Hotel California

Sylvia brüllte.

„Was hast du gesagt, Sylvie? Du musst nicht brüllen, ich kann dich gut und deutlich verstehen, Hast du es noch nicht geschnallt, dass wir ein Intercom haben? Verdammt, jetzt hast du mir die Trommelfelle zerdeppert!“

„Entschuldigung, Ronnie kommt nicht mehr vor. Aber ich hatte dir schon vorhin gesagt, Ich muss aufs Klo!“
„Ja kannst du doch, in fünf Meilen gibt’s nen Hamburgerladen, solange hälst du doch noch aus, oder?“

„Nein, kann ich nicht, Verdammt ich halte es keine fünf Meilen mehr aus, halte sofort an, sonst steige ich während der Fahrt direkt hier ab!“

Wir hatten auf unserem Dampfer namens Honda Goldwing seit Neuestem eine Sprechverbindung mit Kopfhörern und Mikrofonen und daher brauchten wir uns nicht anzuschreien, was Sylvia nicht zu interessieren schien.

„Brrrrr, jetzt hast du mich geschafft, Lady!“ schrie ich zurück und lenkte die Goldwing auf den Standstreifen, der hier in den Staaten ähnlich wie bei uns in Deutschland nur für Notfälle gedacht war.

Um einen Notfall schien es sich tatsächlich zu handeln.
Bei Ladys mit Blasenschwäche ist Blasendruck immer ein Notfall, so oder so ähnlich würde ich dem „State Trooper“, der hier in Californien als „ChiP“ bezeichnet wurde wenn man der alten TV-Serie glauben konnte, meine Ordnungswidrigkeit erklären.

Allerdings würde er mir den Notfall nicht abnehmen, genauso wie er kein Chip wäre. Die TV-Serie hatte natürlich genau so wenig mit der Wirklichkeit zu tun, wie unser Notfall.

Die „California Highway Patrol“ war die Polizeitruppe, die im Gegensatz zu den Stadtsheriffs hier auf der Autobahn für Ruhe und Ordnung sorgte.

„Warum schreist du so Ronnie, ich denke man braucht bei Intercom nicht schreien, hast du mir doch soeben klar gemacht, oder?“
Brrrr, diese Lady schafft mich sogar wenn Sie Recht hat, das Luder.

„Was ist denn nun, musst du aufs Klo oder nicht, würde sich die Lady endlich entschließen, oder musst du jetzt nicht mehr so dringend? Du kannst dich doch dort drüben hinsetzen und ich warte solange hier, oder brauchst du etwa Hilfe?“
Ich hatte unseren Dampfer auf dem Seitenständer abgestellt und war noch mit der Versorgung unseres Motorrades beschäftigt und hatte mich noch gar nicht zu Sylvia, meiner Frau auf dem Rücksitz umgedreht, wurde aber sofort durch abermaliges Gebrüll von meiner Pilotenpflicht entbunden.
„Ja bist du denn verrückt, doch nicht wenn die Beiden zukucken!“
„Mach schon, kein Mensch schaut dir zu, noch nicht einmal ich!“

Ich war abgestiegen und drehte mich zu ihr um und schaute direkt auf einen Buick in der schwarz-weißen Lackierung der „ChiPs“ und in die Bubigesichter von zwei Uniformierten.
Sie schienen nicht älter als zwanzig Jahre alt zu sein, die Bubis.

„You`v got a problem, folks?“

Der Bubi, ich habe ihn in der weiteren Geschichte als Nummer eins in Erinnerung, lachte über das ganze Gesicht und hob seine Hände, als würde er von einer Waffe bedroht.
„Nein, nein.“ Ich hatte keine Veranlassung die Sache zu verkomplizieren und wollte keine Unklarheiten aufkommen lassen.

„Sie stehen hier auf verbotenem Terrain, wenn sie keine Panne haben, Sir. Ihren Führerschein bitte, wenn ich bitten darf. Und Ihre Registrierung, bitte, wenn Sie so freundlich wären.“

Bubi Nummer zwei war ja noch begeisterter uns zu sehen, als Nummer eins wies schien. Jedenfalls strahlte er noch breiter als dieser.

