Sonntagabend.
Ich habe die Augen geschlossen.
Frank und ich sind auf der Heimfahrt von Salzburg.
Stefan geht es nicht gut.
Ein Schatten seiner selbst.
Des scheinbar robusten Mannes, der er noch vor wenigen Wochen war.
Hager.
Eingefallene Wangen.
Augen, die in den Höhlen stecken.
Augen, die vom Tod sprechen.
Und von den Schmerzen, die immer stärker werden.
Ich weiß nicht, ob es uns gelungen ist, ein Pflänzchen Hoffnung in sein Herz zu setzen.
Immerhin.
Stefan wird eine Chemotherapie machen.
Er will kämpfen.
So lange zu leben wie möglich.
Für seine Frau und das gemeinsame Baby.
Susanne macht einen gefassten Eindruck.
So jung.
So viel jünger als ich.
Und sehr stark.
Und doch meine ich, dass sie ihre Angst um Stefan hinter ihrem Kind versteckt.
Sie lebt jetzt für ihr Baby.
Und schiebt Stefans Tod beiseite.
Die Auseinandersetzung damit wird aber sicher kommen.
Dann, wenn das Kleine geboren ist.
Oder wenn Stefan den Kampf um sein Leben endgültig verliert.
Die Chemo kann ihm einige Zeit helfen.
Aber was, wenn sie nicht anschlägt?
Was, wenn sie ihn kaputt macht?
…
Tausende Gedanken gehen durch meinen Kopf.
Quälen mich seit vorgestern noch mehr.
Ich fühle mich so hilflos.
Es ist so schwer zu begreifen, dass mir die Hände gebunden sind.
Ich möchte immer so gern anpacken.
Helfen.
Aber hier kann ich nur beten.
Beten, dass Stefan nicht zu viel leidet.
Körperlich oder seelisch.
Ich habe viel geweint.
Obwohl ich es nicht wollte.
Um Stefan nicht die Hoffnung zu rauben.
Aber er kennt seine Situation selber viel zu gut.
Niemand kann ihm etwas vormachen.
Und es ist vielleicht besser, der Wahrheit ins Auge zu blicken.
Als vor der Realität die Augen zu verschließen.
Ich merke zuerst gar nicht, dass Frank zu einer Raststätte fährt.
Plötzlich merke ich, dass der Wagen steht.
Ich öffne die Augen.
Frank sieht mich an.
Liebevoll nimmt er mich in den Arm.
Ein paar Tränen fließen.
Und irgendwie weiß ich in diesem Moment, dass ich Frank liebe.
Ich habe nie darüber nachgedacht die letzen Wochen.
Ich habe viel Zeit mit Frank verbracht.
Wir haben über unser ganzes bisheriges Leben gesprochen.
Stundenlang oft.
Wir wissen fast alles über uns.
Und wir haben miteinander geschlafen.
Und trotzdem wird mir erst jetzt bewusst, dass ich Frank nicht nur nicht mehr missen möchte.
Ich will ihn nie mehr verlieren.
Frank darf einfach nicht gehen!
Nicht so wie Stefan…
Schließlich sitzen wir in der Raststätte bei einem Getränk.
Wir vermeiden es über Stefan zu reden.
Frank versucht nur mich aufzumuntern.
Aber ich bleibe einsilbig.
Und trotzdem dankbar dafür, dass er da ist.
Für mich.
Die Frau, die er vor mehr als drei Monaten beinahe überfahren hätte…
Eine gute Stunde später sind wir daheim.
Daheim.
Das heißt jetzt:
In Franks Wohnung.
Ich werde meine eigene Wohnung aufgeben.
Bald.
Ein Nachmieter hat sich schon gefunden.
Als ich mich auf die Couch fallen lasse, spüre ich meine Müdigkeit.
Frank stellt uns beiden ein Glas Wasser hin.
In unser Schweigen hinein trifft mich der Tonfall seiner Stimme.
Es war also Gabriel, der mich die ganze Zeit angerufen hat?
Ich ächze kurz auf.
Mein Gott.
Das hatte ich fast vergessen.
Gabriel.
Der verrückte Kerl!
Woher kann er überhaupt deine Nummer haben?
Ich verstehe das nicht.
Warum macht er sich plötzlich den Aufwand?
Stefan nimmt einen Schluck aus seinem Glas.
Weißt du, es gibt solche Leute.
Männer wie Frauen.
Bindungsschwach.
Wollen unbewusst keine Beziehung.
Wollen sich nicht festlegen.
Verlieben sich selber in Menschen, die nicht erreichbar sind.
Und tun den Menschen weh, die sie lieben.
Zieht sich so ein Mensch doch einmal zurück, wird er aber plötzlich interessant.
Oder eben sie.
Du bist Gabriel plötzlich wichtig, weil du mich hast.
Und nicht mehr auf ihn fixiert bist.
Darum das komische Verhalten.
Die Eifersucht.
So seltsam es klingt.
Frank stellt das Glas wieder hin.
Aber es hat sich im Grunde nichts geändert zwischen euch.
Gingest du zurück zu ihm, würde er dir wieder davonlaufen.
Alles ginge von vorn los.
Ich sehe Frank an.
Nicke mit dem Kopf.
Ich verstehe genau, was er meint.
Schweigend nehme ich seine Hand.
© Vivienne