Jürgen T.

Ich hatte Jürgen zum ersten Mal auf der Fahrt zu einem Segelflieger –Lehrgang in Zell am See getroffen, der vom „Deutschen Aero Club“ auf dem Flugplatz Zell am See im Salzburger Land abgehalten wurde.

Mein Clublehrer hatte mich ohne meine Kenntnis einfach angemeldet und so kam es das ich etwa vier Stunden nach dem Anruf von Günther, unserem Club- Fluglehrer, im alten Mercedes Cabrio von Jürgen auf der Fahrt nach Österreich saß.

An das Model kann ich mich einfach trotz angestrengten Erinnern Wollens, nicht mehr genau erinnern.

„219 Cabrio“? Könnte sein.

„Du fliegst Schlepp? Hab ich auch. Bis mir mal einer den Arsch hochgezogen hat und ich nach Sollbruch, Bruch gemacht habe. Seitdem ist Schluss.“

Jürgen hatte die übliche fliegerische Kurzsprache benutzt, die einem in der Fliegerei nicht Bewanderten wie Chinesisch vorkommen musste.

„Ja, die Schleppberechtigung ist noch ganz frisch und muss jetzt noch mit Leben gefüllt werden und Günther unser Club- Fluglehrer meint, ich sollte den Lehrgang in den Alpen nutzen um Schlepps zu machen, ich glaube die schleppen mit „Piper PA 18“ und „ Robin Remorqueur“, ich habe immer nur mit „Morane“ und „Elster“ geschleppt und bin schon gespannt auf die Einweisungen. Im nächsten Jahr wollen wir uns im Club auch ne „Jodel“ zulegen. Ist ein gutmütiger Schlepper, die Robin Remorqueur, sagt man.“

Ich wusste von Günther, dass der etwa drei Jahre ältere Jürgen wohl der Spezies der absolut „Flugverrückten“ zuzurechnen war. Diese Flugverrückten gab es auf allen Flugplätzen der Welt und unterschieden sich von uns „Normalos“ dadurch, dass es für solche Piloten außer der Fliegerei nichts mehr „Lebenswertes“ zu geben schien. Während es bei den Menschen mit Flugbegeisterung außer der Fliegerei noch so etwas wie Familie, Arbeit und Sonstiges gab, lebten diese Typen ganz allein für ihren Bewegungsdrang in allen drei Dimensionen.

„PA 18 , beim alten Wüllenkemper in Essen-Mülheim in den Siebzigern habe ich jede Menge Bannerschlepps mit der Mühle gemacht und das Revier zu den richtigen Trögen des Wirtschaftswunders geführt, bis dann mal das Aufnehmen im Krankenhaus geendet hatte. Ich hatte einfach zu wenig Fahrt und als dann das Banner eingehakt war, war die Fahrt endgültig bei Null. Hat sich aber trotzdem gelohnt mein Ausflug in die Medizin, habe ne heiße Braut aufgerissen da im Hospital.“

Jürgen schaute zu mir herüber und schien mein ziemlich blödes Gesicht zu genießen.

„Hat sich dann allerdings schnell wieder zerschlagen und ich glaube nicht, dass ich noch mal Bruch machen sollte um die Ärztin wieder zu sehen im Krankenhaus.“ Jürgen lachte schallend und schaute mich verschmitzt an.

„Du sagtest, dass Dir ein geschlepptes Segelflugzeug das Heck angehoben hatte und dadurch Dein Höhenruder keine Steuerwirkung mehr hatte und Du auch das Seil nicht aushaken konntest, weil das Seilauge oberhalb des Auslösers hängt und daher nicht entkoppelt werden konnte ? Die wohl blödeste Art, seine Fliegerkarriere zu beenden, glaube ich .“

„Und meist ist nicht nur die Karriere zu Ende. Allerdings konnte ich durch Drücken unter den Segler abtauchen und nach dem Ziehen die Sollbruchstelle am Seil abreißen, er hatte noch nicht die volle Kontrolle übernommen der Anfänger. Der Kerl hing schon von Anfang an dauern über mir und konnte immer in meine Kiste von oben reinschauen, schon direkt nach dem Abheben. Ich bin aber trotzdem bis auf achthundert gestiegen, hätte ich ihn vorher rausgeworfen, hätte er den Platz nicht mehr erreicht und hätte im Gelände gecrasht.“