„Meine Frau hatte ein Problem mit ihrer……………..“

„Wenn du nur mit einem Wort meine Blase erwähnst, bringe ich dich um!“ zischte mir Sylvia leise zu und machte ein Gesicht, das keinen Zweifel zuließ.
Ich musste unwillkürlich lachen und nestelte die gewünschten Papiere aus meiner Jacke um sie Nummer eins auszuhändigen. Der wiederum lachte übers ganze Gesicht und gab mir die Papiere zurück ohne auch nur hineingeschaut zu haben und sprach plötzlich in astreinem Deutsch zu mir.

„Ihre Frau muss mal für kleine Mädchen? Das ist natürlich ein Notfall und Sie stehen hier tatsächlich nicht unter Anklage und ich schlage vor, Ihre Frau fährt mit uns zu unserer Dienststelle und Sie fahren mit Ihrem Bike hinterher und Ihre Frau kann bei uns austreten, ist ja doch besser als hier auf dem Highway! Ist nur eine Meile in dieser Richtung.“

„Hast du das gehört, Ronnie? Ist das nicht fantastisch? Das sind echte Gentlemen, Danke meine Herren, vielen Dank!“ Sylvia hatte Deutsch gesprochen, obwohl ihr Englisch wesentlich besser war zu der Zeit, als meines.
Nummer eins hatte die hintere Tür aufgehalten und Sylvia war im Nu im Fahrzeug verschwunden.

Verdammt ja spinnt die denn dachte ich noch, als ich meine Handschuhe anzog und auf die Goldwing sprang um den Streifenwagen ja nicht aus den Augen zu verlieren, der einfach über den Mittelstreifen in die andere Richtung gefahren war nicht ohne das rote Blinklicht und seine Sirene einzuschalten.

Die Burschen müssen nicht ganz gescheit sein, fuhr es mir durch den Kopf, als ich über den Mittelstreifen hoppelte und versuchte mich von links in den Verkehr einzufädeln, was mir auch leidlich flott gelang.

Die Highway Police Station auf der Gegenspur war mir auf unserer Fahrt gar nicht aufgefallen und so fiel mir ein Stein vom Herzen, als ich endlich die Baracke rechts auftauchen sah.

Ich brauche wohl nicht anzumerken, dass die Geschwindigkeitsbegrenzung von 55 Meilen für mich keine Bedeutung hatte, wusste ich die „ChiPs“ doch in den guten Händen Sylvies.

„Da bist du ja Ronnie, das hier ist Officer Willi, seine Eltern sind vor fünfunddreißig Jahren aus Deutschland nach Amerika gekommen und das hier ist Officer Hal, ein echtes Longhorn aus Texas und das ist Officer Peggy und dieses hier ist der Chef Benjamin.“

Sylvia, Sylvia du hast wieder Dein übliches Tempo drauf, mir wird schon wieder ganz schwindelig, dachte ich mir und nahm meine Sonnenbrille ab um allen Anwesenden brav meine Hand zu geben.

Officer Peggy, eine etwa vierzig jährige vollschlanke Dame mit ungeheurer Oberweite aber einem lieben pechschwarzen Gesicht bot mir sofort einen Stuhl an und versprach für Kaffee zu sorgen. Sprachs und verschwand im hinteren Teil des Bungalows.

Willi, Hal und Ben hatten sich im Halbkreis um uns aufgebaut und sabbelten ununterbrochen auf uns ein und wurden erst durch die zurückkommende Peggy in ihrem Redefluss gebremst.

Sylvia hatte natürlich schon wieder die ganze Szene unter Kontrolle und lies mich mal wieder ganz alt aussehen, mich den knallharten Biker aus Germany in seiner Schwabenledermotorradkluft.

