Der Motor zwischen meinen Beinen brummelte sein sonores Lied und es schien, als würde jedes der sechzig Schnapsgläschen Hubraum mir einzeln zurufen :“Schön dass es Dich gibt und Du uns nicht zur Untätigkeit verdammt in der Garage herumstehen ließest. Wir danken Dir Meister und Du wirst sehen, dass wir unsere Pflicht tun, wenn Du uns nur gut behandelst . Allerdings, wenn Du uns nicht Ernst nimmst und uns erzürnest………….! „
Hörte ich da eine unterschwellige Drohung aus den Reihen der dienstbaren Geister ? Wie um alles in der Welt sollte ich dieses Wunderwerk von einem Bike ernsthaft beleidigen können ?
Vollgas auf dem Highway zu fahren war mit diesem, von archaischer Vorkriegstechnik geprägten Motorrad ebenso einfältig, als mit den fast 300 kg Leergewicht im Gelände eine Furche zu pflügen und die Eichhörnchen zu erschrecken.
Der Tachometer zeigte 70 miles per hour, etwas über Stillstand wie es mir erschien, mir der sonst nur mit einer italienischen Schönheit mittels aufgerissener Drosselklappen durch die Landschaft sägte.
Die filigran aus lauter Rohren zusammengesetzt zu sein scheinende Italienerin vollführte bei etwas härter zupackenden Fahrerhänden regelrechte Freudensprünge um ihrem Besitzer ihre Begeisterung mitzuteilen.
Dieses Bike jedoch, welches ich mir bei einem Motorradverleih im texanischen Houston für eine Tour nach“ Westen“ ausgeborgt hatte, war im Gegensatz zur Italienerin ein wirklich schweres Trumm aus heavy metal .
“Iron horses for real riders to the west!“! So, oder so ähnlich hatte es in „good old germany“ geheißen in einer Zeitung für Motorrad-Junkies, die mir sofort ein schon fast vergessenes Abenteuer aus einem längst abgeschlossenen Lebensabschnitt zurück in die Erinnerung gebracht hatte.
Meine damalige Frau hatte sich sehr gut angefühlt, wenn sie in eine enge Lederkombi gekleidet hinter mir sitzend, eng an mich geschmiegt ihre zarten Arme um meine Hüften legte und mir trotz des Fahrtwindes immer wieder ihre Begeisterung in die Ohren brüllte.
Brüllte! Motorradfahrer brüllen unablässig, wenn sie auf dem „Bock“ miteinander kommunizieren. Brüllen! Weil es immer nur mit gesteigerter Lautstärke untereinander Verständigung geben kann, der ebenso zurückbrüllenden Auspuffanlage wegen.
„Ronnie gib doch mal richtig Gas, ich möchte mal so richtig den Fahrtwind spüren in meinen Haaren!“
Damals in den „guten Siebzigern“ fuhr man noch unbehelmt im Land der unbegrenzten Möglichkeiten mit seinem Bike und ließ sich tatsächlich den Fahrtwind um die Ohren wehen.
Die einzige vorgeschriebene Schutzbekleidung bestand aus „eyewear“, einer wie in meinem und Sylvias Fall Ray-Ban – Sonnenbrille zum Schutz der Augen vor durch den Motorlärm angelockten Fliegen oder Bienen. Sylvia nannte mich immer Ronnie, nicht nur wenn sie mir ihre Liebe in die Ohren brüllte. Sylvia hatte langes, schwarzes im Fahrtwind wehendes Haar. Sie liebte es, dieses offen zu tragen und während „unserer äthiopischen Zeit“ war es ihr ein Grauen, diese unter einem dichten langen Schleier nach Landesart verstecken zu müssen. Trotz der Tatsache, in einem christlichen Lande zu arbeiten, war es dort üblich für Frauen, ihr Haupthaar zu bedecken.
Sylvia, dieses energiegeladene kleine Bündel, liebte Superlative.
