Pfingsten. Gebannt verfolgte Ali Sonntagabend wieder einmal die Ziehung der Lottomillionen. Der x-te Mehrfach-Jackpot in wenigen Wochen ließ seinen Puls schneller schlagen und brachte sein Blut in Wallung. Minuten später wirkte das Gesicht meines Mannes allerdings etwas verkniffen, er zerknüllte den Lottoschein und entsorgte ihn im Altpapier. Ich beobachtete ihn mit leiser Schadenfreude, sage aber kein Wort sondern schrieb meine Email weiter. Dieses Bild eben hatte sich in der letzten Zeit mehrfach wiederholt, außer einem Dreier vor zwei Wochen hatte nichts Alis regelmäßige Enttäuschung durchbrochen… Die Nachrichten begannen, und ich holte mir ein Glas Saft. Ali hatte sich wieder gefangen, er meinte, er würde morgen zu seinem Vater fahren und wieder an seinem Cabrio herumbasteln. Gut, dachte ich mir, soll er nur seinen Frust konstruktiv verarbeiten und auf andere Gedanken kommen. Was war denn schon passiert? Mein Mann hatte ein paar Euro in den Sand gesetzt, nicht umsonst nannte man das Glücksspiel auch Deppensteuer, und das war nun wirklich kein Malheur, oder?
Später nahm James Bond wieder seinen Kampf gegen die Bösewichte dieser Welt auf. Während Ali gebannt die Handlung verfolgte, ging ich ins Bad um zu duschen und mir die Haare zu waschen. Gut, ich verstand schon, warum Ali glaubte, sein Glück mit Brachialgewalt aktivieren zu müssen. Sein Auto würde das nächste Pickerl nicht bekommen, das stand fest und er musste sich einen neuen Wagen zulegen. Allerdings war bei uns nach dem Kauf des neuen Schlafzimmers vor drei Monaten Ebbe in der Kasse, und nun dachte Ali, er könne das Glück zwingen um einen netten, gebrauchten Wagen zu erwerben. An einen Neukauf war ohnehin nicht zu denken, aber so 7-8.000 € hätten zunächst einmal diese eine Sorge verblassen lassen… Allerdings waren die Zahlen Ali nicht hold, ganz im Gegenteil. In den letzten Wochen hatte er für seine Lotto-Tipps weit mehr Geld ausgegeben als er durch den einen Dreier hereinbekommen hatte. Nein, Ali und ich, wir mussten uns etwas anderes überlegen um das Geld für ein neues Auto aufzutreiben. Mir war das längst klar, aber Ali wollte diese Tatsache noch nicht wirklich wahr haben. Andererseits: ich war mir sicher, die Erkenntnis würde nicht mehr lange auf sich warten lassen…
Nach dem Mittagessen am nächsten Tag fuhr Ali zu seinen Eltern und ich machte mich zu einem Stadtbummel auf. An sich hatte ich Vicky auf einen Tratsch treffen wollen, aber Junior war krank geworden, also flanierte ich allein durch die Straßen. Lottomillionen! Ich schüttelte den Kopf. Was würden wir wirklich mit so viel Geld anfangen? Würde ein Jackpot nicht mehr Sorgen bereiten als Freude und Glück bringen? Neulich hatte ich mit einem Kollegen ein Gespräch deswegen geführt. Dabei hatte ich auch von Alis vergeblichen Anläufen zum Lottomillionär und seinem Frust deswegen berichtet. „Weißt du“, meinte ich zu dem Kollegen, „… ich will doch gar keinen Lottogewinn! So ein Sechser macht dir doch nur Umstände, und vor allem Dingen: wir müssten das alles geheim halten, denn sonst würden uns plötzlich alle möglichen Leute die Türe einrennen und uns um Geld erleichtern wollen. Und wie will man einen Gewinn in der Höhe verheimlichen? Jedes neue Auto würde doch die Neider auf den Plan rufen!“
Kopfschüttelnd war der Kollege meinem Monolog gefolgt. „Das ist doch unlogisch, was du sagst! Natürlich muss man solches Geld gut anlegen, natürlich wird es immer Leute geben, die dir einen Gewinn nicht gönnen. Aber du musst drüber stehen, die Leute sind nicht schlechter als vorher, sie meinen jetzt nur einen Grund zu haben dich anzuschnorren. Das musst du einfach an dir abgleiten lassen…“ Der Kollege grinste mich an. „Du träumst doch ewig schon von einer Villa am Pöstlingberg, oder? Mit einem Lottogewinn könntest du sie bald dein Eigen nennen und ganz neu einrichten – natürlich in einer Maßtischlerei und nicht beim Möbeldiskont. Und dein Mann könnte sich sogar seinen Alfa Romeo zulegen, hast du nicht gesagt, das ist sein Traumauto? Stell dir vor, all das würde auf einen Schlag real werden und du müsstest vielleicht nie mehr arbeiten gehen? Wäre das nicht toll?“
Da konnte ich dem guten Mann nicht ganz Recht geben, ohne Arbeit würde das Leben keinen Spaß mehr machen. Bei allem Frust zeitweise, ein Job erst gab dem Leben wirklich Würze, das ließ ich mir nicht nehmen. Da konnte mir der Kollege mein „neues Leben“ beredt in bunten Farben und in lebendigen Bildern schildern – der Alltag hatte schon was für sich. Da war man gefordert und das süße Nichtstun verlor für mich im Urlaub daheim immer ganz schnell seinen Reiz. Und Ali ging es ähnlich, davon war ich überzeugt… Wenn ich ehrlich war, so richtig reich sein, dazu hatte ich ohnedies keine Ambition. Je reicher man war, desto unglücklicher musste man wohl sein, und sich mit Sorgen herumschlagen, gegen die sich die Alltagsplagen von Normalsterblichen wie unsereins banal ausnahmen: Geldanlage, Aktien, Börsenkurse, Steuerberater… nein, das wollte ich eigentlich alles nicht. Sicher brauchten wir ein neues Auto, aber wir würden dieses Problem lösen, ohne Lottomillionen oder Wohlwollen der Glücksfee. War es nicht viel besser auf seine eigenen Fähigkeiten vertrauen zu können als ständig auf günstige Umstände hoffen zu müssen?
Wieder in unseren vier Wänden stellte ich Kaffee zu und zündete mir eine Zigarette an. Wenn ich ehrlich war, ich glaubte schon länger, dass uns das „Glück durch Geld“ einfach nur durch eine ausgeklügelte Werbemaschinerie vorgemacht wurde. Uns wird geschickt suggeriert, dass Geld und Millionen all unsere Sorgen lösen werden – und uns glücklich machen werden… Schließlich hörte ich Ali, wie er die Wohnung aufsperrte und hereinkam. Ich bekam einen leisen Schock, als er auf mich zukam: sein Shirt als auch seine Jeans waren verschmutzt, wieder einmal hatte mein Mann zum Basteln am Cabrio nicht seinen Overall angezogen sondern in normaler Montur gewerkt. Ich würde eine halbe Ewigkeit brauchen, all die Flecken wieder herauszubekommen. Plötzlich musste ich lachen, und Ali, der mir gerade zur Begrüßung um den Hals fallen wollte, hielt verdutzt inne. Nein, ein soignierter Millionär würde Ali nie werden und ich niemals eine edle, reiche Lady – da fehlte es einfach am blauen Blut und am Noblesse-Gen!
© Vivienne