„Er kam gut runter und Du auch?“

„Klar, nach Sollbruch habe ich die Kiste normal gelandet, nur der Kerl hat dann ne Rückenwindlandung gemacht, hatte wohl Bammel die Platzrunde zu fliegen, also rum und mit „Vollgas“ runter. Ich bin gerade ausgerollt, als er angebraust kam, wie der Teufel auf der Flucht vor dem Papst. Hatte noch nicht mal das Schleppseil ausgeklinkt und dadurch hat er auch noch nen Ringelpietz gemacht, sozusagen als krönenden Abschluss.“

Jürgen hatte nur ein Thema schien es und diese Vermutung würde sich in den nächsten drei Tagen in Zell mehr als bestätigen. Jürgen gehörte zu den wohl am meisten flugbegeisterten Menschen, die ich jemals kennen gelernt habe.

„Wichtig ist beim Schlepp, dass Du den Anderen immer im Rückspiegel siehst und wenn einer abtaucht, oder Dich übersteigt, schmeiß ihn raus, sonst? „ Jürgen schlug mit seinem Zeigefinger ein Kreuz.

Ja die Schlepperei war schon eine ganz besondere Art der Fliegerei und auch ich hatte schon einige haarige Situationen mit der Elster beim Schlepp erlebt. Die blödeste Situation war damals in Oerlinghausen in Westfalen bei der Schleppeinweisung, als ich durch den geschleppten Segelflieger daran gehindert wurde an Höhe zu gewinnen und wir als Schleppzug in Baumwipfelhöhe immer um den Platz kurvten und ich ihn dann endlich vor der Schwelle zur Landebahn ausklinken musste und meine Fahrt noch ausreichte und wir noch beide heil runterkamen. Der Segelflieger hatte meinen „Schwanz“ angehoben und dadurch konnte das Höhenruder seine Wirkung nicht entfalten, weil die Nase meiner Maschine kaum über den Horizont aufstieg. Da die Fahrt noch in etwa stimmte, war die Fluglage stabil, nur Steigen war nicht möglich.

„Trotzdem werden wir bei den Österreichern jede Menge Spaß haben, das schwöre ich Dir.“

Jürgen war ein rundum zufriedener Mensch, der nur etwas zum Leben zu brauchen schien, ein Flugzeug!

Später, als ich meine Fliegerlaufbahn in Richtung einer ernsteren Beschäftigung brachte, waren wir uns noch ein paar Mal auf verschiedenen Plätzen begegnet.

Jürgen hatte über den Berufspilotenschein und die Allgemeine Transport Piloten Lizenz eine Anstellung als Charter-Pilot in der Geschäftsfliegerei angenommen und beruflich eine große Flugerfahrung gesammelt.

Bei unseren Zusammentreffen war zwar immer Zeit für eine Tasse Kaffee und ein wenig Plausch, aber zu den immer wieder verabredeten Treffen, entweder bei ihm, oder bei mir zu Hause sollte es leider nie kommen. Er wollte mir immer seine Frau und Tochter vorstellen und ich hätte ihm auch gerne in mein Privatleben Einblick gegeben, aber dazu sollte es niemals kommen.

Ich war lange im Ausland, hatte viele Plätze gesehen und ebenso viele Flieger kennen gelernt und wieder aus den Augen verloren und mein Leben nach meiner Fliegeruhr eingerichtet.

Freundschaftlich verbunden sind sich alle Flieger auf der ganzen Welt. Aber einen solchen gutmütigen, wie auch erfahrenen Menschen zum Freund zu haben, dürfte außergewöhnlich sein.

„Alpha Sierra“ und „Juliet Tango“ begegneten sich leider viel zu selten. Und wenn, dann blieb nicht viel Zeit um eine echte Freundschaft aufzubauen.