Als wir uns damals in Seattle diese riesige Honda Goldwing andrehen ließen war es Sylvia, die ganz verliebt in „soviel Motor“, sanft über die verchromten Ventildeckel strich und flüsterte : „Ronnie, ich spreche kein Wort mehr mit Dir, wenn Du nicht dieses tolle Motorrad nimmst . Ronnie, ich meine es Ernst und Ronnie, Du kennst mich, ich mache keinen Spaß. Ich meine es Todernst! „
Sylvia meinte alles was sie sagte in diesem schneidend zwischen den Zähnen hindurch gezischten Tonfall Todernst, soweit kannte ich ihr Temperament zur Genüge, doch ihr anfängliches Unbeteiligtsein sich in diese Empathie und Begeisterung für ein Stückchen Metal verwandeln zu sehen, war eine absolut neue Erfahrung für mich.
Sie, die sich wohl mehr aufgrund von Nachgeben müssen und nicht aus Begeisterung für alte Motorräder auf den Rücksitz meiner vom Vater ererbten BMW-Boxer niederließ und anscheinend bei Kaffeefahrten schon immer vor Fahrtantritt das Ende der Tour herbei sehnte, war bei Ansicht dieses seinerzeit mit Superlativen überhäuften Dickschiffs von Honda-America zu meiner völligen Überraschung sofort hinten aufgestiegen und hatte sich geweigert, sehr zur Freude der feixenden Angestellten im Motorradhaus ,“ jemals wieder abzusteigen“.
Ich hatte in weiser Voraussicht direkt zielstrebig auf eine in der Ecke versteckte BMW zugehalten und mich erstaunt in der Halle umgeschaut, weil ich Sylvia nicht mehr hinter mir bemerkte.
„Ronnie hierher, hier stehen Motorräder und nicht so ein Gelumpe für Anfänger !“ Trotz der Tatsache, dass es im showroom keine laufenden Motorräder gab und lautes Schreien absolut keinen Sinn machte, glaubte Sylvia sich gegen den zu erwartenden Lärm dieses Superlativs namens Goldwing durchsetzen zu müssen. Gegen die vier scheinbar in Boxerform gegeneinander kämpfen zu wollenden Kolben, konnte doch nur Lautstärke gesetzt werden.
Umso ruhiger wurde sie, als wir dann zusammen mit den besten Wünschen vom Shop-personal auf eine eintägige Probefahrt geschickt, den erwarteten Donnergroll vermissend uns sogar mit Zimmerlautstärke unterhalten konnten.
„Ronnie, egal ob Donnerhall und Ungewitter, wir kaufen diesen Dampfer und mit weniger als einem Liter Hubraum gebe ich mich nicht mehr zufrieden, basta.“
Sylvia hatte entschieden und da ich durch diese Entscheidung zum untergebenen Fahrer degradiert zu sein schien, mimte ich den Zerknirschten und weinte mich scheinbar an der Brust des Inhabers aus, der grienend dieses Spielchen mitspielte.
Nicht ohne vom Monteur tröstend in den Arm genommen zu werden bei der Schlüsselübergabe zur Probefahrt, verließen wir den Hof des Händlers.
Sylvia schmiegte sich an mich und es scheint Liebe auf den ersten Blick gewesen zu sein,…………. zwischen Sylvia und der Goldwing.
„Fahrer an Kommandeur, wohin geht die Reise ? Erbitte die genauen Koordinaten zwecks Zielerfassung ! „
„Fahr man zu , Ronnie. Seattle ist überall schön und direkt gegenüber vom Motorradshop ist ein Motel und wenn wir morgen den Wagen zurückgeben, können wir ja dort noch ein paar Tage bleiben und noch ein paar Trainingsrunden drehen , bis es nach Südkalifornien geht mit diesem Goldstück .“
Wir drei haben tatsächlich noch trainingshalber ein paar Meilen in Kanada abgespult um ganz sicher zu sein, das richtige Gefährt erstanden zu haben und um dem Verkäufer den Grund für die Erstinspektion zu liefern.
