Drei Wochen war die kleine Susi jetzt schon bei uns. Sie war fast doppelt so groß geworden in dieser Zeit und fühlte sich total heimisch. Kein Bereich im Haus, den sie nicht schon erobert hatte: die Fernsehcouch, mein Bett, meine Tastatur bis hin zum Küchentisch. Bisweilen mussten wir ihr mit Nachdruck ihre Grenzen zeigen, was allerdings nicht immer etwas brachte. Ganz im Gegenteil: sogar Kater Stocki, der nach wie den Beleidigten mimte, musste zur Kenntnis nehmen, dass die kleine Susi auch ihn nicht im Geringsten fürchtete. Wenn sich Stocki nämlich doch einmal bequemte, wieder zum Fressen heim zu kommen, leistete sie ihm gern dabei Gesellschaft, als würde sie spüren, wie sehr das den Kater provozierte.
Einmal hatte dieses Verhalten zur Folge, dass ihr der Kater eine Ohrfeige gab, die sie dann aber nur streifte, weil das Kätzchen geschickt wie schnell zurückwich, und es auch sonst nicht im Geringsten einschüchterte. Beim nächsten Mal saß Susi wieder bei ihm, fraß ungeniert neben ihm und schließlich fing sie mit ihm zu spielen an. Stocki knurrte wütend, und wandte sich brüsk vom Futter ab. Wer weiß, was er mit Susi gemacht hätte, wäre ich nicht dabeigestanden! So lief er nur beleidigt die Treppe hinunter und begehrte um Auslass. Die Haare seines Fells waren gesträubt und sein Schweif zuckte. Nein, Stocki machte keine Anstalten, sich mit seiner neuen Mitbewohnerin anzufreunden und ich fragte mich, wie lange er dieses ungewohnte Verhalten noch an den Tag legen wollte. Kann eine Katze so stur sein wie zehn Steinböcke? Offenbar schon…
Das gewittrige Wetter zuletzt brachte viel Regen, und immer wieder kam Stocki mit nassem Fell zu uns ins Haus. Aber selbst die teilweise heftigen Güsse änderten nichts daran, dass er sich nicht mehr wie früher im Haus aufhalten wollte und wenn ich ihn draußen im Garten oder vor dem Haus sitzen sah, hatte er dabei oft die verkrampfte Haltung von Minki, seiner Mutter, eingenommen. So richtig entspannt und gemütlich lag er schon lange nicht mehr in der Sonne. Vor ein paar Tagen holte ich ihn vor einem beginnenden Gewitter wieder ins Haus. Stocki fraß gierig während ihn Susi vom Rauchersessel meines Vaters neugierig beobachtete. Schließlich leckte sich Stocki das Schnäuzchen, das nach der großen Wunde neulich auch wieder verheilt war, und sprang auf die Dachbodenstiege. Abwartend sah er sich um und fing an sein Fell zu lecken.
„Stocki!“ rief ich. Durch das Geländer durch begann ich ihn zu streicheln. Stocki begann leise zu schnurren, während ich seinen weißen Hals tätschelte. „Mein Süßer!“ tat ich ihm schön und zuckte auch schon zusammen: ich trug an der rechten Hand ein Bettlerarmband mit etlichen Anhängern, die dem Kater, der seinen Spieltrieb nie verloren hatte, natürlich sofort ins Auge gestochen waren. Mit seiner Pranke schlug er danach und zwei der Krallen bohrten sich in den Handrücken. Ich war überrascht. Gut, dass Stocki kein Tiger war! Diese Erkenntnis musste ich wiederholen, als die beiden punktförmigen Wunden zu bluten begannen. Und noch einmal, als ich am nächsten Morgen feststellen musste, dass der Handrücken geschwollen, gerötet und entzündet war. Dieses verflixte Vieh! kam mir einmal mehr in den Sinn, als ich meine Hand behandelte und dick mit einer Wundsalbe eincremte. Mein Handrücken war immer schon sehr empfindlich, vor Jahren hatte ich mich dort an Rosendornen derart verletzt, dass ich sogar zum Arzt fahren hatte müssen…
In diesem Fall würde sich das wohl vermeiden lassen. Trotzdem machte ich mir wieder Gedanken, ob Stocki nicht auch die kleine Susi einmal verletzen würde oder sie gar einmal zum Mittagessen verspeisen könnte. Noch war sie klein und handlich und ein netter Happen zur Abwechslung… Aber der Respekt vor uns hielt ihn wohl davon ab, und das sicher auch in Zukunft. Eher würde unser Stubentiger überhaupt auswandern als sich mit einer anderen Katze abfinden, mutmaßte ich nun sehr pessimistisch. Aber sah ich vielleicht zu schwarz? War es so abwegig, dass er sich nicht doch noch mit dem Kätzchen arrangierte? Ein sturer, zehn Jahre alter Kater war schwer einschätzbar. Er könnte durchaus, aber auch nicht. Das hing wohl auch davon ab, was stärker war: seine angeborene Gutmütigkeit oder die Gene seiner Mutter, einer neurotischen Dame!
Vivienne