Den Tag werde ich niemals vergessen. Ich war erst am späten Abend des Vortages mit einer „Cessna Caravan“ aus Korsika gekommen und war todmüde ins Bett gesunken, sodass ich am nächsten Morgen ziemlich spät die Zeitung aus dem Briefkasten fischte und sofort hellwach war, als ich die Titelseite sah.

Jürgen hatte mit seiner Flugleidenschaft die gesamte Presse in Aufruhr versetzt und das bedrückende daran war, dass das Ende seiner Fliegerkarriere mit dieser seiner letzten Landung auch als Tragödie für viele an der Fliegerei nicht so sehr interessierten, eigentlich völlig unbeteiligten Menschen endete.

Jürgen hatte seine Maschine zum letzten Mal gelandet und Jürgen wurde von dem großen „Piloten“ für immer gegroundet.

Es geschah am Ende eines vorgeschriebenen Checkfluges, der für Berufspiloten in regelmäßigen Abständen zu absolvieren ist.

Unter den Augen eines erfahrenen Piloten müssen vom zu überprüfenden Piloten umfangreiche Situationen gemeistert werden, die so eigentlich nicht im normalen Flugbetrieb vorkommen sollten, in der Regel tatsächlich auch nicht geschehen.

Alle Notfallsituationen vom Feuer an Bord bis zur Vereisung der Tragflächen, als auch Motorausfall im Landeanflug und alles was möglich oder unmöglich ist in einem Luftfahrzeug, wird ohne vorherige Absprache simuliert und von der Beurteilung durch den Instruktor hängt die weiter Karriere des Probanten ab.

In Jürgens Fall, befand sich außer einer Prüferin aus Augsburg noch ein weiterer Prüfer an Bord der zweimotorigen „Turboprop“. Beim Anflug zum alten Münchner Flughafen im Zentrum der Stadt, kam es anscheinend zu einer misslichen Situation, nachdem wohl ein Motorausfall im Endteil des Landeanfluges kurz vor der Schwelle herbeigeführt wurde durch einen der Prüfer.

Immer problematisch ist bei solchen Situationen die Tatsache, dass bei „Zweimots“ das verbleibende Triebwerk zusätzlich gedrosselt werden muss um eine Ausrichtung auf die Landebahn zu ermöglichen. Das verbleibende Triebwerk erzeugt eine Drehung um die Hochachse, die nicht mehr durch das Seitenruder ausgeglichen werden kann bei Leistung. Daher kann dem nur durch Leistungsverringerung des verbleibenden Antriebs entgegen gewirkt werden.

Normalerweise wird die Übung bei Erreichen der Entscheidungshöhe abgebrochen, was bei diesem Anflug allerdings nicht der Fall gewesen zu sein schien.

Im Endteil schien die Maschine nach links ausbrechen zu wollen, was durch Zurückname des verbleibenden Triebwerkes ausgeglichen werden konnte. Allerdings konnte die Maschine nicht richtig auf die Landebahn ausgerichtet werden und so kurvte die „Zweimot“ in Schlingerbewegungen zu Schwelle noch außerhalb des Flugplatzgeländes.

Ohne das abgestellte Triebwerk wieder zu aktivieren setzte das Flugzeug auf einer Strasse vor dem Flughafen auf und schlingerte auf eine Bußhaltestelle zu, durchbrach den Zaun eines Parkplatzes an einem Burgerrestaurant um dann mitten in diesem Restaurant zu explodieren.

Alle Personen an Bord, als auch weitere Menschen an der Bushaltestelle und im Restaurant waren auf der Stelle tot.

Die genaue Ursache konnte von der Fluguntersuchungsstelle in Braunschweig nie abschließend geklärt werden. Die Untersuchung endete mit dem Verweis auf Fehler des Piloten.

Welcher der drei Piloten den entscheidenden Fehler gemacht haben sollte, ist nicht entscheidend für mich. Für mich entscheidend ist die Tatsache, einen Freund verloren zu haben, den richtig kennen zu lernen ich nie die Gelegenheit hatte.

Jürgen hinterließ Frau und Kind.

(C) Antoine Susini (chefschlumpf) 26.09.06 eine wahre Geschichte

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