Der Big-Twin zwischen meinen Beinen brummte sonor sein Lied und meine sechzig kleinen Schnapsgläschen schienen sich wohl zu fühlen und sich im Takt zu schwingen.
Die Schnapsgläschen schienen tatsächlich eine ganze Weile trocken gelegt worden zu sein , was sich an einem nicht unbeträchtlichen Durst bemerkbar machte. Jetzt oder nie schien das Motto einiger meiner treuen Helferlein zu sein. Anscheinend befürchteten diese Trunkenbolde bald wieder auf dem Trockenen zu sitzen.
„Lässt Du uns nicht saufen, lassen wir Dich laufen, „ schienen diese zu rufen,………….. das Kartell der durstigen Schnapsgläschen.
Sie schienen daran zu erinnern zu wollen, dass ich mal wieder tanken sollte.
„Nein keine Angst Ihr durstigen Kerle, ich lasse keinen von Euch verdursten, versprochen.“
Ich drehte an der nächsten Kreuzung der Interstate nach Rechts, da ich gesehen hatte, dass dort die nächste Tankstelle zu finden sein würde.
Der Tankwart schaute mich misstrauisch an und mein Wunsch die Tankrechnung mittels Bargeld, statt des üblichen Platikkärtchens zu bezahlen, konnte auch nicht ein winziges Lächeln auf seine verkniffenen Lippen zaubern.
Ich glaube, dass wenn ich meiner ersten Eingebung nach in John Wayne- Manier breitbeinig hereingestiefelt wäre, hätte er seine sicherlich bereitstehende Pumpgun hervorgezaubert und danach hätte auch ein Blitzstart keinerlei Verbesserung meiner Lage gebracht.
Motorradfahrer die mit cash bezahlen, können nur krumme Hunde sein.
Sylvia schien bei unserer gemeinsamen Tour nach San Diego durch ihre bezaubernde, unkomplizierte Art immer die Sympathie auf ihre Person zu bündeln, während ich der knallharte „easy rider“, eher unwirsch abgehandelt wurde.
Motorradfahrer in „ good old Henry`s own country”, also Autofahrerland ? Gangster, erfolglos dazu? Banken raubt man vielleicht aus und man überfällt auch schon mal ne Tankstelle, aber mit nem Bike zum Raub ? Clide scheint nicht mehr ganz dicht zu sein. Aber seine kleine Bonnie ? Apart, sehr apart, die Kleine !
Clide fuhr Motorrad und Bonnie war weit und breit nicht zu sehen. So kam es, dass ich in Gedanken versunken an Bonnie dachte, die im wirklichen Leben tausende von Meilen entfernt in Stuttgart lebte und sicherlich nicht an ihren Clide dachte, der im richtigen Leben Ronald hieß und der Erinnerung an eine sehr schöne Zeit wegen eine Fährte zu suchen schien, die längst vom Wind der Ewigkeit verweht war.
Ich hätte wenn ich hätte, auch keine Fährte gefunden, bewegte ich mein Bike auf einem ganz anderen Trail, als damals mit Bonnie, eng angeschmiegt an ihren Clide.
Fünfzehn Meilen bis Victoria. Dort würde ich nach Corpus Christi Richtung Golfküste abbiegen um endlich etwas Meeresbrise zu schnuppern.
„He Meister, was ist mit uns? Wo bleibt Dein Ehrenwort, Du Chefschlumpf ? Willst Du uns vergiften? Diesen schlechten Stoff willst Du uns doch nicht in allem Ernst anbieten ! Hilfe, wir werden vergiftet. Jagt diesen Schussel zum Teufel.“
Die kleinen Kerlchen schienen verstimmt zu sein, was sich nicht nur an ihrem Geschrei ablesen ließ, sondern auch am unrunden Motorlauf.
Blick auf den Tank mit Tankuhr, alles im grünen Bereich. Die Tankuhr hatte sich noch nicht mal gerührt.
