Drei Kinder hatten meine Schwester Bea und ihr Mann Louis im Laufe der Jahre zu sich genommen. Davide, der Älteste, war adoptiert, Fabiano und Arabella waren Pflegekinder. So hatte sich das Familienglück der Familie erfüllt, obwohl ihnen keine eigenen Kinder vergönnt gewesen waren. Die Schwiegereltern waren mittlerweile beide verstorben, die Schneiderei im Mühlviertel hatte schon vor Jahren jemand anderer übernommen. Und Louis, Beas Mann, arbeitete mittlerweile als Behindertenbetreuer – seinen Job in einem Linzer Großhandelsunternehmen hatte er längst aufgegeben. Die letzten Jahre waren nicht immer leicht für die Familie gewesen, doch gemeinsam hatte man sie durchgestanden. Und um das Glück perfekt zu machen, passte mittlerweile auch ein verbeiniger Freund und Helfer auf die Familie auf…
Bruno, wie der stattliche Hund hieß, war ein ehemaliger Streuner, der in der Slowakei Gott sei Dank Tierfreunden aufgefallen war. Sie retteten ihn von der Straße, ließen ihn ärztlich versorgen und über eine Facebook-Gruppe war der Hund schließlich zu der großen Familie gestoßen. Damals war er noch recht schlank gewesen, wie ich mich erinnerte. Er sah aus wie ein Schäfer mit etwas zu kurzen Beinen, aber das fiel mir schon bald gar nicht mehr auf. Bruno war eine treue, gutmütige Seele, mit einem großen Beschützerinstinkt und auf die Kinder hatte er immer ein Auge…
So hatten ihn auch Ali und ich kennengelernt – zuerst angebellt, dann durften wir seine feuchten Küsse genießen. Bruno hat eine hervorstechende Eigenschaft – er ist immer hungrig. Das Leben auf der Straße hatte ihn nicht nur misstrauisch gemacht gegenüber Männern in Anoraks sondern auch gelehrt, dass Essen oft Mangelware war. Das heißt konkret: er bettelt ständig nach Futter, er räumt wie in alten Tagen die Mistkübel auf der Suche nach Fressbarem aus und er lehnt das teure Futter, dass ihm Bea kauft, rundweg ab. Menschenessen mundet ihm viel besser, obwohl das gar nicht bekömmlich ist für ihn… Und sein feines Gehör verrät ihm stets, wenn jemand den Kühlschrank öffnet – dann ist er sofort zur Stelle!
Als Ali und ich neulich bei der Familie zu Gast waren, fiel uns sofort auf, dass Bruno gewichtsmäßig wieder ordentlich zugelegt hatte. Der Tierarzt hatte keine Freude damit, aber es ist fast unmöglich, einen Hund auf Diät zu setzen. Schon ein Mensch begreift das viel zu oft nicht wirklich, dass ihm weniger essen/trinken/rauchen zuträglicher wäre. Ein Hund versteht das überhaupt nicht und empfindet Essens-Einschränkungen als Liebesentzug. Das und vieles mehr wusste uns Bea zu berichten während Bruno auf einer Decke unter dem Schreibtisch lag – alle viere von sich gestreckt sah er aus wie eine Muttersau…
Wir lachten, als Bea erzählte, dass ihr Bruno einmal ein Stück Kuchen aus der Hand geschnappt hatte, als sie bei Kaffee und einem guten Buch saß… Bruno öffnete wie auf Kommando seine Augen – er hatte gemerkt, dass wir von ihm gesprochen hatten. Er trabte herbei, ließ sich streicheln und leckte uns die Hände. „Ein Trauerspiel!“ meinte Bea. „Da er glaubt, dass jeder Bissen, der letzte sein könnte, verfolgt er uns immer wieder in der Hoffnung, dass es Leckerbissen für ihn gibt. Das kann aber auch zu gefährlichen Situationen führen, davon kann Louis übrigens ein Lied singen – wie war das nicht neulich nachts?“
Mein Schwager seufzte. „Ja, er ist mir so zwischen die Füße gelaufen, dass ich beinahe gestolpert und hingefallen wäre!“ Bea lachte. „Ihr hättet ihn sehen sollen, Louis hat geschimpft wie ein Rohrspatz. Und dann hat er seinem Ärger Luft gemacht, es war köstlich anzuhören…“ Louis grinste schon verhalten. „Du meinst, weil ich sagte, warum er kein nützlicher Hund wie die legendäre Lassie sein könnte, die ja Leben rettete und Gauner erwischte…“ „Nicht nur das!“ fügte meine Schwester an. „Er hat Bruno den Namen Kommissart Speck gegeben, frei nach der Fernsehserie mit Tobias Moretti und seinem Schäfer. Was haben wir da gelacht! Der Vergleich – einfach göttlich!“
Wir schmunzelten bei der bunten Schilderung über das Hunde-Verhalten, wobei Ali anmerkte. „Fressie wäre aber auch kein schlechter Name für euren Rüden mit dem großen Appetit!“ Bruno hatte sich inzwischen vor unsere Beine gelegt und erfreute sich an unserer Aufmerksamkeit, wobei sein Blick sich immer wieder auf den Guglhupf fixierte, den Bea uns zum Kaffee aufgetischt hatte. Man konnte in seinen Augen lesen, dass er schon auf ein Stück oder mehr lauerte… „Es stimmt schon, dass sein Hungergefühl immer enorm ausgeprägt ist“, führte Bea an, „aber sein Herz ist riesengroß und die Kinder liebt er über alles. Wenn er nächtens bei ihnen schläft, bietet er sich oft als Kissen an und da ist ein gepolsterter Körper sicher kein Nachteil!“
„Er hört auch immer sofort, wenn jemand die Straße hochkommt und wenn Louis mit dem Auto von der Arbeit in die Garage fährt, dann spürt er das immer schon ein paar Momente früher – wie ein sechster Sinn, der bei ihm sehr stark ausgeprägt ist…! Bruno blickte mich freundlich an und leckte mir mit der Zunge über das Gesicht – diese fungierte dabei als ein riesiger Waschlappen. Ich ließ mir das gerne gefallen, Bruno war ein sehr sympathischer Hund, auch wenn er mit diesem Verhalten nur signalisieren wollte, dass er auf mein Guglhupf-Stück Appetit hatte. Das holte er sich dann auch im nächsten Moment – so schnell konnte ich gar nicht reagieren…
So klang der Nachmittag bei Bea und Louis sehr heiter aus. Natürlich sollte man einen Hund nicht ermutigen, sich von Kuchen und Ähnlichem zu ernähren, aber das Leben als Streuner konnte Bruno nicht mehr völlig ablegen, auch wenn er ein warmes Bett und jede Menge Streicheleinheiten zu schätzen gelernt hatte. Ein kleiner Teil von ihm blieb einfach der Hund, der monatelang auf der Straße gelebt und Hunger gelitten hatte, auch wenn er sich darum bestimmt nie mehr Sorgen machen müsste…
Vivienne