Meine Kollegin Hannelore zündete sich im Aufenthaltsraum eine Zigarette an und inhalierte tief. Wir saßen in der Mittagspause an einem der einfachen Tische. Während ich eine Gemüsesuppe (aus dem Packerl) löffelte, ließ Hannelore noch einmal ihre Geschichte Revue passieren… „Ja, es ist aus und es ist gut, dass ich es beendet habe. Arg ist nur, dass Werners Mutter meine einzige und gleichzeitig größte Rivalin war…“ Sie seufzte. „Mit fast 35 sollte ein Mann schließlich wissen, wo er hin gehört. Und vor allen Dingen müsste ihm bewusst sein, dass er mit mir lebt und nicht mit seiner Mutter…“ Ich beobachtete Hannelore und die Bitterkeit ihrer Stimme bewies mir, dass sie noch nicht völlig über ihre gescheiterte Beziehung zu diesem Werner hinweg war. Also klopfte ich ihr auf die Schulter. „Sei doch froh, dass es vorbei ist. Du wolltest ihn im Juli heiraten und hättest dich nur mit diesem Drachen herumschlagen müssen. Sie wollte dir doch sogar vorschreiben, welches Hochzeitskleid du zu tragen hast. Das wäre ja noch schöner, meine ich!“ Ich lächelte sie aufmunternd an, aber Hannelore sah eher so aus, als würde sie gleich in Tränen ausbrechen.
„Stell dir vor!“ Hannelores Stimme zitterte ein wenig bei der Antwort. „Und all das hätte ich mir beinahe gefallen lassen. Wegen Werner, wegen dieses Hampelmanns.“ Sie wischte eine Träne aus dem Auge. „Ja, Werner. Von diesem Mann wollte ich ein Kind. Vielleicht auch zwei. Unerträglich die Vorstellung, dass Werners Mutter bei der Erziehung ständig ein Wort mitgeredet hätte – oder besser gesagt viele Wörter…!“ Sie dämpfte ihre Zigarette halb geraucht aus. „Wie konnte ich es nur so lange mit ihm aushalten?“ fragte sie mehr sich selbst. Ich schob den leeren Suppenteller von mir. Ehrlich gesagt wusste ich auch nicht, was Hannelore an Werner für einen Narren gefressen hatte. Der Mann sah zweifellos gut aus, aber wenn man in seinem Alter für alle wichtigen Entscheidungen noch Ratschläge und Tipps bei Mama einholt, dann läuft etwas falsch. Mich wunderte ja ehrlich gesagt, dass Werners Mama Hannelore überhaupt als Freundin ihres einzigen Sohnes akzeptiert hatte. Aber vielleicht hatte sie geglaubt, sie würde die junge Frau schon biegen – und manches hatte in der Tat darauf hingewiesen. Es hatte mich selber erstaunt, dass die bisher eher unbedarfte Hannelore die Zügel in die Hand genommen hatte: nämlich den Verlobungsring zurückgegeben und die Hochzeit abgesagt hatte…
Hannelore zündete sich noch eine Zigarette an. Ich hatte mir einen Kaffee vom Automaten geholt und blickte auf die Uhr – noch fast eine Viertelstunde Mittagspause! Meine Kollegin sah an mir vorbei durch das Fenster. „Dabei habe ich immer getan was er wollte – und das war letztlich das, was sie wollte, diese bösartige, alte Frau. Ich färbte mir die Haare nicht mehr, ich ließ sie mir wachsen – ich bin eine Idiotin gewesen.“ Ich grinste verhalten. Hannelore hatte nach dem Ende der Beziehung sofort ihre Haare schneiden und färben lassen. Und die kurzen, jetzt wieder rötlich gelockten Haare standen ihr auch weit besser als das langweilige Aschblond, zu dem sie ihr Verlobter und dessen Mutter genötigt hatten. „Weißt du, Vivi,…“ nahm Hannelore wieder den Faden auf. „Eigentlich fühle ich mich endlich wieder frei. Ich tue was ich will, ich lasse mir nichts mehr vorschreiben, weil es Werners Mutter verlangt. Aber…“ Und dann blitzten wieder Tränen in ihren Augen. „Ich habe Werner wirklich geliebt. Es ist nicht einfach sich emotional zu lösen, das wird dauern…“
Fast bewunderte ich Hannelore für ihre Worte. Vor einem halben Jahr hätte ich ihr diesen Schritt nicht zugetraut. Und die Erkenntnis, dass es nicht besser wird in einer Beziehung, wenn man um des lieben Friedens Willen alles aufgibt, was einem lieb und teuer ist. Sie gefiel mir wieder besser, ehrlich gesagt, besser denn je, und die positiven Veränderungen würden sie am Ende an dieser üblen Geschichte reifen lassen. Sie hatte genau das Richtige getan, auch wenn Mutter und Sohn sich jetzt das Maul über sie zerreißen würden. Wegen der gecancelten Hochzeit, wegen des bestellten Hochzeitskleides und wegen der Hochzeitsgäste, die teilweise schon eingeladen worden waren. Hannelore zupfte ihre Haare zurecht. Dann schmunzelte sie. „Ich hätte gerne ihr dummes Gesicht gesehen, als Werner ihr gesagt hat, dass ich ihn verlassen habe. Aber man kann nicht alles haben…!“
„Hat sich Werner eigentlich noch einmal bei dir gemeldet?“ wollte ich wissen. Hannelore zuckte die Achseln. „Ich weiß es nicht. Ich habe mir bald danach von meinem Handyanbieter eine andere Sim-Karte mit neuer Rufnummer geholt. Man hatte dort viel Verständnis für mich…“ Ich musste zugeben, dass ich Hannelore tatsächlich nicht so viel Konsequenz zugetraut hätte. Manch andere hätte vielleicht nur halbherzig die Beziehung beendet und sich danach bitten und beknieen lassen wieder zurück zukehren. Vielleicht hatte Hannelore aber einfach schon gespürt, dass Werner nicht der Richtige war und vielleicht lag es letztlich nicht nur an seiner Mutter, die überall mitreden und mitentscheiden musste… Wir standen schließlich auf und kehrten ins Büro zurück. Mir gingen noch ein paar Gedanken durch den Kopf. Meine Kollegin hatte nach über dreieinhalb Jahren endlich begriffen, dass sie etwas Besseres verdient hatte als einen Mann, für den Mama immer die Beste sein würde. Wie sehr sie auch um ihn kämpfte. Und an dieser Tatsache würde wohl die Liebe jeder Frau zerschellen, die sich den gut aussehenden Werner in den Kopf gesetzt hatte – jetzt, und bestimmt auch in der Zukunft…
Vivienne/Gedankensplitter