„Du machst ein Gesicht, wie sieben Tage Regenwetter.“
Ich sah sie nur an. Ich würde nicht widersprechen wollen.
„Was genau, macht ein Gesicht aus? Was macht ein Gesicht eigentlich so Besonderes, damit es wie sieben Tage Regenwetter aussieht?“
Ich hatte sie überrascht. Sie schien meine Frage nicht auf ihre Bemerkung beziehen zu wollen.
Sie schüttelte ihren Kopf.
Möglicherweise wollte sie dadurch nur ihr Unverständnis über meine Frage ausdrücken.
Meine Frage, die ihr überaus entbehrlich erscheinen musste.
„Du, ich werde mir eine neue Gitarre leisten.“
„Gitarre?“
„Gitarre, du weist, sechs Saiten, eine immer dicker als die gerade vorherige.“
Auf ihrer Stirn zeigten sich Falten. Ihre Ohren waren durch den Turban, den sie aus einem Handtuch gezwirbelt hatte, bevor sie in die Wanne kletterte, beinahe völlig verdeckt.
Sie machte das immer so. Ich hatte mich von Anfang an darüber gewundert. Scheinbar wollte sie nicht, dass ihre Haare nass würden, nur weil sie gerade ein Bad nahm.
„Na klar, weis ich was eine Gitarre ist. Ich frage mich nur, warum du noch eine Gitarre brauchst.“
Nun tauchte ein kleiner Zipfel des Handtuches in den Schaum, der nicht nur ihre Brüste, sowie den ganzen Körper bedeckte, sondern auch die Schultern und ihr Kinn bis zur Unterlippe.
Mich wunderte, dass sie es immer verhindert konnte, dass etwas von dem Schaum in ihren Mund geraten würde.
„Gitarren, mein Schatz, kann ein Gitarist gar nicht genug haben.“
„Man kann aber auch übertreiben.“
Sie war etwas tiefer in die Wanne gerutscht. Nun musste ein schon größeres Stück des Handtuchturbans etwas Wasser gezogen haben.
Ihre ganze Turbanaktion erschien mir nun darob ein wenig lächerlich.
Sie hatte ihre Augen geschlossen. Trotz meines ihr scheinbar irgendwie befremdlichen Gitarren-Kaufplanes, zeigte ihre Mimik eine gewisse Zufriedenheit, die sich nicht zuletzt an entspannt geglätteten Gesichtspartien festmachen ließ.
„Und welche Gitarre soll`s diesmal sein? Schon wieder eine Elektrische?“
„Eine Elektrische, na klar. Alle Gitarren, sogar die Akustischen, lassen sich heutzutage elektrisch verstärkt spielen.“
Sie hatte ihre Augen einen kleinen Spalt weit geöffnet.
Die Mundwinkel, normalerweise leicht zynisch nach unten zeigend, neigten immer noch Entspannung signalisierend nach oben.
„Sieh mal an. Alles nur noch elektrisch. Hab ich mir doch gedacht. Du spielst gar nicht selber. Du lässt deine Gitarren für dich spielen.“
Sie hatte leise aufgelacht.
„Quatsch, du weist ganz genau, dass nur der Klang einer Gitarre verstärkt wird und der Ton vom Gitaristen, also aus seinen Fingern kommt. Hier spielt immer noch der Musiker selber.“
„Weis ich das? Bist du dir da ganz sicher?“
Ich schaute sie nur an, wie sie da ganz langsam in der Wanne versank. Nun wurde die eigentliche Farce mit dem Handtuchturban erkennbar. Wäre es ihr tatsächlich nur darum gegangen, ihr Haar vor Feuchtigkeit zu schützen, hätte diese Aktion nun keinerlei Berechtigung mehr. Handtuch und Haare waren nun völlig nass.
Also war es ihr immer schon um etwas ganz anderes gegangen. Ich muss ja zugeben, dass diese, sagen wir ruhig Verkleidung, sehr wohl einen nicht geringen erotischen Reiz auf mich ausübte.
Nun gut, erotischer Reiz trifft nur die halbe Wahrheit. Es ging ja schließlich stets ums Verführerische und ich war dabei immer der Verführte. Und ich kann nicht behaupten, dass ich jemals in irgendeiner Weise hierunter zu leiden hatte.
Diese frechen Augen im ebenmäßig geschnittenen Gesicht, mit der zierlichen Nase über dem sinnlich geschwungenen Mund, konnten durch diesen keck gewundenen Turban, doch wirklich nur an Liebreiz gewinnen.
Jedoch wurde mir auch stets dabei bewusst, was Manipulation aus einem Menschen herausholen könnte, der sich eben nicht dieser Manipulationen gewahr werden will.
Einem Gesicht kann scheinbar immer noch ein Sahnehäubchen aufgesetzt werden.
Den damit Spielenden, stehen doch wirklich alle Türen offen.
Sind es im täglichen Umgang miteinander, diverse Schminktöpfchen und Lidstifte, nicht zu vergessen Lippenstifte diversester Rot-Töne, können es in etwas intimerer Umgebung, wie zum Beispiel gemeinsamem Wohnumfeld, auch schon mal zweckentfremdete Utensilien sein. Obwohl ein Handtuch, nur weil es um den Kopf geschlungen ist, eigentlich gar nicht seinem Zweck entfremdet eingesetzt ist.
„Du hast mein Frage noch nicht beantwortet“, sagte ich zu ihr, als sie prustend wieder auftauchte.
„Ich weis nur, dass du dir die soundsovielte Gitarre kaufen wolltest. Worauf wartest du noch? Hol sie dir.“
„Wie macht man ein Gesicht wie sieben Tage Regenwetter?“
„Wie meinen?“
„Du weist schon, Himmel bewölkt, Regen zunächst in Schauern, später dann Schnürlregen und das ganze sieben Tage lang. Machs mir bitte mal vor!“
Ich hatte auf dem Wannenrand Platz genommen und noch versucht überaus gespannt zu schauen.
Sie lachte, wobei ihre Augen sich zu Schlitzen formten.
Ganz langsam sprechend, schaffte sie es, ihre Stimme nun auf einmal soweit zu senken, dass man meinen konnte, diese aus einem tiefen Grabe aufsteigen zu hören.
„Dann. Liebster, geh und kaufe dir deine nun neunte Gitarre. Es wird ja dann auch ganz bestimmt nicht deine Allerletzte sein. Und wenn du dann wieder kommst, zeige ich dir mal, was ich unter sieben Tage Regenwetter verstehe.“
Zwei Stunden später war ich wieder daheim und als ich die Gitarre aus dem Koffer nahm, sah sie mir friedlich lächelnd zu und während ich die Saiten stimmte, streichelte sie meine rechte Wange und sagte, diesmal nicht betont theatralisch:
„Ich sehe, dass du dich freust. Und wenn du so glücklich bist, sollte ich es doch eigentlich auch sein.“
Als ich nun in das Gesicht blickte, das mich so freudig musterte, stellte ich befriedigt fest, dass mir die Erkenntnis, was sieben Tage Regenwetter aus einem Gesicht machen könnten, zum Glück heute noch mal vorenthalten bliebe.
A.S. Mai 2010