„Also keine Panik Jungs, ich stelle sofort den Benzinhahn um, damit Ihr wieder was zum Schlucken bekommt. So geschafft ! Na wie ist das Jungs ? Wohl bekommts .“
Die Jungs schienen sich ein wenig zurücknehmen zu wollen, obwohl der Motor recht unzufrieden klang.
Da schienen die Fraktionen in dem hohen Haus der Motortechnik ein kleines Abstimmungsproblem zu haben, diese Schlingel. Scheinen wohl zu viele Sitzungen des Parlamentes im Fernsehen gesehen zu haben.
„Interessantes Bike, Ihre Harley die Sie da fahren, ein neues Modell ? Never seen before !“ Der Tankwart war wohl ein besonderer Witzbold, oder tatsächlich noch nicht lange im Land. Wahrscheinlich ein „wetback“, erst vor vier Wochen durch den Rio Grande hierher nach Texas geschwommen. Nur gut, dass Wyatt Earp und John Wayne auf der Hut sind !
Eine Harley ! Never seen before ?
In Amerika, wo man mit ner Goldwing Eindruck schindet, oder nem Boxer aus Bayern ? Wo Harleys an jeder Ecke rumstehen ?
Komisches Volk, diese Amis !
„He Du Depp, jetzt hast Du uns den Hahn ganz abgedreht. Das verzeihen wir Dir nie!“
Die durstigen Kerle wollten sich doch wohl nicht mit John Wayne anlegen?
Ich Blödmann hatte den Hahn zugestellt anstatt um. Die Jungs hatten Recht. Also zur anderen Seite und nun ist Ruhe im Karton und an die Arbeit, wenn ich bitten darf. !
Die Burschen schienen die Köpfe zusammengesteckt zu haben und hielten wohl Kriegsrat. Schließlich rief mir einer zu, wohl der gewählte Vertreter der wilden Truppe,
„ Du Vollidiot hast Diesel getankt, Du verdammter Trottel, bist Du zu blöd, oder zu geizig um verdammt noch mal den richtigen Saft zu tanken ? Kommst Dir wohl richtig schlau vor auf deinem Chefsessel da oben, während wir uns hier nen Wolf strampeln. Aber jetzt ist Schluss.“
Schluss, was geht da vor sich? Schnapsbubis wollen mir den Krieg erklären? Na wartet Genossen, das wird Folgen haben!
Der Sprecher hatte nicht nur gedroht, sondern auch gehandelt. Auf sein Zeichen schienen die Rebellen ihre Hände verschränkt und gleichzeitig die Füße von den Pedalen genommen zu haben.
Der Twin rollte mit letzter Kraft zum Straßenrand.
Verdammt, was hatte der Rebellenführer mir zugebrüllt? Diesel??? Diesel für ne Harley, statt Benzin?
„Interessantes Bike Ihre Harley! Never seen before! Das neueste Modell?”
Sylvia, wo bist Du? Du fehlst mir so! Mit Dir wäre mir das nicht passiert. Sylvia ich liebe Dich!
Nachtrag : Nach vier Stunden kam die Highway-Patrol vorbei und ließ meine „Gasoil-Harley“ nach Victoria abschleppen, während ich in der Station der Patrol den Kollegen als größter „Turkey ever seen“ vorgeführt und mit Coke und frenchfries abgefüllt wurde und mich mit Polaroid im Gästebuch verewigen durfte, in dem ich auf einigen Seiten vorher Jimmy Carter entdeckte.
Keiner der vorbeifahrenden Autofahrer würdigte mich vorher auch nur eines Blickes, als ich auf der Interstate winkte.
Sylvia erzählte mir später, dass sie zu just der gleichen Zeit ihre Goldwingstory zu Ende geschrieben hatte zuhause in Stuttgart, die in ihrer Reisebeschreibung eine sehr beliebte Episode darstellt.
(C) Chefschlumpf