„Ronnie, Willi möchte uns seiner Frau Virginia und seinen Eltern vorstellen und die Honda können wir hier in der Garage parken und Willi bringt uns natürlich morgen früh zu Dienstbeginn wieder her und wir brauchen heute Nacht nicht zu Zelten und frisch machen können wir uns auch bei Virginia und Willi. Ist das nicht toll? Willi und seine Eltern wohnen nur ein paar Meilen von hier und er hat in einer Stunde frei.“

Es waren dann doch zwei Stunden, die ich und Sylvia im Streifenwagen hinter Willi und Hal für den Rest der Schicht verbrachten und die uns beiden großen Einblick in die Arbeitsweise der Highwaypatrol gaben und die Fahrt zu Willi und später mit Willi, Virginia und den Zwillingen Thomas und Regine in dem kleinen Camaro zu Willis Eltern, zu denen sich dann noch zwei Brüder und eine Schwester von Virginia nebst Ehepartnern gesellten dauerte auch noch mal mehr als eine Stunde.

Und so kam es, dass Sylvia und ich im Gästezimmer von Willis Eltern erst sehr spät, oder besser sehr früh am Morgen in die Federn sanken um noch ein paar Stunden zu schlafen.

Traudel und Hans waren Anfang der Fünfziger unabhängig voneinander aus Deutschland ausgewandert und hatten sich bei Ford in Detroit kennen gelernt, er als Koch und Sie in der Verwaltung und der jüngste Sohn war nach dem Militärdienst in Kornwestheim, zur Highway nach Kalifornien gegangen und die gesamte Familie hatte sich nach und nach im Umkreis niedergelassen.

Willi wollte uns am nächsten Morgen zu Dienstbeginn wieder abholen.
Umso erschreckter war ich, als ich um fünf Uhr nachmittags von Sylvia geweckt wurde, die auch erst gerade aufgewacht zu sein schien.

Traudels Stimme draußen auf dem Flur hatte uns aus unseren Träumen gerissen. Traudel Willis Mom.
Traudel wollte wissen, wie wir unsere Frühstückseier wollten,………….. um fünf Uhr nachmittags.

Die Zwillinge erwarteten uns schon am Tisch und sahen uns amüsiert beim Essen zu und kommentierten jeden unserer Fehler in der englischen Sprache mit lautem Gelächter.

Virginia tauchte nach einer Stunde auf um uns mitzuteilen, dass Willi in einem Seafood-Restaurant einen Tisch für Vier um acht reserviert hätte und wir vorher noch mit ihr zum shopping fahren müssten.

Sylvia in Klamotten von Virginia und ich im Outfit von Willi saßen wir dann noch in der lauen Südkalifornischen Sommernacht und machten noch einige Flaschen roten Kalifornier leer.

Die Verabschiedung am übernächsten Morgen fiel uns allen verdammt schwer, zumal natürlich allen klar war, dass es wohl kein Wiedersehen gäbe, jedenfalls nicht so bald.

Überflüssig zu sagen, dass uns Officer Hal und Officer Peggy noch bis zur Grenze des Distriktes und ein bischen darüber hinaus begleiteten, nicht ohne uns das Versprechen abzunehmen, auf der Rückfahrt vorbeizukommen. Hätten wir auch sicherlich gemacht, allerdings sah unser Plan etwas anderes vor, was wir natürlich auch gesagt hatten.

Der Kontakt zu Virginia und Willi besteht noch bis heute. Die Zwillinge haben uns schon ein paar Mal in den Ferien besucht. Traudel schreibt jedes Weihnachten. Hans, Willis Dad, ein sehr schweigsamer Mensch hat immer ein paar Grüsse darunter gesetzt.

Officer Peggy wurde vor etwa fünfzehn Jahren bei einer Fahrzeugkontrolle von einem vorbeifahrenden Auto überfahren und getötet.

Peggy hatte zwei erwachsene Töchter. Peggy eine Seele von Mensch, wie Virginia immer sagt.

Ich höre den Song „Hotel California“ von den Eagles sehr gerne!

(C) Chefschlumpf

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