Kaffeesucht

Samstagabend saß ich nach 22:00 Uhr noch am PC und surfte wild durchs World Wide Web. Eigentlich hatten wir an diesem Wochenende wegfahren wollen, aber Ali, meine bessere Hälfte, hatte sich neulich, als wir mit Freunden Kegeln waren, das Kreuz verrissen. Kein Wunder, dass ihm nicht nach einer langen Autofahrt nach Wien war, wo wir unter anderem den Prater und eine Ausstellung besuchen hatten wollen. Stattdessen lag Albert im Bett, ein Kissen mit Kirschenkernen untergelegt, und pflegte sein Rückgrad. Und ich tröstete mich wie schon erwähnt am Computer wo ich gerade eine Site mit Urlaubsangeboten durchsah. Nebenbei schlürfte ich eine Tasse Kaffee, ich fürchte, es war schon die fünfte oder sechste an diesem Tag…

Ich war so vertieft in die verlockenden Reiseofferte, dass ich gar nicht richtig registrierte, dass Ali ins Wohnzimmer gekommen war. Leicht schief geneigt näherte er sich dem Schreibtisch und legte mir unvermittelt die Hand auf den Arm… „Vivilein! Schon wieder ein Kaffee. Sag, der wievielte ist das heute?“ Ich erschrak. So direkt gefragt wollte ich natürlich nichts zugeben. „Keine Ahnung!“ versuchte ich meinen leichten Schreck zu überspielen. „Ich glaube, ich habe höchstens zwei oder drei Tassen heute getrunken…“ Ich wandte mich eilig von Albert ab um mich wieder der Reiseseite zu widmen, aber mein Mann lachte belustigt auf. „Vivi! Das glaubst du doch selber nicht! Aber einmal abgesehen davon. Kaffee trinken ist auf Dauer nicht gesund, schon gar nicht in diesen Mengen. Kannst du denn deinen Flüssigkeitsbedarf nicht anders decken?“

Nerv mich nicht! dachte ich ungehalten. Aber ich gab Albert keine Antwort sondern starrte verbissen auf den Bildschirm. Mein Mann trat kurzerhand neben mich und nahm mich an den Schultern. „Ich meine das ernst, Vivi! Ob kurz oder lang bist du ein Fall… für die anonymen Kaffeetrinker.“ Ich drehte mich zu Albert und sah ihn an. Bildlich stellte ich mir vor, wie ich verkrampft in einer Runde von ernst blickenden Leuten saß und schließlich aufstehen musste. Ich blickte zu Boden, dann räusperte ich mich. Hallo! Ich bin die © Vivienne… Und ich bin Kaffeetrinker… Die ernst blickenden Leute nickten mir zu. Hallo © Vivienne! Schön, dass du da bist…! Dann begann ich zu kichern. „Aber natürlich! Die werden mich von meiner angeblichen Sucht heilen! Geh wieder ins Bett, Ali! Übrigens kannst du schauen, ob noch Kaffee in der Thermoskanne ist?“ Der letzte Satz war als pure Provokation gedacht.

Mein Mann verzog aber keine Miene. „Wie ich sehe, hast du schon die typischen Symptome. Du solltest das nicht auf die leichte Schulter nehmen… Hör mir zu, wenn ich mit dir rede!“ Ich wandte mich wieder Ali zu, eine bissige Bemerkung auf den Lippen, aber Albert setzte seine Predigt schon fort. „So wie ich das sehe, wäre die Kaffeeindustrie hierzulande ohne dich schon lange aufgeschmissen. Wenn wir im Ausland auf Urlaub sind, gehen ohne Zweifel die Aktienkurse in den Keller – das Manko muss ja erst einmal ausgefüllt werden. Sag, Vivi – dein Foto hängt doch sicher schon im Büro des Vorstandes von Eduscho oder Tschibo Austria – oder täusche ich mich da? Übrigens: Lädt man dich auch schon zu den Vorstandssitzungen ein?“ Ich starrte Albert mit offenem Mund an – mein Mann wollte mich tatsächlich durch den Kakao ziehen und ich rang ein wenig nach Worten, denn mein Mann legte pausenlos ein Schäuferl nach…

„Darf ich raten, Vivi? Dank deines Kaffeekonsums sind wir sicher schon Vorzugskunden bei Eduscho/Tschibo. Du als alte Schnäppchenjägerin hast beim Kaffeekauf sicher ganz andere Konditionen als der sterbliche Rest der Welt. Du bestellst Kaffee bestimmt schon in Großhandelsgrößen… Frau © Vivienne, wir haben diesen Monat wieder ein tolles Angebot für Sie. Nur 0,59 Euro pro Packung Gala Nr. 1 500 g! Wie viele Paletten darf ich diesmal vormerken?“ Ich stand langsam auf und fixierte dabei meinen Mann, der noch immer keine Regung zeigte außer den vor Vergnügen funkelnden Augen. Keine Ahnung, wie ich darauf reagieren sollte. Ali ist zwar bekanntermaßen Skorpion, aber so zynisch kannte ich ihn normalerweise nicht unbedingt. Warum nahm er mich so auf den Arm? Ich hatte ihm doch nichts getan und normalerweise stand sein Kaffeekonsum meinem doch um nichts nach…

Plötzlich grinste Ali mich an. „Jetzt weißt du nicht, was du sagen sollst, was? Es ist herrlich in deinem Gesicht zu lesen, Vivilein! Aber das macht gar nichts. Weiß du was…?“ Er legte seine Arme sanft um mich und streichelte mir über meinen halberblondeten Haarschopf. „….vergiss den Kaffee einfach! Im Grunde bin ich nur gekommen um dich ins Schlafzimmer zu holen. Mein Kreuz kommt mir ziemlich erholt vor und statt dass du da am Computer Reiseangebote durchschaust, die wir uns ohnedies nicht leisen können, solltest du dich ein wenig um mich, deinen lieben Mann, kümmern, damit ich wieder auf andere Gedanken komme…“

Nach einer wahren Begebenheit

© Vivienne

Schreibe einen Kommentar