicht immer wieder Probleme mit unserer medizinischen Versorgung auf Skandale aller Art habe ich in anderen Beiträgen schon hingewiesen würden die Leute nicht ständig in Scharen zu Betrügern wie Hamer pilgern und sich ihnen ausliefern.
Und leider auch ihre Kinder oder sonstigen Anverwandten. Wer selber so einen Schritt riskiert, muss diese Entscheidung nur vor sich selbst verantworten. Wer aber einen lieben Menschen oder sein Kind so einem Wunderheiler überlässt, ist kaum besser als ein Mörder, wage ich zu behaupten. Ob Olivias Eltern ihren Schritt jemals bereut haben, vermag ich nicht einzuschätzen. Für kurze Zeit verloren sie 1996 die Vormundschaft für ihre Tochter, aber ob die Gehirnwäsche durch den überzeugenden Deutschen nicht noch immer im Hinterkopf präsent ist, hat sich für mich nie geklärt. Klingt ja auch wunderbar: Ich kann ihrem Kind die Chemotherapie ersparen! Sicher, aber nur um den Preis von dessen Leben
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